(Ventil, 222 S., 18,00 Euro)
Irgendwann in den 80ern spielten die erst vor kurzem so richtig wiederentdeckten Fast-Weltweit-IndiePopper von Jetzt! einen tollen Song namens "Kommst du mit in den Alltag?". Später coverten Blumfeld das Stück und nun interviewt der Ex-"Antje Öklesund"-Betreiber, Konzertpromoter und DJ Andre Jegodka unter diesem Motto deutsche Musiker. Jetzt! dachten damals allerdings eher rebellisch und flochten um die griffige Frage so schöne Zeilen wie diese: "Und ich denke: / Nieder mit den Umständen! / Ist das alles, was das Leben fragt? / Kommst Du mit in den Alltag?"; Jegodka hingegen getraut sich das Peinliche anzusprechen und fragt seine Gesprächspartner unverblümt, wie denn ihr Alltag aussieht. Auch und gerade in finanzieller Hinsicht. Die Antworten, die u.a. Annette Benjamin (Hans-A-Plast), Carsten Friedrichs (Superpunk), Michael Girke (Jetzt!), Peter Hein (Fehlfarben), Bernadette La Hengst, Jan Müller (Tocotronic), Masha Qrella, Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta) oder Frank Spilker (Die Sterne) geben, zeigen, dass allein die Musik im Grunde keinen dieser ja nun wirklich nicht unwichtigen Zeitgenossen satt machen kann. So meinte Christiane Rösinger etwa zu Julie Miess, als die 1997 bei Britta einstieg: "Mach bloß dein Studium fertig. Von der Musik allein kann man nicht leben." Wobei insbesondere die älteren Kollegen im Nachhinein feststellen, dass sie das eigentlich auch nie wollten. Und trotzdem irgendwie zurecht kamen. Hendrik Otremba von Messer bringt das so auf den Punkt: "Ich wollte auf keinen Fall, dass Musik oder irgendwas mit Kunstschaffen mit meinem Beruf zu tun hat. Ich wollte, dass es unabhängig vom Geldverdienen bleibt." Und Bernadette La Hengst im gleichen Interview (ein schöner Kunstgriff dieser Gesprächssammlung ist nämlich, dass die Autoren immer mit jeweils zwei Musikanten zugleich redeten – was z.T. hochinteressante Diskussionen und Dynamiken in Gang brachte): "Um Gottes willen! Davon leben? Wie soll das denn gehen? Es war auch nicht der Grund, warum ich angefangen habe Musik zu machen." Kann ich für mich übrigens voll unterschreiben, ich habe nach meiner Studentenzeit peinlich darauf geachtet, dass ich meine Brötchen immer weit außerhalb der "Szene" verdiene. Das schafft – gerade für uns Schreiberlinge – nämlich auch eine sehr komfortable Immunität gegenüber den subtilen Nötigungen von Plattenfirmen und PromoMenschen. Andererseits ist es für Kreative natürlich schwer, ihre kostbare Zeit mit etwas so vermeintlich Profanem wie Geldverdienen zu vertrödeln – ein kaum aufzulösendes Dilemma. Aber "Geld" ist nur einer der hier verhandelten Überbegriffe, es geht auch um "Karriere" (Geplant? Geglückt? Und wie überhaupt definiert?), um "Alter" (Familie, Kinder oder pflegebedürftige Väter), "Arbeit" und "Umfeld". Dass sich die befragten Künstler nahezu alle weit öffnen, mit großer Ehrlichkeit über Befindlichkeiten und Träume, Nöte und Ängste sprechen, liegt ganz sicher auch an der gelungenen Gesprächsführung – über weite Strecken hat man als Lesern den Eindruck, die Musiker sind froh, sich das alles mal von der Seele zu quatschen. Ein sehr interessanter Einblick in die Lebenswirklichkeit des "Mittelstands" der deutschen Popmusik.Weitere Infos: www.ventil-verlag.de/titel/1929/kommst-du-mit-in-den-alltag