
Claire Moreau – als Musikerin bekannt mit ihrem Projektnamen „Claire days“ - ist eine französische Indie-Songwriterin, die sich anschickt mit ihrem zweiten Longplayer „I Remember Something“ von ihrer Basis Lyon aus nun auch international für Furore zu sorgen. Ans Licht der musikalischen Öffentlichkeit gelangte Claire zunächst über Kollaborationen. Ihre Kollegin Cyrielle Formaz unterstützte sie etwa als Gitarristin bei deren Projekt Meimuna (mit dem beide auch schon auf dem Reeperbahn-Festival zu Gast waren) und dann ist da auch noch ihre Zusammenarbeit mit dem britischen Songwriter Fin Paul Greenall (besser bekannt unter seinem Moniker Fink) mit dem zusammen Claire sowohl ihr erstes Album „Emotional Territory“ wie auch das nun vorliegende, zweite Werk „I Remember Something“ co-produzierte. Darüber hinaus hat Claire als Support für Acts wie z.B. Herman Düne, Black Sea Dahu oder This Is The Kit auch Erfahrungen auf internationalen Bühnen gesammelt.
Worum geht es musikalisch? Als studierte Übersetzerin fiel es Claire offensichtlich leicht, sich für die englische Sprache als Haupt-Transportmedium für ihre assoziativen Lyrics zu entscheiden (gleichwohl es auch einzelne Tracks – und sogar eine ganze EP namens „À l'ombre“ auf Französisch gibt). Das hat aber wohl auch musikalische Gründe, denn obwohl teilweise Spuren kontemporären Indie-Rock in ihrem Material zu finden sind, sind Claire's Songs im Allgemeinen in einem fragilen, eher akustisch ausgerichteten Setting angerichtet, in dem sich kapriziöse Vertreterinnen ihrer Zunft wie z.B. Joni Mitchell oder Laura Marling sicherlich auch nicht ganz unwohl fühlen könnten, denn in Bezug auf das unkonventionelle Auflösen von Strukturen, Dynamik und Rhythmik und dem ungewöhnlichen Umgang mit Harmonien macht Claire days so schnell niemand etwas vor.„Mein erstes Album habe ich ja schon vor drei Jahren herausgebracht. Damals arbeitete ich zum ersten Mal mit Fink zusammen. Für das neue Album habe ich beschlossen, das auch zu machen – aber dann aber mit meinen Live-Musikern zusammen zu arbeiten. Wir sind dafür in ein altes Haus in Arbèche im Süden Frankreichs gezogen und haben dann dort 12 Songs zusammen eingespielt, die ich dann innerhalb eines Monats überarbeitet und editiert habe. Das erste Album entstand 2020 währen der Pandemie – deswegen war es mir wichtig, bei diesem zweiten Album alle Musiker in einem Raum zu versammeln und gemeinsam proben und aufnehmen zu können. Das wollte ich deshalb machen, weil das beim ersten Album schon sehr frustrierend war, dass beim ersten Album wegen der Isolation alle an anderen Orten sein mussten.“
Der Titel des neuen Albums lautet ja „I Remember Something“ - geht es also dabei um Erinnerungen?
„Ja gewissermaßen“, bestätigt Claire, „ich zapfe hier die jüngsten und die entfernteren Erinnerungen an. Ich beziehe mich hier auf bestimmte Augenblicke in meinem Leben und spreche darüber – beziehungsweise möchte etwas über die Musik als Alternative zur Sprache darüber zum Ausdruck bringen. In diesem Augenblick versuche ich dann über die Erinnerung eine Verbindung zu etwas, was ja eigentlich bereits verloren ist aufzubauen – weil das einfach das Beste ist. Ich versuche also, diese Erinnerungen auf eine andere Weise nachzubilden.“
Musik ist ja auch die einzige Möglichkeit, Erinnerungen über das Faktische hinaus einzufangen.
„Da hast Du wohl recht“, führt Claire aus, „Musik ist für mich wie ein Parfum. Wenn Du ein Parfum riechst, löst das ja auch eine Erinnerung an die Situation aus, in der Du es zuletzt gerochen hast und Du fühlst dann diese Erinnerung erneut. Musik umarmt Dich auf diese Weise und transportiert Dich zu diesen Erinnerungen. Das ist eine sehr vollständige und magische Erfahrung.“
Gab es denn einen bestimmten Plan, als Claire mit ihren Musikern ins Studio ging?
