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Neue Besen kehren gut

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Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Wovon uns die Editors ein Lied singen und nicht nur für sie ist das vierte Album ´The Weight Of Your Love´ ein vollwertiger Neubeginn. Es dokumentiert die Geschichte einer Band, die mit den Herausforderungen des Musikbetriebs konfrontiert und auf die Probe gestellt wurde: „Wir sind nie davon ausgegangen, dass das alles gradlinig läuft. Du erreicht schnell ein Level, auf dem du klarkommen musst und hast die Wahl, es mit allen Mitteln zu schaffen oder bleiben zu lassen“, erklärt Frontmann Tom Smith vielsagend und streicht seine inzwischen lange Haarpracht zum Zopf zusammen. Aber nicht nur optisch hat sich einiges geändert, auch hinter den Kulissen brodelte es zwischenzeitlich derart, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als alles zurück auf Los zu setzen.

Manchmal sind es keine verkauften Alben, hohe Chartplatzierungen oder blendende Kritiken, die Künstler in ihrem Schaffen bestätigten. Manchmal sind es schlicht und ergreifend die Bretter, die die Welt bedeuten. Im Falle der Editors sogar nur ein einziger Gig, der dafür sorgte, dass wir heute über ihr neues Album ´The Weight Of Your Love´ sprechen.

„Unsere letzte Platte schien für viele eine schwierige Angelegenheit. Verglichen mit den Vorgängern klang sie anders und sorgte stellenweise für allerhand Unmut. Als wir jedoch im letzten Jahr beim belgischen Rock Werchter-Festival den Headliner gaben und von 60.000 Leuten bejubelt wurden, wussten wir, dass sich das Durchhalten gelohnt hat.“

Mit ´Durchhalten´ sind die vorangegangenen Jahre voller Irrungen und Wirrungen gemeint, die das Leben der Englänger nicht nur durcheinander brachten, sondern vieles von Grund auf änderten. So hatte plötzlich Gründungsmitglied Chris Urbanowicz keine Lust mehr auf das gemeinsame Projekt und auch Privat schien der Spagat zwischen Familie und Beruf immer schwerer zu werden.

Dabei begann ihre Laufbahn so perfekt, wie viele Newcomer es sich nur Nachts zu träumen wagen: Im Jahre 2002 als The Pilot gestartet, wurde ein Jahr später der Bandname in Editors geändert und gleich die ersten Tracks, die sie Online stellten, schafften den Sprung in die BBC Radio1-Show ´OneMusic Unsigned´ und riefen erste Labels auf den Plan.

Die Presse zog pflichtschuldig nach und bezeichnete die Newcomer noch vor Veröffentlichung ihres Debüts ´The Back Room´ als legitime Nachfolger von Joy Division, Echo & The Bunnymen und sah in ihnen den Beweis, dass der New Wave längst nicht ausgedient hat.

Was Tom Smith rückblickend verwundert: „Wenn ich ehrlich bin, überraschte mich der durchweg positive Grundtenor anfangs schon – da kommen ein paar Studenten daher, die an ihrer Uni in Stattford eine Band gegründet haben, orientieren sich deutlich an ihren Vorbildern und trotzdem meckert niemand.“

Sein Blick schweift in diesem Moment zum Kollegen Russell Leetch rüber, der als Bassist vor allem in der Anfangsphase deutliche Spuren im Sound hinterließ und über die zuletzt vollzogene Kehrtwende immer noch schmunzeln muss. „Es gab nach dem zweiten Album die Variante auf Nummer sicher zu gehen oder Risiko zu wagen. Wir entschieden uns fürs Risiko.“

Ohne Frage, denn kaum war ihr Debüt wie die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen, das anschließende „An End Has A Start“ (2007) bei Kritikern und Fans ein ähnlicher Erfolg, entschied man sich für einen Kurswechsel, der nicht nur musikalische Konsequenzen mit sich brachte, sondern zwischenmenschlich ebenfalls Spuren hinterließ:

„Tom kam damals auf mich zu und wir sprachen über Visionen und Möglichkeiten etwas vollkommen Neues auf die Beine zu stellen“, erinnert sich Leetch und wird von seinem Chef bestätigt, „es fielen mir immer wieder unsere Lieblingsbands aus Teenagerzeiten ein: Nimm zum Beispiel die Achtziger, da klangen Gitarren oft wie Keyboards.“

