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ROBERT MACFARLANE

Alte Wege

(Ullstein, 347 S., 17,99 Euro)

Die Originalausgabe dieses Buchs erschien 2016 bei Matthes & Seitz, sicher in besserer Ausstattung. Ob man sich für etwas weniger als die Hälfte des Preises jener fein gebundenen Ausgabe mit dem an Bücher aus den letzten Jahren der DDR erinnernden Klopapier samt einfallsarmem dünnem Taschenbucheinband zufrieden gibt, kann jeder für sich entscheiden. Ich rate weder zu dem einen noch dem anderen, denn anders als die begeisterten Rezensionsverweise auf dem Rückumschlag überzeugen mich die Texte nicht. Der als "Klassiker", mindestens aber als "einer der renommiertesten Vertreter des nature writing" apostrophierte Brite Macfarlane begibt sich auf Wanderungen, die ihn über die titelgebenden "Alten Wege" führen (sollen). Die Definition dessen, was "Alte Wege" sind, handhabt er dabei recht frei, als Brite geht es (und er) viel um (bzw. über) Südenglands KreideKlippen, die Moore und Torflandschaften der Hebriden oder das Watt an der Küste von Essex. Dort verläuft vor(!) der Küste der Nordsee der "Broomway", den man nach ausdrücklicher Warnung besser nur in Begleitung eines Ortskundigen beschreiten sollte (natürlich bei Ebbe). Die Schilderung der Erlebnisse in dieser eigenartigen Zwischenwelt von Land und Wasser, von festem MeeresGrund und trügerischem Sand, gehört zu den Höhepunkten dieses Buchs. Wie auch die nahezu surreale Reise auf einem sehr kleinen Segelboot in den westlichen und nördlichen Gewässern um die Äußeren Hebriden – auch Seerouten können "Alte Wege" sein. Im Großen und Ganzen aber sind mir die Texte zu verquast, durchsetzt von einer eigenartigen, beinahe esoterischen Grundhaltung, die Entrücktheit und bewusstes Naturerleben zusammen denken möchte, in meinen Augen aber weder dem einen noch dem anderen wirklich gerecht wird. Ganze Kapitel begeben sich auf die Suche nach Spuren des Lebens und Sterbens des britischen Literaturkritikers und Dichters Edward Thomas (der im 1. Weltkrieg umkam) – der Bezug zu Wegen und Landschaften scheint mir gerade hier mehr als einmal arg bemüht. Auch dem (prä)historischen Blick, auf den ich besonders gespannt war, stellt sich immer wieder die Macfarlanes Ergriffenheit ob der eigenen Ergriffenheit in den Weg. Er gilt als gründlicher Rechercheur, gibt in einem Anmerkungsapparat und dem Literaturverzeichnis diverse Quellen und Fundstellen preis und doch scheinen mir zumindest einige (wenn auch wenige) seiner Angaben und Behauptungen nicht ganz koscher zu sein. Egal – aber eines noch: ich bin ja selbst nicht frei von der eitlen Verwendung von Fremdworten, aber Mr. Macfarlane übertreibt es meines Erachtens, denn wenn ich als Leser eines Prosatexts über Natur und Wandern alle Nase lang zum Fremdwörterbuch greifen muss, mindert das zumindest mein Lesevergnügen doch enorm. "...die Luft repristinierte.", "...die bustrophedonische Bewegung eines Pfades..." - mir ist das "too much". Auch und gerade, weil das Glossar im Anhang auf einer zufälligen Auswahl zu beruhen scheint, erklärt es doch "Bruchwald", "Holozän" und "Wattfauna" mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie "Ouroboros", "Lentikular" und "Bealach" (und anderes, s.o., eben gar nicht). Vielleicht ist das alles aber auch "geopoetisch" gemeint und meinem limitierten Verstand einfach nicht zugänglich. Wäre gut möglich.
Weitere Infos: www.ullstein.de/werke/alte-wege/taschenbuch/9783548069524


November 2024
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