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ENGLISH TEACHER (Berlin, Bi Nuu, 29.03.2025)

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Wenn dieser Review nicht mehr als fünfzehn Wörter haben dürfte, würden wir vermutlich einfach schreiben: "Wir haben die Zukunft der Rockmusik gesehen und ihr Name ist English Teacher". Zugegeben, spätestens seitdem das Quartett aus Leeds im vergangenen Jahr den Mercury Music Prize, die höchste und wichtigste Auszeichnung der britischen Musikindustrie, für ihr phänomenales Debütalbum ´This Could Be Texas´ gewonnen hat, ist es kein Geheimnis mehr, dass English Teacher eine Band wie derzeit keine zweite sind, doch die spielerische Leichtigkeit, mit der die Überflieger bei ihrem One-off-Auftritt in Berlin alles richtig machen und den aufregendsten Auftritte abliefern, den der Schreiber dieser Zeilen seit Jahren gesehen hat, ist dann doch ein klein wenig überraschend. Das Album ist an anderer Stelle bereits treffend als "Abenteuer in Klang und Worten" beschrieben worden, und genau das zaubern Sängerin und Gitarristin Lily Fontaine, Schlagzeuger Douglas Frost, Gitarrist Lewis Whiting und Bassist Nicholas Eden gemeinsam mit der Tourmusikerin Blossom Caldarone an Cello und Keyboards auch auf die kleine Bühne des Bi Nuu am Schlesischen Tor. In Zeiten, in denen Bands immer beliebiger werden, weil nur das Mainstreamerfolg zu versprechen scheint, glänzen English Teacher mit dem unbedingten Willen, kompromisslos ihrer eigenen Vision zu folgen – auch wenn die auf den ersten Blick weitab aller gängigen Marktgesetze liegt. Ambitioniert, aber vollkommen mühelos hüpfen die Briten deshalb bisweilen innerhalb desselben Songs durch verschiedene Stimmungen, Tempi und Genres. Gleich das erste Lied ´This Could Be Texas´ beginnt als verspielte Piano-Ballade (bei der Drummer Frost am Keyboard sitzt, als gäbe es nicht Normaleres), nur um sich am Ende zu kantigem Post-Punk-Experimentalismus hochzuschrauben. In anderen Songs blitzen Versatzstücke aus Prog und Jazz auf, und obwohl, oder gerade weil das alles hochkomplex – und trotzdem auf schwer zu beschreibende Weise seelenvoll – ist, ergibt alles sofort Sinn. Wuchtige, überlebensgroß erscheinende Instant Classics wie The World's Biggest Paving Slab´,´R&B´ oder ´Nearly Daffodils´ reißen mit kribbeliger, nervöser Energie mit und haben bisweilen solch eine rohe Power, dass ein Roadie auf die Bühne kommen muss, um die Bassdrum festzuhalten! Sängerin Fontaine setzt ihr Stimme meisterhaft ein, und ihr geradezu magnetisches Charisma erstrahlt immer dann besonders hell, wenn sie in besonders gefühlvolle oder euphorische Passagen eintaucht – und Songs wie das facettenreiche ´Broken Biscuits´ oder das wunderbar emotionale ´You Blister My Paint´ bieten ihr reichlich Gelegenheit dazu. Doch auch wenn die Frontfrau der erste Blickfang ist, werden English Teacher zuletzt dadurch außergewöhnlich, dass alle Musikerinnen und Musiker die Songs über Herkunft, Identität und mentale Gesundheit zu gleichen Teilen tragen – und am Ende etwas viel Größeres als die Summe der einzelnen Teile entsteht. Zwischen den Liedern eher wortkarg, ja schüchtern, ist die Freude der Band am eigenen Tun trotzdem stets greifbar, und das verlegene Grinsen, mit der sie die Welle der Begeisterung quittieren, die ihnen vollkommen zu Recht entgegenschlägt, ist einfach nur sympathisch. Soll heißen? English Teacher – vielleicht schon zum letzten Mal – in einem kleinen Club aus allernächster Nähe zu erleben, ist eine echte Offenbarung.


Weitere Infos: www.englishteacherband.com


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