Wallis Bird, die Dublin-London-Berlin-Hopperin, kann flüstern. Aber auch schreien. Außerdem kann sie Euphorie und Leiden bestens in Noten kleiden. Und ihr stilistischer Spagat beim aktuellen Album ´Architect´ ist jedoch weltrekordverdächtig.
Genregrenzen braucht kein MenschVon Genregrenzen hat sich Wallis Bird noch nie wirklich beeindrucken lassen. Auf der neuen Platte scheint es jedoch so zu sein, dass die Künstlerin sie einfach mit Schwung hinweg fegt.
„Nun, das ist nicht von der Hand zu weisen“, lächelt Wallis Bird, „doch da ich diesmal das meiste alleine zuhause aufgenommen habe, ohne Band, konnte ich mich rücksichtslos austoben und mal in dieses Genre springen und dann das nächste einfach überrrennen. Es war diesmal, wie ein das Zusammenfügen eines Puzzles, doch die einzelnen Teile stammten von verschiedenen Puzzles. Neu ist, dass elektronische Tanzmusik der 1990er Jahre hörbar eine Rolle spielt. Das tat sie vorher bei mir noch nie.“
Und diese neuen Klänge tragen eine Frische in Wallis Birds Musik, die sich so anfühlt, als wäre jedes Lied gerade und noch voll von Tau vom Baum des Lebens gepflückt worden.
„Das ist auch beim tausendsten Mal Hören immer noch mein Empfinden. Aber ich habe noch nie so wenig über das, was tue oder was ich will, nachgedacht, wie bei dieser Platte. Ich habe gemacht. Einfach drauflos. Das Stück zu schreiben und es aufzunehmen war diesmal ein gleichzeitiger Prozess. Und die Lieder habe ich dann so gelassen. Einfach und roh.“
Aus sich selber heraus
Energie schöpfen
Neben der einfachen Rohheit und der angesprochenen Frische strotzen die Stücke bis zum Bersten vor Energie. Aber vor einer Art unschuldiger Energie, die nie und nimmer aus einer planvollen Arbeit an Liedern entstehen könnte.
„Wenn wir schon über Arbeitsprinzipien reden, dann gilt eins und das galt für mich schon immer und das lautet, wenn ein Stück reduziert auf Stimme und ein einziges Instrument nicht funktioniert, warum sollte es dann mit Band, Orchester oder einem Chor funktionieren. Stücke müssen aus sich selber heraus Kraft und Energie schöpfen können“, weiß Wallis Bird. Nicht nur deine Stücke als solche sind reduziert, diesmal ist es auch dein Gitarrenspiel, das auf früheren Alben so zentral war. Dazu muss man noch wissen, das Wallis Bird als kleines Mädchen alle Finger der linken Hand bei einem Unfall verlor. Zwar konnten sie bis auf den kleinen alle wieder angenäht werden, doch das Gitarrenspiel wird dadurch bis heute beeinflusst. Sie spielt das Instrument saitenverkehrt, ohne die Saiten umzuspannen. So hat sie ihren ganz eigenen Stil bis hin zur Virtuosität kultiviert. Etwas, was auf ´Architect´ in den Hintergrund treten darf. Das bedarf natürlich einer Erklärung.
Gitarre kommt kaum noch vor
Wobei es noch ganz nett formuliert ist, dass das Gitarrenspiel in den Hintergrund tritt. Es kommt zum Teil überhaupt nicht vor. Da schlagen die angesprochen Rhythmen der Tanzmusik der 1990er Jahre voll durch.
„Ich habe den Rhythmen einfach den Raum gegeben, den sie offenbar haben wollten und mit meiner Stimme darauf reagiert“, nimmt Wallis Bird den Gesprächsfaden wieder auf, „mal ist sie tief im Rhythm&Blues verwurzelt, dann wieder schillert sie im Popglanz. Auch das war nicht bedacht. Es geschah einfach.“
Durch dieses einfache Geschehenlassen wird Wallis Bird zu einer ganz besonderen Klangarchitektin. Einer, die unterschiedlichste Lieder zu einem Gebäude schichtet. Einem verdrehten und verschachtelten, am ehesten ästhetisch vergleichbar mit der dekonstruktivistischen Architektur eines Frank Gehrys. Seine collagenhaft aufgebaute und auseinanderstrebende Elemente verknüpfende Bauweise ist die von Wallis Birds Platte ´Architect´. Abgewinkelte Noten, kippende Klänge, umgekehrte Formen und gebrochene Töne vereinen sich zu einem Klanggebäude.
„Da gibt es einzelne Zimmer, ganze Wohnungen, Penthouses, sperrige Garagen und Schuppen“, sinniert Wallis Bird, „das passt auf den ersten Blick nichts zusammen und doch fügt sich alles.“
Das eigene Ding durchziehen - ohne
wenn und aber
Obwohl alles so neu und anders ist, eine Konstante gibt es, die auf jedem bisher eingespieltem Album einfach da ist.
„Jedes Lied, jedes Album ist ein Dokument der Zeit, in der es entstanden ist. So muss es auch bewertet werden“, reflektiert Wallis Ward, „ich habe dabei immer mein zu diesem Zeitpunkt Bestes gegeben, und habe mir die Zeit genommen, in persönlichster, gefühlvollster und ausdruckstärkster Weise zu sagen, was ich fühle und damit immer mein Ding durch gezogen.“
So auch auf der CD ´Architect´, die sich höchstens noch entschiedener im Hier und jetzt positioniert, als alles, was Wallis Bird bisher abgeliefert hat.
„Das hat sicherlich auch damit zu tun, weil ich mir bei keiner der bisherigen Plattenproduktionen selbst so nahe gekommen bin“, sagt die Künstlerin, „auch hat dabei die Gleichzeitigkeit des Erlebens, des Überwindens des Erlebten durch Loslassen eine große Rolle gespielt.“
An diesem Punkt bekommt der Albumtitel ´Architect´ eine weitere Bedeutung, die der Lebensarchitektur. Im Album ist die ganze emotionale unmittelbare Dringlichkeit des Schaffens von Wallis Bird enthalten. Ein Schaffen, das sie selbst mit den Worten umreißt: „Wenn ich nicht Musik machen kann, dann weiß ich nicht, was ich auf dieser Erde sonst machen soll.“
Aktuelles Album: Architect (Bird Records / Rough Trade)
Foto: Jens Oellermann