QUICKSILVER
Vor exakt einem Jahr musste ich eine CD namens "High & Mighty" an dieser Stelle arg verreißen, nun legen GOV'T MULE nach. Aber - oh Wunder - die Dubbehandlung bekam dem "fulminanten Blues-Rock" ganz ausgezeichnet und macht "Mighty High"(Blue Rose/Soulfood) auch für verwöhnte(re) Ohren gut verträglich.Erstaunlich auch, was entsprechend veranlagte Menschen aus den unglaublichsten Archiven hervorkramen: "Infectious Rare Grooves & Krauty Schlager Wonders" verkauft uns der Sampler "German Funk Fieber Vol. 1"(Show Up/Popup/Cargo). Entsprechende Disko- und BigBandJazz-Projekte kennen wir ja schon - nun Hugo Strasser, Howie, die Knef und uns Udo L. inndafunkysteil. Naja: zumindest die "Was Tun Band" beweist, dass man (auch) auf diesem Wege klassenkämpferische Botschaften verbreiten kann.
GRAND MOTHER'S FUNCK führen jenen schon im Namen. "At The Funckyard" bedient die crowd ordentlich, ohne den Pfad des Bewährten zu verlassen.
Auch TOK TOK TOK spielen (mit) Funk, Soul und SoftJazz, für ihr auf "Reach Out ... And Sway Your Body"(beide BHM/ZYX) konserviertes Live-Set (ver)brauchen sie gleich 2 CDs wo evtl. auch eine gereicht hätte.
Mit ähnlich beschwingter Sanftheit gehen ALIEN CAFÈ in's Rennen. Getragen von einer sicheren Sängerin (neben Bass, drums und soliden programmings) begegnet uns auf "Chloè Says..."(Blue Flame/Rough Trade) nichts, das man nicht schon mal gehört hätte. Trotzdem ist dieser breakbeatige Diskojazz ganz nett.
Auch nicht revolutionär, sondern eher oldschool (so groß man das nur schreiben kann) sind die spanischen CATPEOPLE. Alles, was in den 80ern so in war, von Echo & The Bunnymen über The Fall bis zu Synthiepop im Sinne der mittleren New Order, findet sich auf "Reel #1"(PuPilo/Our Distribution) in der ein oder anderen Fassung. Trotz (oder wegen?) der Mischung brauchbar.
Dass man auch als nachweislich talentierter Musiker seine blackouts haben kann, zeigt "La Vie d'Artiste"(Too Pure/Beggars/Indigo), der Soundtrack zu einer französischen Komödie, den TIM GANE und SEAN O'HAGAN verbrochen haben. Stereolab und High Llamas sind feinste Adressen, dieser Doppeldecker aber serviert nur eine banale Fertigsuppe.
Verwirrt hat mich "The Ken Burns Effect"(Talitres/Rough Trade) von STARS LIKE FLEAS. Sehr struppige Songs, die irgendwo zwischen Animal Collective, Grizzly Bear und Beirut zu verorten ist. Keine leichte Kost, aber lecker.
Vielleicht bin ich zu alt und mittlerweile eher Vorgärtner als Punkrocker, aber irgendwie finde ich "Ein bitterer Abgesang"(Rock'n'Roll Speeds Up/Broken Silence) von der Kapelle mit dem ulkigen Namen BESSERE ZEITEN, nunja, überflüssig. Die TeenageAngst, Frustration und Wut, die das Teil transportieren soll, haben Tocotronic vor vielen Jahren überzeugender illustriert und dass Pinneberg ein trauriger Flecken Erde ist, wusste ich auch schon vorher.
BUM KHUN CHA YOUTH sind offenbar die Meister der Markenverankerung, denn dass "Alarm! Hanns-Martin ist verschwunden."(Tumbleweed/Broken Silence) ihr CD-Debut ist, wollte ich gar nicht glauben. Ist aber so. Die Musik ist trivial - so einfalls- wie liebloser Minimal-NDW-Synth-Pop mit pseudoprovokanten Texten. Und weil wegen 30 deutschen Herbsten wahrscheinlich sogar BILD die schönsten Stammheim-Fotos prämiert, entlocken mir Reizworte wie "Landshut" nur noch ein Gähnen.
