
Meditation in Töne gegossen: Auf ihrem neuen, inzwischen 13. Album, ´Breath And Air´, zeigt sich Heather Nova von ihrer verletzlichsten Seite und spürt guten wie schlechten wiederkehrenden Zyklen und Mustern in ihrem Leben und in der Natur nach und formt aus diesen Gedanken zartbesaitete Selbstfindungssongs, die behutsam instrumentiert ihren unverkennbar ätherischen Gesang in den Mittelpunkt rücken. Ihr erstes Album mit eigenen Songs seit fast sechs Jahren wird so zu einem ihrer persönlichsten, aber vielleicht auch schönsten.
Mit ihren inzwischen 57 Jahren kann Heather Nova auf ein faszinierendes Leben zurückblicken. Zu Hause in Bermuda, verbringt sie ihre Kindheit auf dem Segelboot ihrer Eltern, die sie auch schon früh musikalisch prägen und ihr Klassiker wie The Beatles, Neil Young, Van Morrison, Cat Stevens oder Bob Marley näherbringen, Einflüsse, die bis heute in ihrem Tun als Singer/Songwriterin widerhallen. Ihre erste EP, ´These Walls´, veröffentlicht sie kurz nach ihrem Studium in Rhode Island bereits 1990, damals noch unter ihrem Geburtsnamen Heather Frith, bevor sie sich vier Jahre später als Heather Nova als außerweltliche Indierock-Sirene neu erfindet und gleich mit ihrem Debütalbum ´Oyster´ und dem 1998er-Nachfolger ´Siren´ dank großartiger Songs wie ´Sugar´, ´Truth & Bone´ oder ´Walk This World´ allenthalben offene Türen einrennt, bevor sie Ende der 90er-Jahre mit Nummern wie ´Winterblue´ oder ´London Rain´ fast sogar als Popstar durchgestartet wäre.So richtig anfreunden konnte sich die gerade früher betont menschenscheue Künstlerin allerdings nicht mit dem ganzen Rummel, der mit ihrem Aufstieg einherging. Spätestens seit der Geburt ihres Sohnes 2004 steuert sie deshalb mehr oder weniger bewusst gegen. Inzwischen spielt sie die Spielchen der Musikindustrie nicht mehr mit, ist wieder als unabhängige Künstlerin unterwegs und kann sich dabei auf eine ungemein treue Fangemeinde verlassen, die dafür sorgt, dass ihre Konzerte inzwischen zwar wieder in etwas kleineren Sälen stattfinden, dafür aber umso enthusiastischer gefeiert werden. Mit ihrem neuen Werk geht sie natürlich wieder auf Gastspielreise: Noch im März steht rund ein Dutzend Shows in Deutschland an – viele davon schon im Vorverkauf restlos ausverkauft.
Doch obwohl Heather in den letzten 35 Jahren als Profimusikerin viel erlebt hat, ist die Rolle, die ihr künstlerisches Tun in ihrem Leben spielt, immer noch die gleiche.
"Die Rolle hat sich tatsächlich kaum verändert – und das, obwohl ich das nun schon so viele Jahre mache", gesteht sie beim Video-Call mit der WESTZEIT. "Es sind wirklich sehr, sehr viele Jahre, denn ich erinnere mich daran, wie ich im Alter von sieben im Garten spiele und mir schon damals kleine Lieder ausgedacht habe. Die Musik hilft mir dabei, Dinge zu verarbeiten. Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen, weil mir zu viele Gedanken durch den Kopf rasten, und das führte dazu, dass ich einen Song geschrieben habe, oder besser: Mir kamen einige Textzeilen in den Sinn und eine Melodie, und ich habe mein Handy eingeschaltet und das aufgenommen, weil ich Dinge in Form von Melodien und Metaphern ergründe und verarbeite. Das ist einfach meine Art, das ist etwas, das mir hilft, dem Leben einen Sinn zu geben und Freude und Hoffnung und eine Bedeutung zu finden, auch wenn die Dinge manchmal schwierig sind."
