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CAPITANO

Herzen öffnen, Beine lockern

CAPITANO

Holla, die Waldfee! Oder auch: heiliges Federvieh! Was kommt denn da aufregendes auf uns zu? Die international bewanderte, expressive Bande, die auf den Namen Capitano hört, ist unweigerlich mit einem hervorragenden Musikverständnis gesegnet und darf sich genau deswegen alles erlauben. Wer so groovt, Melodien aus dem Himmel herunterzüchtet und Pop und Rock verschmelzen lässt, als wäre es die einfachste Übung der Welt, darf auch als Vogelmensch herumlaufen, schrillen Farben huldigen oder einfach nur „Hi!“ sagen, statt sich im Sinne guter Erziehung ordentlich vorzustellen. Wir fragten trotzdem nach, wieso, weshalb und warum diese Band so ist, wie sie ist – und zwar bei John Who?!, der nicht nur fantastisch singt, sondern offensichtlich auch gerne philosophiert.

Hi Capitano! Und danke für eure Zeit. Vielen seid ihr neu – könnt ihr in zwei Sätzen sagen, was und warum Capitano ist / (für euch) bedeutet?

„Capitano ist wie ein Trampolin, das wir uns in den eigenen Vorgarten gestellt haben. Wir wollten einen Ort, um uns auszutoben. Und zwangsläufig haben alle Nachbarskinder auch etwas davon. Zumindest die, die Trampoline toll finden.“

Ihr verbindet nicht nur Stilistiken, sondern auch Audio und Optik/Video gerne miteinander, so dass ein noch anderes Bild im Kopf entsteht. Gehören Kunst und Musik für euch unweigerlich zusammen? Oder kann es das eine ohne das andere bei Capitano überhaupt nicht geben?

„Musik ist doch Kunst! Was übrig bleibt, wenn man Musik von Kunst trennt, ist ein Hobbykeller, in dem man auch mal laut sein kann. Das hat seine Daseinsberechtigung, aber wirklich nur für den Musiker selbst. Wen sonst inspiriert das für das eigene Leben? Wir haben für uns gelernt, dass Musik und Kunst genau da anfangen, wo nicht mehr über darüber diskutiert wird, wie hoch oder tief die Gitarre am Gitarristen hängen sollte. Da gehören auch wir hin.“

Zu eurem Faible für Maskerade und Verkleidung: Ist das für euch ein Weg, um den Menschen hinter der Musik oder dem Instrument nicht so wichtig zu machen? Oder doch eher die Freiheit, als Musiker jemand anderes und ein Stück weit selbst ein Kunstobjekt zu sein?

„Beides! Der Mensch hinter der Musik ist für uns nicht wichtig, der stört meist nur. Es sei denn, man ist auch im eigenen Leben unterhaltsam. Wir wollen in jedem Fall unterhalten. Auch uns selbst. Hauptsache, man bekommt eine echte Reaktion. Ich freue mich über jeden, der uns gut oder scheisse findet! Aber sobald wir die Leute mit unserer eigenen Normalität langweilen, machen wir etwas falsch.“

Euer Pop-Ansatz ist oft sehr groß, weltgewandt und open minded – allerdings sind dann so gloriös vorgetragene, Pink Flyod-esque „We don’t care“-Chöre doch eher verstörend. Stoßt ihr andere gerne vor den Kopf?

„Künstlerisch gesehen sind wir alle Einzelkinder. Jeder einzelne setzt sich viel alleine mit Musik auseinander. Da muss man lernen, sich selbst zu überraschen, und sich regelmäßig selbst aus der Komfortzone schubsen. Gerade beim Gesang entstehen so viele Ideen, die ich mir technisch erst einmal aneignen muss. Weil ich sie so noch gar nicht singen kann. Also: Wenn ich jemanden gerne vor den Kopf stoße, dann mich selbst!“

Wir als Kenner der Popszene unserer westlichen Nachbarländer mögen eine (zumindest spirituelle) Verbindung gerade zur niederländischen und belgischen Herangehensweise an Pop erkennen. Habt ihr eine gewisse Affinität zu Künstlern/Bands wie dEUS, Das Pop, Triggerfinger, Spinvis, DAAU, etc.?

„Jetzt hast du mich als Nichtkenner erwischt. Triggerfinger kenne ich, da sehen ich jetzt nicht unbedingt Parallelen. Die anderen werde ich mir nachher anhören. Ich glaube aber, Niederländer haben allein menschlich gesehen einen anderen Zugang zu Dingen wie Humor und Ernsthaftigkeit. Das geht oft fließend in einander über. De Staat fällt mir da ein. Die haben etwas Luftiges und Komisches in ihrer Show, ohne jemals albern zu sein. Das spürt man auch in der Musik: Wer über sich selbst ernsthaft lachen kann, kommt mit mehr davon.“

Überhaupt arbeitet ihr sehr Groove-orientiert – eigentlich sind alle Songs fantastisch tanzbar. Kann Musik für euch ohne Bewegung funktionieren?

„Klar. Es gibt wunderbare Musik, die fiese Haken schlägt und dadurch untanzbar ist. Oder die mehr eine Geschichte erzählen will. Da muss man sitzen, zuhören, nachdenken. Ich mag aber vor allem Musik, die dir mit Groove das Herz öffnet und die Beine lockert, um dir dann die tiefergehenden Schichten an Gefühlen und Geschichten häppchenweise unterzujubeln. Wenn ich sehe, dass jemand in der Menge beim Tanzen zu unseren Songs die Augen schließt, habe ich genau das erreicht.“

Ihr scheint euch kaum Grenzen gesetzt zu haben, was Stil und Stilmittel angeht – und das beim Debütalbum! Trotzdem passt alles zusammen in den Capitano-Kosmos, ob nun Disco-Beat oder Kopfstimme. Wie schwierig war es, all eure Ideen in so kurzweiligen Songs unterzubringen?

„Schwierig. Wir packen sehr viele Ideen in unsere Songs. Wenn man keine Kompromisse eingehen will, braucht das verdammt viel Zeit. Sonst hat man am Ende einen Teller bunte Knete, oder die Songs wirken gestelzt und künstlich. Wenn wir uns in Details verheddern, wird nicht selten ein Song weggeworfen.“

 Wieviel Spontaneität steckt in Capitano? Oder ist Capitano aus eurer Sicht sogar eigentlich sehr gut berechenbar?

„Ha! Sobald wir uns über unsere Berechenbarkeit Gedanken machen, ist es sowieso zu spät. Wir nehmen einfach das, was unser Bauchgefühl uns zeigt, und versuchen mit viel Kopfzerbrechen daraus einen Song zu machen. Da gibt es gleichermaßen nachvollziehbare Schritte und völlig irrationale Gedankensprünge. Dieser Mix macht uns irgendwie aus. Davon abgesehen, können uns sowieso nicht auf Muster verlassen, wenn wir weiterhin interessant sein wollen.“

Wenn ihr euch entscheiden müsstet: Welche ist eure Lieblingsfarbe?

„Gelb kann ich gerade nicht mehr sehen. Dafür verbringe ich zuviel Zeit damit, unser Coverfoto in der Welt zu verteilen. Ansonsten mag ich rot. Das kommt im Essen und beim Sex vor. Gegen beides hab ich nichts auszusetzen.“

Zum Abschluss: Was ist das Beste und was ist das Schlechteste an Capitano?

„Da wir Mittelwegen stets aus dem Weg gehen: Alles. Und beides.“

Aktuelles Album: Hi (Eat The Beat / Fleet Union)

Foto: Fleet Union


März 2018
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