Ein ganz harter break bringt uns zu TIM McMILLAN und seiner "Afterparty"(T3 Records/Al!ve). Hier wird demonstriert, was man mit einer Gitarre an Wohlklang erzeugen kann. Das Dutzend Songs des Australiers ist konventionell wie nur was, in seiner Melange aus Jazz und FolkPop aber durchaus reizvoll.
Einige Saiteninstrumente mehr hat BOB BORZMAN für "Lumière" aufgefahren. Nach diversen Weltreisen in Sachen Saitenklang hat er nun sich selbst klonend ein EinMannOrchester erfunden, das sich ganz und gar den Möglichkeiten von National Steel, Slide und etlichen anderen Gitarrenbrüdern und -schwestern hingibt. Das witzige Cover gibt einen kleinen Eindruck, woran man auf dieser Welt so zupft. Gute Idee interessant umgesetzt.
Ihre äthiopische Mutter hat SABA offenkundig ebenso musikalisch beeinflusst wie ihr italienischer Vater. Zumindest wenn man typisch abendländisch annimmt, das dieser Jazz- und Pophörer und jene mit Kora und Djembe aufgewachsen ist. "Jidka (The Line)"(beide Riverboat/Edel) unterstreicht einmal mehr, wie eingängig und dennoch spannend die Musik jenseits der Popstars sein kann.
Aus der durchaus umsatzstarken, im deutschen Mainstream aber kaum wahrgenommenen Parallelwelt des Turkish Pop speist sich "Import Export a la Turka"(Trikont/Indigo). Die Kompilation enthält 19 gewohnt sachkundig kommentierte tracks, die von HipHop über SkaRock und Betroffenheitssoul bis Ethnoschlager reichen und natürlich auch den klassischen Dönerdiskosound nicht auslassen, bei genauerem Hinhören (bzw. Nachlesen) aber auch einiges über Politik und Lebensgefühl aussagen.
Den Argentinier ALEJANDRO FRANOV interessiert auf "Khali"(Staubgold) das Zusammenspiel von afrikanischer Mbira, Arpa (eine Harfe aus Paraquay) und Sitar. Keyboards und electronics stehen im Hintergrund bereit, lassen den genannten Exoten aber stets den Vortritt.
Auch die rumänischen Trendsetter TARAF DE HAIDOUKS ließen sich für ihr neues Album "Maskarada"(Cramworld/Indigo) etwas Besonderes einfallen. Bartok, deFalla oder Chatschaturjan heißen die Komponisten, deren seinerzeit durchaus auch von Zigeunermusik inspirierte Stücke sie hier (neben 6 neuen Eigenkompositionen) in ihrem charakteristischen Stil nachspielen.
Um VASHTI BUNYAN wird ja ein ziemlicher hype veranstaltet, die auf gleich zwei CDs verteilte Kollektion von "Singles and Demos 1964 to 1967" die unter dem Titel "Some Things Just Stick To Your Mind"(Fat Cat) erschienen ist, versammelt nicht unangenehmen, aber auch nicht wirklich epochalen Jungmädchen-Folk. Seinerzeit vielleicht durchaus relevant (als Gegenstück zur Wildheit des Swingin' London) und sicher auch von großem Einfluß auf Künstlerinnen wie z.B. Virginia Astley fehlt mir heute doch irgendetwas. Was, weiß ich selber nicht.
Dafür kann ich genau sagen, was mich an "Drole d'oiseau"(V2/Universal) von BABET stört. Im Gegensatz zu Daphné und Oshen, mit denen die Dame Anfang des Monats beim Frankophonic-Festival auftritt, fehlt hier jeder Charme, jede Individualität, jedwede Spannung. Allerweltskram.
