Was tun, wenn die Musikindustrie am Boden liegt? Immer mehr Künstler versuchen zu erraten, was ihr Publikum von ihnen hören möchte – und fallen damit zwangsläufig auf die Nase. Katie Crutchfield alias Waxahatchee dagegen hat mit ´Ivy Tripp´ genau die Platte gemacht, die sie selbst gerne hören wollte – und das Ergebnis ist sagenhaft gut.
Die 25-jährige Amerikanerin, aufgewachsen in Alabama unweit des Flusses, der ihrem Projekt den Namen gibt, und nach einem Zwischenstopp in Philadelphia inzwischen in Long Island zu Hause, macht auf ihrem dritten Soloalbum genau das, was alle großen Künstler tun. Sie entwickelt sich konstant weiter, ohne dabei die eigene Linie aus den Augen zu verlieren. Die Melodien kennzeichnen auch ihre neue Platte sofort als Waxahatchee-Werk, klanglich dagegen stellt sie sich deutlich breiter auf als auf den beiden hervorragenden Vorgängern. Zu Bedroom-Folk und von den 90er-Jahren inspiriertem Indierock gesellen sich auf ´Ivy Tripp´ viele herrlich gelassen vorgetragene Nummern, bei denen Piano, Synthesizer und ein Hauch von Pop neue Türen aufstoßen, ohne alte zuzuschlagen. Anders gesagt: Katie ist innerhalb klar abgesteckter Grenzen ungeheuer kreativ.„Wir haben einen Teil des Geldes, das wir auf Tour verdient haben, sofort wieder für verrückte Instrumente ausgegeben“, erklärt sie die dezent veränderte Instrumentierung, als wir sie Ende Januar vor ihrem großartigen Auftritt im Brüsseler Botanique treffen.
„Ich habe mir einen Moog gekauft – nicht vintage, aber analog –, der auf der Platte viel zu hören ist, und ein Rhodes-Piano. Überhaupt haben wir inzwischen einfach eine Menge Zeug angehäuft, das wir ausprobieren konnten. Das hat großen Spaß gemacht.“
Wenn Katie von „wir“ spricht, dann meint sie Keith Spencer, der privat und musikalisch stets an ihrer Seite ist und das neue Album gemeinsam mit Kyle Gilbride co-produzierte.
„Keith hat Waxahatchee nicht mit mir zusammen gestartet, aber inzwischen ist er in kreativer Hinsicht unersetzbar geworden“, unterstreicht sie. „Ich könnte diese Platten nicht ohne ihn machen. Er ist für die ganze Sache sehr, sehr wichtig. Dennoch sind es immer noch meine Songs, und ich fühle mich ihnen sehr verbunden. Keith hilft mir einfach, sie besser zu machen.“
Das tut er nicht zuletzt dadurch, dass er Katie ständig neue Musik näherbringt. Schon vor zwei Jahren schwärmte sie von all den alten Neuseeland-Bands, die er ihr ans Herz gelegt hatte. Während der Aufnahmen von ´Ivy Tripp´ begeisterten sich die beiden außerdem für semi-obskures Singer/Songwriter-Zeug aus den 70ern.
„Als wir die Platte angingen, haben wir viel Bill Fay gehört und Arthur Russell und ich denke, das hat sicherlich Spuren hinterlassen“, verrät Katie. „Es lief auch viel von Judee Sill und Joni Mitchell, eine Menge Sachen aus dieser Zeit. Die Neuseeland-Bands waren aber auch weiterhin wichtig. Während ich die Songs der neuen Platte schrieb, habe ich viel Tall Dwarfs gehört.“
Wie schon die beiden Vorgänger ist auch ´Ivy Tripp´ ein Schnappschuss eines Abschnitts in Katies Leben, ohne deshalb in „Liebes Tagebuch“-Klischees zu verfallen. Hatte sie auf dem Waxahatchee-Debüt ´American Weekend´ eine schmerzhafte Trennung verarbeitet und sich auf dem an dieser Stelle zur Platte des Monats gekürten Nachfolger ´Cerulean Salt´ mit dem Erwachsenwerden und Familienangelegenheiten auseinandergesetzt, geht es auf der neuen Platte um Grauzonen im Allgemeinen und Depressionen im Speziellen. Schließlich hatte Katie in den letzten beiden Jahren viel zu verarbeiten. Zuvor kannte sie nur die kleine DIY-Punk-Welt ihrer alten Band P.S. Eliot, doch mit dem unerwarteten Erfolg des zweiten Waxahatchee-Albums änderte sich plötzlich alles. „Ich hätte gedacht, dass es mir schwerer fallen würde, die neue Platte zu machen, weil ich zum ersten Mal ein Album aufgenommen habe, von dem ich wusste, dass es ein Publikum dafür gibt“, gesteht sie.
„Ich hatte ehrlich gesagt ein bisschen Angst, dass mich das beeinflussen würde, aber letztlich fiel es mir erstaunlich leicht, das auszublenden. Ich habe die Platte vollkommen isoliert zu Hause aufgenommen. So konnte ich mich ganz auf die Musik konzentrieren. Das war eine große Erleichterung!“
Aktuelles Album: Ivy Tripp (Wichita / PIAS)
Weitere Infos: www.waxahatcheemusic.com Foto: Ryan Russell