Mit seiner legendären Band Young Widows fand Evan Patterson einst den Weg von kantigem Hardcore zu von Gothic-Folk geküsster Rock-Wucht und bei den einst als Experimental-Soloprojekt gestarteten Jaye Jayle und an der Seite seiner Frau Emma Ruth Rundle widmet er sich am liebsten den dunklen Seiten der menschlichen Existenz. Für sein neues Album, ´Prisyn´, ging die Inspiration nun auf Reisen: Unterwegs entstanden Lieder in einem düster brodelnden Elektronik-Sound, der erstmals ganz ohne Gitarren auskommt.
Das neue Jaye-Jayle-Album entstand durch eine glückliche Fügung. Eine Auftragsarbeit führte Patterson mit Ben Chisholm (White Horse, Revelator, Chelsea Wolfe) zusammen, doch weil die Zeit knapp und er gerade auf Tournee war, nutzte er einfach die technischen Hilfsmittel, die ihm zur Verfügung standen: sein iPhone und die App GarageBand. Begeistert vom ersten gemeinsamen Track, beschlossen die zwei, ihre interaktive File-Sharing-Kollaboration fortzusetzen – und das auch schon vor Corona-Zeiten in bester Social-Distancing-Manier, ohne sich auch nur einmal persönlich zu treffen. Die Musik und auch die Texte auf ´Prisyn´ spiegeln Emotionen und Erlebnisse auf Tour wider. Mal diente eine lange Fahrt über die Highways von Kansas als Inspiration, mal waren es bewusstseinserweiternde Erfahrungen in Deutschland. Allerdings gab es bei der Arbeit keine festen Regeln, und Text und Musik entstanden nie am gleichen Ort.„Sobald ein paar Songs fertig waren, schälte sich als Konzept heraus, dass ich mein Leben auf Tournee vertone“, erklärt Patterson im Westzeit-Interview. „´Guntime´ zum Beispiel entstand ursprünglich auf der Fahrt von Austin, Texas, nach Santa Fe, New Mexico. Klang und Rhythmus des Liedes fangen die Erfahrung ein, sich dem Südwesten der USA zu nähern.“
Obwohl viele Lieder in Pattersons amerikanischer Heimat entstanden, ist das heimliche Herzstück des Albums doch ´The River Spree´, mit dem der bekennende Fan von Iggy Pops ´The Idiot´ seine eigene Berlin-Hommage geschrieben hat.
„Ich bin mir nicht sicher, warum, aber ´The River Spree´ fühlte sich in der Tat stets wie das Herzstück der Platte an“, gesteht Patterson. „Ich erinnere mich, wie ich meinen Teil fertigstellte und ihn an Ben sandte. Seine Antwort war ´frei schwebend´ – und genau das ist dieser Song! Selbst ohne das narrative Element ist er eine sofortige Realitätsflucht. Die Musik bot sich zu meiner Acid-Story aus Berlin geradezu an, weil der Sound des Songs am besten das Gefühl der Verwirrung und die Realisierung einer psychedelischen Reise einfängt. Meinen ´The Idiot´-Fimmel habe ich immer klar vor Augen, wenn ich in Berlin bin. Das Gleiche gilt für mein Interesse an Can, wenn ich in Köln bin. Der Einfluss dieser Künstler ist unermesslich – nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Experimentalkünstler.“
Dennoch geht es mit dem letzten Lied der LP (´From Louisville´) zurück in Pattersons Heimat, nicht zuletzt, um den prägenden Eindruck Kentuckys zu unterstreichen.
„Ich hätte sicherlich eine ganz andere Sichtweise auf Musik und Kunst ganz allgemein, wenn ich nicht die letzten 22 Jahre als hauptberuflicher Musiker verbracht hätte“, ist sich Patterson sicher. „Hier in Kentucky hatte ich die Möglichkeit, mit einem schmalen Einkommen über die Runden zu kommen und genau die Art von Kunst zu machen, die mir vorschwebte. Das heißt allerdings nicht, dass Kentucky ein sicherer Hafen für Künstler ist. Das Wetter ist unbeständig. Die Künstlergemeinde ist überschaubar und Alkoholismus ist allgegenwärtig. Bisweilen trage ich mich mit dem Gedanken, wegzugehen, aber bislang ist das noch nicht passiert.“
Selbst der Coronavirus-Pandemie kann Patterson etwas Gutes abgewinnen, erlaubte ihm die unerwartete Tourneepause doch, sich anderen Projekten zu widmen, für die sonst nie Zeit blieb.
„Seit dem Beginn der Pandemie habe ich mich wieder verstärkt dem Zeichnen und der bildenden Kunst verschrieben, etwas, das ich vor 26 Jahren hinter mir gelassen hatte“, verrät er. „Als Künstler habe ich diese Zeit daheim mit meiner Frau und meinem Hund wirklich gebraucht. Wenn man mal von den gewalttätigen Übergriffen der Polizei in meiner Heimatstadt absieht, bin ich glücklich und zufrieden.“
Aktuelles Album: Prisyn (Sargent House) VÖ: 07.08.
Weitere Infos: www.facebook.com/jayejayle/ Foto: A.F. Cortes