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HERBERT KAPFER

Der Planet diskreter Liebe

(Kunstmann, 224 S., 22,00 Euro)

Herbert Kapfer ist allen Freunden von LautPoesie und MedienKunst ein Begriff, u.a. als langjähriger Leiter der Hörspielabteilung des BR und Kurator bei "intermedium records". Als ProsaAutor trat er erst in den letzten Jahren verstärkt in Erscheinung. Mit seinem aktuellen Roman gelingt ihm eine beinahe chymische Hochzeit, deren Inhalt keine Geringere als die Nobelpreis-gekrönte Elfriede Jelinek auf der Rückseite des Taschenbuchs perfekt auf den Punkt bringt: "Action und Theorie – diese Verquickung kenne ich so nicht." Es ist dies die Geschichte eines kurz vorm Abitur von daheim fortgelaufenen Kai, der am 3. Dezember 1973 in Köln zufällig dem von ihm hochverehrten Rolf Dieter Brinkmann begegnet, welcher ihm eine "Micky-Maus-Bude" als Kurzzeitübernachtungsmöglichkeit organisiert und dann verschwindet – was vielleicht der Einstieg in die Welt der Kommunarden und Weltverbesserer ist, in der Kai zwei Jahre später in München wieder auftaucht. Dort macht er Straßenmusik mit seiner Mitbewohnerin Bea, die ihr Interesse an einer dominanten Beziehung ("Ich bestimme gern.") auch aus der Begeisterung für Valie Export speist (das Frontcover zeigt ein Detail aus deren Performance "Aus der Mappe der Hundigkeit", bei der sie Peter Weibel ganz selbstverständlich am Hundehalsband durch Wien führte. Mit und für Weibel hat Kapfer übrigens dann u.a. das CD-Projekt "Der Künstler als junger Hund" organisiert; genau wie er vor 20 Jahren Mitherausgeber der grandiosen Brinkmann-CD-Box "Wörter Sex Schnitt" war – die Kreise überlappen und schließen sich in diesem Buch allerorten!). Besagter Bea jedenfalls unterwirft sich Kai mit wachsender Begeisterung und es entsteht eine nahezu perfekte masochistische Allianz. In die pikant-detaillierte Schilderung der Erziehung zum Fuß/Stiefel-fixierten demütigen Diener "Sami" flicht Kapfer so geschickt wie beständig TheorieFetzen: Charles Fourier und Françoise d’Eaubonne sind die bekanntesten Zulieferer und auf der Sami diktierten LeseListe stehen natürlich de Beauvoir, Millet und Solanas. Bea möchte in deren Sinn aus der Kommune den Anstoß zur ökofeministischen "Mutation" liefern, zum Sturz der "Phallokratie", zur Herrschaft der (nicht nur vom maskulinen Koitus-Zwang) befreiten Frauen. Hinzu kommen eingestreute sprachgeschichtliche Verweise (Bea hat von ihrem Vater dessen Neigung zur mediävistischen Germanistik und eine Vorliebe für eine "gewählte Ausdrucksweise" übernommen) - ein Lob aus ihrem Mund liest sich da etwa so: "Gut. So ist es artig", sagte Bea leise |"mittelhochdeutsch ertec"| … ". Das alles (Sex, Weltrevolution, Feminismus, radikale Philosophie und Etymologie) zusammen macht diesen Text zu einem schillernden Kaleidoskop aus Unterhaltung und Bildung, aus Mutation und Pop, aus "Action und Theorie". Brillant!
Weitere Infos: www.kunstmann.de/buch/herbert_kapfer-der_planet_diskreter_liebe-9783956146237/t-0/


April 2025
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