Dieses Credo hat Heather auch dabei geholfen, die Fallen, die die Musikindustrie und insbesondere der Popstar-Ruhm fast unweigerlich mit sich zu bringen scheinen, größtenteils erfolgreich zu umschiffen und lieber auf ihre eigenen Instinkte zu vertrauen.
"Nun, ich denke schon, dass ich im Laufe meiner Karriere in die ein oder andere Falle getappt bin", gibt Heather selbstkritisch zu bedenken. "Aber das war, als ich bei einem Majorlabel war, und ich bekam Druck von außen, ich bekam Druck von den Führungskräften der Plattenfirma, die mir sagten, sie brauchen einen Hit auf der Platte, und dann passiert es schnell, dass du dich von dir selbst und deiner Integrität entfernst und aus den Augen verlierst, worum es dir eigentlich geht. Ich glaube, das ist bei meinem Album ´South´ im Jahr 2001 ein bisschen passiert. Als unabhängige Künstlerin habe ich es jetzt leichter, dem treu zu bleiben, was ich bin, aber ich glaube auch, dass es ein schmaler Grat ist, auf dem man als Künstlerin wandelt, denn vom kreativen Standpunkt aus ist es schön, bei jedem Album Abenteuer zu erleben und Risiken einzugehen. Ich denke, wir brauchen die Freiheit, das tun zu dürfen, diese kleinen Ausflüge zu machen und ein bisschen von unserem ursprünglichen Sound abzuweichen."
Wie sich das anhört, kann man nun auf ´Breath And Air´ hören. Entstanden bei Sessions mit Ben-Howard-Produzent Chris Bond, gesellen sich auf der neuen LP akustische Instrumente zu elektronischen Sounds und Ambient-Klangflächen, die den emotionalen Charakter der Lieder wirkungsvoll unterstützen und Heather neue Ausdrucksmöglichkeiten offenbaren, zumal anders als beim betont auch außen gerichteten, bandlastigen Vorgängerwerk ´Pearl` von 2019 einige der neuen Leisetreter-Songs wie "Ghost In A Room" oder "Ebbs And Flows" einen eher solistischen, introspektiven Charakter zu haben scheinen.
"Für diese Platte war mein ursprünglicher Plan, mich weitestmöglich von meinem typischen Sound zu entfernen", verrät sie. "Zunächst habe ich tatsächlich gedacht, ich würde auf der Platte komplett ohne meine Gitarre aufnehmen - auch wenn ich alle Songs auf der Gitarre schreibe. Das Interessante war: Als wir im Studio waren, bettelten die Songs geradezu um diesen erdigen Signature-Sound, der einfach ein Teil von mir ist, und letztlich habe ich dann doch zur Gitarre gegriffen. Allerdings gibt es eben auch Songs wie 'Human Experience', bei denen ich auf die Akustikgitarre verzichtet und etwas Neues ausprobiert habe."
Tatsächlich ist "Human Experience" nicht nur die ungewöhnlichste, sondern vielleicht auch beste Nummer, gerade weil Heather hier über den Tellerrand blickt, ohne deshalb ihr vorheriges Schaffen komplett zu verleugnen.
"Oh, das ist schön zu hören", freut sie sich. "Das war ein Experiment, und auch wenn ich anfangs gedacht hatte, dass das ganze Album eher in diese Richtung tendieren würde, geht es am Ende doch darum, das zu tun, was dem Song am besten gerecht wird. Von 'Ghost In My Room' existiert eine Version, bei der wir die Akustikgitarre rausgenommen haben, das war dann viel Synth-lastiger, aber da fehlte einfach das organische Feeling, und deshalb haben wir die Gitarre dann wieder mit reingenommen."
Gleichzeitig unterstreichen warmtönende Orgelklänge beim ersten Song ´Hey Poseidon´, dass die neuen Lieder auch spürbar mehr soulige Tiefe haben. Zufall ist das natürlich nicht.
