TikTok ist schuld, dass das Gebäude 9 an diesem Abend gut gefüllt ist und die Westzeit-Vertreter trotzdem wohl die Einzigen im Saal sind, die nicht zur Generation Z gehören. Der Jugend liebstes Social-Media-Tool hat dafür gesorgt, dass im vergangenen Jahr aus der bereits 2013 erschienenen kleinen morbiden Rumpelnummer ´Freaks´ des ursprünglich aus Reno, Nevada, stammenden DIY-Duos Surf Curse plötzlich ein veritabler Hit wurde, der in England und den USA die Charts hinaufkletterte und inzwischen allein auf Spotify mehr als eine halbe Milliarde Streams verzeichnen kann. Spurlos vorbeigegangen ist das nicht an der Band. Inzwischen haben Jacob Rubeck und Nick Rattigan einen Majorvertrag beim altehrwürdigen Label Atlantic Records in der Tasche, ihren vom garagigen 90s-Indierock beeinflussten Sound – zumindest auf der aktuellen LP ´Magic Hour´ – für den Mainstream aufgehübscht, und auch live sorgen jetzt zwei neue Mitstreiter an Bass und zweiter Gitarre dafür, dass Surf Curse auf der Bühne nicht nur rau, sondern auch schön wuchtig klingen. Am letzten Abend ihrer Europatournee hauen uns die Amerikaner in Köln mehr als 20 Songs über Liebe, Verlust und andere Katastrophen des Alltags um die Ohren, die melancholisch und doch catchy allesamt beginnen wie der größte Hit aller Zeiten und trotzdem sofort wieder vergessen sind, sobald drei Minuten später die nächste Nummer losschrammelt. Doch das ist genau das Richtige für das ADHS-geplagte Publikum: Das Energielevel ist 75 Minuten lang hoch, der Moshpit tobt, und am Ende läuft sogar das Kondenzwasser die Wände des Gebäude 9 runter, als sich zum Schluss der Show bei ´Sugar´ und – natürlich! – ´Freaks´ die allgemeine Ekstase in blanke Hysterie verwandelt. Dutzende Mobiltelefone halten die Ereignisse für die Ewigkeit oder zumindest bis zum Upgrade auf ein neues Handy fest, bevor Rattigan für das Finale mit ´Disco´ die Trommelstöcke weitergibt und schweißnass, aber glücklich auf Tuchfühlung mit den Fans geht. Perfekter und ausgelassener hätten das einst selbst die Erfinder der Monkees nicht inszenieren können! Nur einmal müssen Surf Curse kurz von ihrem perfekten Script abweichen. Eine gerissene Gitarrensaite zwingt Rubeck und Rattigan dazu, wie zu Beginn ihrer Karriere eine Nummer spontan nur zu zweit zu spielen, und ganz ehrlich: ´Fire Walk With Me´ ist ohne Zweifel das Highlight dieses seltsam-faszinierenden Konzerterlebnisses.
Weitere Infos: www.surfcurse.com
©1996-24 WESTZEIT | 2022.11.01 | Autor: Carsten Wohlfeld | › kontakt › impressum › datenschutz | › Besuche uns auf Facebook