„Ja, ich hatte klare Vorstellungen im Kopf“, berichtet sie, „wir hatten 6 Tage und mussten 12 Songs aufnehmen – da war es wichtig, einen Rahmen und einen Zeitplan haben. Die Idee war dann, die Songs so weit wie möglich live einzuspielen und wenn wir Zeit hätten, noch Ebenen hinzuzufügen. Eigentlich war die Zeit viel zu kurz bemessen. Ich würde das jedenfalls nicht weiterempfehlen. Man sollte schon einen ganzen Tag für einen Song haben. Wir hatten so ja keine Zeit mehr zum experimentieren. Am Ende war ich mit dem Material auch nicht so richtig zufrieden, weil ich eben experimentieren wollte. Ich habe das dann nachher gemacht und bin noch mal auf den Kern der jeweiligen Songs zurückgekommen und habe mich darauf konzentriert zu definieren, was ich ich wirklich aussagen wollte.“
Das erklärt dann vielleicht auch die ungewöhnliche Struktur, die Claire's Songs zuweilen annehmen. Obwohl einige wenige Tracks – wie z.B. der Opener „Help You“ - durchaus mit konventionellen Schemata, Melodien und Refrains ausgestattet sind, scheint das nicht Claire's Hauptanliegen zu sein.
"Das hängt damit zusammen, dass ich eben intuitiv arbeite“; räumt Claire ein, „ich habe immer schon so gearbeitet. Früher war das sogar schlimmer. Ich hatte teilweise 5 Teile für jeden Song – einfach weil ich immer die Dinge so bearbeiten, wie sie mir einfallen. Ob da ein Refrain dabei war, war mir eigentlich egal, weil ich einfach über das geschrieben habe, was ich wollte. Als ich die Songs anderen vorspielte und sie live performte sind oft Leute auf mich zugekommen und haben mir gesagt, dass es da keine Refrains gäbe und dass die Songs zu lang und kompliziert seien. Erst da habe ich realisiert, dass meine Songs nicht wie Pop-Songs aufgebaut sind. Heute gibt es dann auch Songs mit Refrains – aber andere immer noch nicht. Ich bin damit inzwischen im Reinen.“
Ist es denn nicht viel zu schwierig, mit Melodien zu arbeiten – wenn es keine Struktur gibt, die diese Melodien auffangen?
„Nö – das ist nicht schwierig für mich“, schmunzelt Claire, „für mich ist das so, dass mir Melodien zukommen und sich entwickeln und ich dann diesen folge. Ich folge immer dem, was mir zukommt und was ich davon mag. Wenn man live spielt ist das hingegen wirklich schwer, wenn es keinen Refrain gibt, denn wenn die Leute den Song hören brauchen sie ja irgend einen Anker. Ich versuche dann die Songs für den Live-Vortrag so umzuarrangieren, dass sie leichter zu fassen sind. Wenn man hingegen etwas aufnimmt, sollte man tun und lassen, was man möchte. Wenn die Leute die Songs dann anhören – und es gibt keinen Refrain – dann werden sie auf etwas anderes achten. Bei einer Live-Show ist das etwas anderes, denn da möchte ich die Leute ja unterhalten und ich möchte mein Publikum ja auch nicht verlieren.“
Gibt es Pläne für die Zukunft?
„Ich will weiter Musik aufnehmen und Song schreiben – bis ich zu alt bin, um eine Gitarre zu halten“, erklärt Claire, „dafür habe ich noch viele verschiedene Ideen. Ich weiß allerdings nicht, ob mir die Industrie mir ermöglicht, das auch machen zu können, denn ich kann zur Zeit nicht einschätzen, wo mein Platz in der Industrie wäre – ich will aber auf jeden Fall weiter Musik machen.“
Interessanterweise hat Claire in dieser Hinsicht vorgesorgt, denn sie veröffentlicht ihre Sachen nicht nur digital (wie so viele ihrer KollegInnen), sondern auch physisch auf CD und Vinyl.
„Ja, bitte“, meint sie, „das ist mir wichtig. Die neue Scheibe kommt ja erst in einigen Wochen heraus und bislang sind die Tonträger und das Merch noch nicht eingetroffen. Bis dahin ist das Projekt noch gar nicht real für mich greifbar. Es existiert eigentlich noch gar nicht. Ich muss das Vinyl in den Händen halten, damit ich darüber mit den Menschen in Verbindung treten kann. Weißt Du: Ich bin jetzt 31 und ich bin noch mit CDs und Kassetten aufgewachsen. Ich habe schon eine CD-Sammlung und jetzt kaufe ich mir auch Vinyl. Ich habe ja auch Bücher und Zeitungen. Ich muss einfach Sachen in meinen Händen halten können. Es ist ja aber auch eine finanzielle Sache, denn für CDs und Vinyl musst Du ja erst mal bezahlen. Ich kann also auch verstehen, wenn Musiker dieses Geld für etwas anderes einsetzen möchten und deswegen nur digital veröffentlichen. Ich kann mir selbst aber einfach nicht vorstellen, rein digital zu arbeiten. Selbst wenn ich kein Geld für Tonträger hätte, würde ich zumindest Textblätter oder Booklets ausdrucken – irgend etwas, das Bestand hat.“
Aktuelles Album: „I Remember Something“ (Contrejours), VÖ: 21.03.
Weitere Infos: https://www.facebook.com/iamclairedays Foto: Anne-Laure Etienne