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Die alte Geschichte von den zwei Seiten der Medaille: So erfreulich die Tatsache, dass die Anzahl französischer CD-Veröffentlichungen in Deutschland beständig wächst, so schwer die (Auswahl)Arbeit des Rezensenten. Für dieses Mal mit der Konsequenz, dass sich die meisten der mir vorliegenden CDs mit einer Kurzkritik begnügen müssen, dafür aber auch alle Erwähnung und Würdigung finden. Neben Kanche und Dupain gibt's von Label Bleu (via Rough Trade) auch noch LOLA LAFON & LEVA mit "Grandir à l'Envers de Rien", wo Frontfrau Lola ihre rumänisch-bulgarischen Wurzeln in eine bunte Truppe von europäischen Troubadouren einbringt (und dabei auch mal ganz ungeniert "Paint it black" covert); NANO, das musikalische Ziehkind von Kanche und Kent, der auf "L'autre coté du vent" zwar wirklich nicht im Mainstream segelt, aber mit seiner Akkordeon-geprägten Klangwelt auch (noch) nicht 100%ig überzeugt und FRED POULET, dessen CD "Milan Athletic Club" in einer für Label-Bleu-Verhältnisse geradezu banalen Standard-Verpackung steckt. Dafür bezaubert die Stumpfheit von "Le Prince Marchant" ebenso wie das experimentelle(re) "Jesus" und der Text von "Electric Fish" will analysiert sein. Bei THIERRY "TITI" ROBIN spielen Oud und Bouzouki die Hauptrollen. Für beide hat er auf "Ces vagues que l'amour soulève"(Naive/Indigo) jeweils eine "Nouvelle Suite" komponiert, die sich ganz prima in die zigeunerisch-orientalische Reise auf diesem Album einfügen. Nur besteht bei Konzerten wahrscheinlich die Gefahr unangenehmer Bekanntschaften mit aufdringlich-entspannten batikgewandteten Ausdruckstänzern. Ganz anders der Schweizer JÉRÉMIE KISLING, den es für die Aufnahmen für "Le Ours" vom Genfer See nach London, Paris und Lausanne trieb. Wer im Vorprogramm von Carla Bruni und M unterwegs war, kann weder schlecht noch wirklich "underground" sein und so ist auch "Der Bär" ein angenehmes, aber auch etwas farbloses Dokument frankophonen Pops. Ganz ähnlich, nur weiblich und vermeintlich ambitionierter (das Info will gar Parallelen zur großen Julie Delpy sehen) ist SANDRINE KIBERLAIN. Deren "Manquait plus qu'ca..."(Virgin(EMI) präsentiert zwar wirklich angenehme Musik in bester Nouvelle-Chanson-Manier, nur fehlt (auch hier) das "Alleinstellungsmerkmal". Zu einem gut temperierten Chablis auf der sonnenbeschienenen Terrasse trotzdem zu empfehlen. Wesentlich ruppiger kommen da BIKINI MACHINE. Denn die erweisen mit "Joue Dutronc" (Légère/Our Distribution) der Ikone den gebührenden Respekt. Die Songs des großen Jacques D. (die schon im Original ziemlich britisch klingen) werden hier in ein glitzerndes EasyGrooveElektroTrash-Gewand gekleidet, das wirklich Spaß macht: 60s Electro Super Soul! Genau. Und damit zur nächsten Hommage: So unterschiedliche Musiker wie Cat Power, Portishead, Placebo und Carla Bruni können sich doch auf einen gemeinsamen Nenner einigen. "Monsieur Gainsbourg Revisited" (Barclay/Universal) ist voller gutklingender Liebeserklärungen an die Chansons des Meisters, die jeweils doch Platz für die Eigenheiten ihrer Interpreten lassen. Wenn man in Sachen "Altmeister" noch etwas weiter in die Historie der französischen Klangkunst zurückblickt, gelangt man bald