"Ich bin froh, dass dir das aufgefallen ist", sagt Heather sichtlich erfreut. "Mein Mantra im Studio war: ‚Ich will keine Singles‘, ich wollte nichts, das besonders poppig oder radiofreundlich ist. Ich wollte den Songs ihren Willen lassen, es war mir wichtig, eine besondere Atmosphäre heraufzubeschwören. Ich wollte, dass sich alles darum dreht, eine gewisse Stimmung zu fühlen und dabei ganz entspannt zu sein."
Deshalb finden sich auf dem Album eine ganze Reihe betont zurückgenommener Songs, was perfekt zu den traumhaft lyrischen Texten passt, über die Heather bereits im Info zum Album sagte:
"Je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass ich mein ganzes Leben lang Muster wiederholt habe, sogar solche, die mir nicht dienlich sind: Gedankenmuster, Beziehungsmuster... Wir wiederholen die Zyklen, bis wir wirklich lernen, was unsere Kernwunden sind und wie wir sie heilen können. Das Songwriting an sich ist eine Suche nach Bedeutung und Klarheit über uns selbst und die Welt, in der wir leben."
Das Konzept der Dualität, das sich wie ein roter Faden durch das Album zieht und gleich in einer Reihe Songtitel - ´Breath And Air´, ´Ebbs And Flows´ oder ´Butterflies And Moths´ - verankert ist, rückt nun zwar stärker in den Fokus als je zuvor, das Interesse an der Thematik und an zyklischen Verläufen ist allerdings nichts Neues für Heather.
"Je älter du wirst, desto eher wird dir bewusst, dass zwei Dinge gleichzeitig existieren können", sagt sie, "ganz egal, ob das Dunkelheit und Licht oder Trauer und Dankbarkeit sind. Letztendlich kommst du dann an den Punkt, an dem dir klar wird, dass die einzige Lösung Akzeptanz und der Blick nach vorn ist. Akzeptanz ist der Schlüssel zum Glück!"
Mit den neuen Songs begibt sich Heather auf den Pfad der Selbstfindung und auf die Suche nach persönlichem Wachstum. Doch wie reagiert sie als Mensch und Songwriterin, wenn sie bei diesem intuitiven Prozess auf etwas stößt, für das sie sich noch nicht bereit fühlt? "Ich denke, wenn das passiert, ist das ein Zeichen, dass du bereit sein musst, dich damit auseinanderzusetzen", erwidert sie.
"Schon ganz am Anfang meiner Karriere habe ich oft sehr persönliche Songs geschrieben, und das ist oft ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege, denn nur weil ich einen Song schreibe, heißt das nicht, dass ich ihn auch unbedingt veröffentliche. Manchmal fühlen sich Lieder sehr persönlich an, aber vielleicht sind sie gleichzeitig auch richtig gute Songs, die eine bestimmte Botschaft auf eine klare und poetische Weise vermitteln, denn oft haben die persönlichsten Nummern die größte Allgemeingültigkeit. Ich denke, als Künstlerin muss ich das Risiko eingehen, meine Seele zu offenbaren, um einen echten Beitrag zu leisten. Das ist es, was Kunst so wertvoll macht: Die Integrität der Künstlerinnen und Künstler, die Ehrlichkeit, die Wahrhaftigkeit. In meinem neuen Album steckt viel Verletzlichkeit, weil es viel um Selbstbespiegelung geht, aber das muss ich ohne Furcht angehen."
Bleibt zum Schluss noch die Frage, welche Hoffnungen und Erwartungen Heather an ´Breath And Air´ knüpft.
"Es ist lustig, aber meine Erwartungen sind heutzutage sehr niedrig", sagt sie lachend. "Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich null Erwartungen. Ich finde es einfach aufregend, die Möglichkeit zu haben, ins Studio zu gehen und eine Platte zu machen. Wenn sie dann herauskommt und es tolle Reaktionen und eine ausverkaufte Tour gibt, dann ist das ein Bonus, und das macht mich wirklich glücklich."
Aktuelles Album: Breath And Air (V2 / Bertus)
Weitere Infos: http://www.heathernova.com Foto: Vincent Lions