Was man von FEU THÉRÈSE gar nicht behaupten kann. Für eine Constellation-Band überraschend eingängig, ja beinahe poppig, ertönen auf "Ca Va Cogner"(Constellation/Al!ve) 70er-Disko-Sequenzer zu Gitarren- oder Kinderchören, ein solider Beat untersetzt das Ganze. Auch Faust und La Düsseldorf werden den Jungs aus dem Fly Pan Am-Umfeld nicht unbekannt sein.
"A Number Of Small Things"(Morr/Indigo) ist eine dieser CD-compilations (in diesem Fall sogar ein Doppeldecker), die man sogar dann liebt, wenn man mehrere der vertretenen Stücke schon kennt. Hier werden Stücke zusammengefasst, die zunächst auf den beliebten Singles der Morr-Tochter A.N.O.S.T. erschienen, darunter erstaunlich viele Cover, etwa Brian Ferrys "Don't Stop The Dance", das Masha Qrella auslebt oder die wundervollen Huldigungen von Seavault an Ultra Vivid Scene (The Mercy Seat) und Altered Images (I Could Be Happy).
Mehr Elektronik in oppulent-verwirrendem Zusammenspiel mit jeder Menge anderer (Spiel)Sachen erklingt auf EFTERKLANGs neuer CD "Parades"(The Leaf Label/Indigo). Die Dänen verfeinern das von "Tripper" bekannte Rezept des breitwandigen Kinderzimmerpops, das auch schon Múm & Co. berühmt machte, weiter.
Viel reduzierter und sachlicher, aber ebenfalls mit jeder Menge Emotionen geht PHON°NOIR an den Start. Auch nordländisch beeinflusst hat der Berliner "The Objects Don't Need Us"(Sub Rosa/Al!ve) mit Gitarrenklängen und Elektronikschnispeln angefüllt, vermag sich aber leider nirgends so recht aus der derzeitigen Masse an Ähnlichem herauszuheben.
Das gelingt FRANCESCO TRISTANO schon eher, denn "Not For Piano"(In-Fine Music/Al!ve) entstand natürlich auf genau einem solchen. Tristano ist als gelernter Pianist normalerweise eher in Konzertsälen zu Hause, hat aber für die erste Produktion des vom französischen Technomann Agoria gegründeten Labels auch poppige Elemente in sein zeitlos schönes Spiel eingebaut.
DONNA REGINA machen seit gefühlten 50 Jahren regelmäßig Synthiepop-Platten, die zwar sehr nett zu hören sind, aber die auf Grund ihrer Verwechselbarkeit eigentlich niemand braucht. "More"(Karaoke Kalk) ist mehr. Davon.
Auch die unbedingte Notwendigkeit eines re-releases des Werks von THE NEON JUDGEMENT erschließt sich mir nicht. Neben der "Redbox"(PIAS), die v.a. Remixe der zugegebenermaßen seinerzeit durchaus richtungsweisenden EBM-Knaller der Belgier enthält, gibt es wohl auch noch die Doppel-CD "The Box". Muß man aber nicht haben.
Eher noch Volume 2 der "Extended Electronics"(Skizzo/NEO/SonyBMG), wo in Überlänge rare Mischungen oder exklusive Neuproduktionen der einschlägigen Kandidaten erschallen (Das Ich, Boytronic, Ladytron, Frozen Plasma uva.). Besonders lobend erwähnen möchte ich den frechen Director's Cut von "Ich muß gar nichts" aus dem Hause Großstadtgeflüster.
Alt-Elektrorocker NIK PAGE (ex Blind Passengers) tritt zusammen mit Brachialelektroniker KASH an zur "Kommunion"(Wannsee Rec/Calyx/SonyBMG). Die 11 tracks plus pseudoskandalösem Sex-Video setzen sich aus diversen Mixen des debilen und möchtegernprovokanten Titelsongs und dem nicht weniger dämlichen "Körpertriebe" zusammen. Da wirkt der Alex-Löser-Remix von "Ey du stinkst" direkt erfrischend.
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