zu ERIK SATIE, dessen "Socrate" (auch) von JOHN CAGE für zwei Klaviere arrangiert wurde. Gemeinsam mit "Via Crucis" von FRIEDRICH LISZT erscheint eine wirklich gelungene Einspielung von DESZÖ RÁNKI und EDIT KLUKON hiervon bei BMC in Budapest. Ausserdem neu dort "Étrangeté": das sind "préludes and poems" vom großartigen (ausserhalb der einschlägigen Szenen noch immer unentdeckten und irgendwie ja auch als Weiterführung von Satie verstehbaren) ALEXANDER SKRJABIN, gespielt von GÀBOR CSALOG. Eine ganz große Empfehlung! Aktuelle Avantgarde kommt von JOHN MAUS, der bekanntlich im Animal-Collective-Umfeld unterwegs ist. Genauso verwirrend hellsichtig ist denn auch "Songs"(Upset! The Rhythm/Cargo), eine sonderbare Sicht auf Pop, die A.C.-Fans mit Sicherheit Freude bereitet. Auch irgendwie Avantgarde, dann aber auch wieder einfach nur "schön" ist "Dominik Graf Filmmusik"(rent a dog/Al!ve) vom Komponistenteam ROSSENBACH/VAN VOLXEM. Sowohl in den instrumentalen Sequenzen wie auch bei den Songs überzeugend eindringlich. Dann gibt's da auch die EP "Deine Eltern"(Haute Areal/Cargo) von MIT, die den Moog in einen Trash-Pop Kontext setzen und schon allein dafür liebenswert sind. Gerade die beiden Remixe sind durchaus fett. Oder DIGITAL FACTOR, die den Tod von Oliver Rösch und das damit verbundene Hypnobeat-Ende lange nicht verkraften konnten, sich nun aber mit "One More Piece" auf's heftigste und angenehmste zurückmelden. EBM vom feinsten und wieder ist der Remix (Die Liebe) besonders schick. D.F. hatten doch auch mal Nik Page geremixt?! Der tut was für seine Provinzheimat Teltow und bietet der dortigen Szene ein Podium namens "TF Rocks"(beide Wannsee/Edel). Manche Namen sind gar nicht mal so unbekannt - die Stilvielfalt von Thrash-Metal bis Deutschpop verblüfft: Der Fläming bietet tatsächlich mehr als Kiefern und Sand. Zurück zu EBM und (Neo)Industrialrock: ex-KMFDM-Wüterich SCHULZ hat sich mit Jeff Borden (House OF Commons) einen hinreichend bösen Sänger gesucht und versucht mit "What Apology"(Sudden Death), dem Genre neuen Schwung zu verpassen. Aber muss man wirklich "Love Will Tear Us Apart" covern? Ganz anders, auch voller neuem Schwung und mindestens ebenso fett ist das DEICHKIND mit seinem "Aufstand im Schlaraffenland"(Universal). Unbekümmert in jeder Hinsicht, textlich wie musikalisch stets bereit zum Blick über ein ganzes Tafelservis und mit sehr netten Gastbeiträgen (findet Rocko Schamoni auch und schrieb den Infotext). Nächstes highlight aus'm Norden ist "Three"(LADO/SPV) von PHANTOM/GHOST. (U.v.a.) Stella und Die (unvergessliche) allwissende Billardkugel bzw. Tocotronic - die Biografie der beiden Geister beeindruckt durchaus. Was als Cale/Cohen-Nachspieleprojekt begann, wuchs mit jedem Album und ist mittlerweile bei wirklicher Größe angelangt. Insofern steht man den selbstgewählten Vorbildern (beinahe) in nichts nach - erwachsenes Songwriting in einer elektronischen Galaxis. Mit viel Anspruch geht auch FINAL FANTASY an sein lustig tituliertes Opus "He Poos Clouds"(Tomlab/Hausmusik). Ob man nach dem Hören tatsächlich nie wieder an Selbstmord denkt, lasse ich mal offen, aber die mit den Mitteln von Pop für Gesang und Streichquartett geschriebenen Stücke (die eine Ligeti-Referenz