JAZZJANZKURZ
Im März hatten wir hier für diesen Monat "mehr Experiment" versprochen, deshalb eingangs nur eine schnelle Aufzählung der mehr oder minder unter "klassischer Jazz" einzuordnenden Neuigkeiten:KALNEIN & FISCHBACHER GROUP "One Man Disco"(Natango), ARNE HUBER QUARTET "Im echten Leben"(meta), DAVID ORLOWSKI TRIO "Paris Odessa"(Sony), CHANO DOMINGUES "Over The Rainbow"(Sunnyside), SEBASTIAN STERNAL "Home"(Traumton), HANS LÜDEMANN'S ROOMS "Blaue Kreise"(BMC), DOMINIC EGLI'S PLURISM "More FUFU!"(Unit), ELVIN JONES JAZZ MACHINE "At Onkel Pö's Carnegie Hall"(Jazzline), BAMESREITERSCHWARTZORCHESTRA "Metamorphosis"(Okeh), UNDERCARL "Timetunnel 25"(rent a dog) - alles durchaus gelungen Platten im weiten Spektrum des eher traditionell, dennoch sensibel und facettenreich gespielt Jazz, zu denen man jeweils viel sagen könnte und müsste.
Wie auch zu "Silent Light"(ECM) von Sting-sidekick DOMINIC MILLER. Der Gitarrenmann spielt seine bergseeklare Akustische mit ein klein wenig Trommelunterstützung von Miles Bould, es entstehen traumhafte Kleinodien zwischen EsoJazz und AdultPop. 4
TIGRAN HAMASYAN ist mit "An Ancient Observer"(Nonesuch) auf Spurensuche in seiner Heimat. Einige Stücke basieren auf armenischen Melodien, andere sind in klassischer Jazzmanier um ein Thema herumimprovisiert, aber stets leuchtet das Piano in allen nur denkbaren KlangFarben. 4
Etwas banaler geht es im "Room29"(Deutsche Grammophon) zu, wenn JARVIS COCKER zu CHILLY GONZALES' Klavierklängen seine vom Hotel Chateau Marmont in Hollywood inspirierten Texte vorträgt. Das selbstgesteckte Ziel, damit an die großen Liederzyklen des 19. Jahrhunderts (Schubert, Schumann, Wolf,...) anzuschließen, verfehlen sie jedenfalls meilenweit. 2
Latin-spielende Deutsche - eigentlich schwierig. Erfreulich, dass MATTHIAS SCHRIEFL das Vorurteil nicht bedient und es ihm auf "Brazilian Motions"(himpsl) mit seiner Band und Sängerin Patricia Cruz tatsächlich gelingt, Südamerikas RhythmusFieber und (west)europäische JazzIdeen zu kombinieren. 3
Wenn John-Zorn-Buddy JAMIE SAFT mit BILL BROVOLD (u.a. Larval) im Duo spielt, erwartet man irgendwas zwischen Freiem Lärm, PostRock und No Wave. Das fragile, halbakustische Slide- und Lapsteel-Spiel auf "Serenity Knolls"(RareNoise) überrascht daher schon. Angenehm. 4
Dem eben Erwarteten deutlich näher kommt "Araminta"(Sunnyside) von HARRIET TUBMAN, einer Band, die ihr Debut 1998 noch auf dem legendären Knitting-Factory-Label herausbrachte. Hier suhlen sich Rock und Jazz gemeinsam in dreckigen Laken und haben enorm viel Spaß miteinander. Klar, dass man da am Ende die meditative Auszeit "Sweet Amarinta" braucht. 4
Manchmal liegt der Reiz aber auch gerade in der Verneigung vor'm Tradierten. "Samoreau"(DMG) vom Berliner Geiger DANIEL WELTLINGER und seiner Combo versteht sich als "A tribute to the fans of Django Reinhardt" und tatsächlich: der dezent schmierige Gypsy-Slang des großen Gitarristen findet hier ein adäquat gefiedeltes Echo voller Swing in der genau richtigen Mischung aus unschuldiger Fröhlichkeit und wehmütiger Melancholie. 3
Wieder etwas fordernder ist "More Than This"(Clean Feed). CARLOS BICA & AZUL FEAT. FRANK MÖBUS+JIM BLACK wissen genau, wo in ihren von kraftvollen "Free"-Ausbrüchen durchsetzten KammerJazz Rockelemente oder Folkloristisches eingebaut werden muss. Bica ist ein Kontrabass-Gott, der mit Gitarre und Schlagzeug wirklich zu "spielen" weiß. 4
Wer es 2017 wagt, Lyrik und Jazz gemeinsam auf die Bühne zu schicken, ist schon mal mutig. Wenn die Lyrik dann nicht in der Oberlehrerfassung dargeboten und der musikalische Part allein von einem Schlagzeuger bestritten wird, grenzt der Mut an Wahnsinn. NORA GOMRINGER & PHILIPP SCHOLZ scheren sich darum einen Dreck: "Peng Peng Peng"(Voland & Quist) verknüpft Gomringers (auch vortragstechnisch bravourösen) lustigen Tiefsinn mit präzisen, beinahe ebenfalls "sprechenden" Spiegelungen aus dem drumset. Schwitters, Jandl und Papa G. fügen sich hier bestens ein. 5
Richtig schön anstrengend wird’s nochmal mit "Nearby Faraway" von FRODE GJERSTAD & PAAL NILSSEN-LOVE. Letzterer dürfte als einer der genialsten Trommler der an solchen wirklich nicht armen norwegischen ImproSzene genau so bekannt sein wie sein Bläser-Kollege Gjerstad. Zusammen zünden die beiden ein fantastisches Feuerwerk aus frei durch das drumset fliegenden Sax- und Klarinettensplittern. Pure Energie. 5
Das PAN-SCAN ENSEMBLE versammelt neun Vertreter der skandinavischen FreeJazz-Community. Auf "Air and Light and Time and Space"(beide PNL) kämpfen 7 Bläser in zwei langen Stücken gegen, nein mit einem Klavier und zwei Perkussionsten (einer ist wieder Nilssen-Love). Umwerfend, wie hier Individuum und Kollektiv gemeinsam funktionieren, wie im größten Lärm noch Struktur steckt, wie das scheinbare Chaos Augenblicke reiner Schönheit gebiert. 5
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