durchaus erlauben, aber auch Nick Drake und (schon wieder) John Cale verarbeitet haben dürften) sind einzigartig exhaltiert, fremdartig und (deshalb) sehr schön. Viel dichter an einer landläufigen oder traditionellen Auffassung von Pop ist hingegen PSAPP, was durch "The Only Thing I Ever Wanted" (Domino/Rough Trade) unterstrichen wird. Der opener "Hi" ist ein klassischer Ohrwurm der angenehmen Sorte und auch danach summt man immer wieder gern mit. Dabei sind die eingesetzten Mittel (bis hin zu Kinder-Xylophon und Küchengerät) nicht immer orthodox. Womit wir den Bogen zum klassisch-schönen Britpop schlagen. Richtig gut in dieser Liga waren HEFNER. Waren? Ja, die wundervolle Truppe hat das Handtuch geworfen (wenn's am schönsten ist...) und versüsst den Abschiedsschmerz mit eine "The Best of Hefner 1996-2002" (Fortune&Glory/Cargo). Natürlich inkl. der unvergesslichen Loblieder auf Zigaretten und Alkohol. (Leichtfüssiger) Themenwechsel: "Brazilution 5.4"(Stereo Deluxe/Edel) versammelt auf's neue (elektronische) Popmusik, wie man sie in Europa für "in Brasilien schwer angesagt" hält. Ich kenne keinen Musikfan in Rio persönlich, weiss aber, dass Cibelle wirklich gut ist (demnächst neue CD auf Crammed!), Bebel Gilberto sowieso und die dancefloorlastigere "Luna Side" der Doppel-CD mit u.a. einem exklusiven Ian Pooley-track und Bossa Futura auch nicht schlecht besetzt ist. Wie gesagt - Brasilienkontakte habe ich nicht, ob LENINE in seiner Heimat wirklich so bedeutend ist - keine Ahnung. Zumindest mich hat "In Cité"(Mr Bongo/Cargo) nicht wirklich überzeugt. Auch SENOR COCONUT AND HIS ORCHESTRA (hinter dem sich der Frankfurter Uwe Schmidt verbirgt) schwächelt mit seiner Hommage an das Yellow Magic Orchestra. "Yellow Fever!"(Essay/Indigo) verwurstet Stücke der japanischen Avantpopper in Richtung ChaChaCha (wie vorher schon Kraftwerk und Sade), ist auf Dauer aber eher langweilig. Ganz anders die "Songs Of The Volkano"(Riverboat/Edel), die BOB BROZMAN mit diversen Gitarrenensembles in Papua-Neuguinea aufgenommen hat. (Vermeintlich) ohne Einfluss westlicher Spielweisen gibt es auf den Pazifikinseln jede Menge exotischer und doch seltsam vertrauter Klänge zu entdecken. Und wer dabei immer mal an den "Bahnsteigwalzer" von FSK denkt, ist (zumindest musikalisch) so ähnlich sozialisiert wie ich. Dann gibt's mit "Devotion" auch noch eine Kompilation mit traditionellen religiösen Musiken aus Indien, die bei aller "Zusammengewürfeltheit" und den evidenten Glaubensdifferenzen doch in der Verehrung, Begeisterung und Hingabe für das übergeordnete Wasauchimmer die einende Klammer findet. Rein musikalisch sowieso hochinteressant. Wie auch RE-ORIENT, die Gruppe um BALUJI SHRIVASTAV, die indische Traditionen (leider mit einer gehörigen Prise Esoterik gewürzt) in ein Verhältnis zu z.B. Salsa und Jazz setzt. Die Perkussion stammt dabei vom Meister HOSSAM RAMZY, der sich für "Flamenco Arabe 2"(alle drei ARC Music) mit dem spanischen Flamenco-Gitarrero JOSÉ LUIS MONTÓN zusammengetan hat. Doppeltes Feuer von Wüstenrhythmen und andalusischen Melodien (womit wir die Hochzeit von Arabien und Westeuropa zum zweiten Mal in diesem Text feiern!).Rock & Pop
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