Ein Gedanke, der die Editors fesselte und nicht mehr los ließ – folgerichtig auch ihr drittes Album ´In This Light And On This Evening´ (2009) hörbar prägte. Auf einmal war ihr Sound unterkühlter und klang auf eine erstaunliche Weise ziemlich elektronisch: „Wir würden das wieder so machen, nur dass das klar ist.“

Rechtfertigt Smith den Schritt nicht ohne ein Lächeln auf den Lippen: „Viele waren der Überzeugung, wir hätten uns damit auseinanderdividiert – alles Quatsch, was im Anschluss passierte, hätte genauso nach dem ersten oder zweiten Album passieren können. Da spielen die Begleiterscheinungen eine viel entscheidendere Rolle.“

Genau diese sind es, die zum Verständnis der neuen Platte ´The Weight Of Your Love´ wichtig sind:

„Als wir im Teenageralter anfingen, hat sich niemand Gedanken darüber gemacht, was in zehn Jahren sein könnte oder ob jemals die Situation eintritt, in der man nicht auf einen Nenner kommt. Vielleicht waren wir zu jung, vielleicht zu naiv, aber was mit Chris zuletzt geschah, hätte niemand zu träumen gewagt.“

Chris Urbanowicz gehörte als Gitarrist zum Gründerkreis der Editors und fand 2010 trotz aller Verbundenheit keinen Draht mehr zu den Demos seiner Kollegen. Beharrte stattdessen stur auf seiner Meinung, die Sachen müssten ganz anders klingen und obwohl viel darüber gesprochen wurde, kam man zu keinem Konsens – wie Leetch erklärt:

„Es dauerte nicht lange und wir fingen nach ‚In This Light And On This Evening‘ wieder mit dem Schreiben an. Tom gab damals ein eher nebensächliches Radio-Interview, schien Chris damit aber auf den völlig falschen Fuß zu erwischen.“

Als Chef der Band äußerte Smith gegenüber Q Radio, dass man bereits eine Vision des kommenden Longplayers habe und wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sehr er sich damit von Urbanowicz‘ Vorstellungen.

Der Startschuss für eine destruktive Phase, in der Diskussionen zu Marathon-Gesprächen mutierten und irgendwann unausweichlich den Abgang des Kumpels bedeuteten. Doch was genau gab den Anlass zur Trennung?

„Sorry, wir wollen hier keine schmutzige Wäsche waschen und geben keine detaillierten Infos preis.“

Kürzen die beiden das Thema wie gestandene Fußballmanager ab und spielen den Ball Richtung ´The Weight Of Your Love´, dass sie als das offenste und zugleich durchdachteste Werk ihrer Karriere bezeichnen und keinen Zweifel daran lassen, dass die neuen Mitglieder Justin Lockey und Elliott Williams die entstandene Lücke längst geschlossen haben.

Worin ihnen zugestimmt werden darf, denn tatsächlich zeigen die Songs aus welcher Ecke die Editors einst kamen und zu welcher Art von Musik sie zurückfinden wollen: Die Gitarren klingen wieder wie Gitarren und wenn das zuletzt omnipräsente Keyboard ab und an dazwischen funkt, dann nur als Versatznote und nicht als tragendes Element.

„Uns war wichtig, dass ‚The Weight Of Your Love‘ einen organischen Charakter hat und daher spielten wir im Studio alles komplett Live ein. Keine Overdubs bis auf ein paar Ausnahmen.“

Freut sich Tom Smith und weiß, dass man es selbst mit dieser Herangehensweise nicht allen recht machen wird: Vereinzelt betonen die ersten Rezensionen bereits, die Editors seien zu einer Stadionrockcombo mutiert und der ausladende, an U2 mahnende Sound habe jeden Boden unter den Füßen verloren.

Russell Leetch zuckt angesichts solcher Aussagen mit den Schultern und meint, das seien Meinungen Einzelner und keine absoluten Wahrheiten.

Schlussendlich ist ´The Weight Of Your Love´ aber das Album einer Band, die keine Zweifel aufkommen lassen will – mit teils herausragenden Songs, die eine erneute Transformation bei allen Missverständnissen mit einem musikalischen Happy End beschließen:

„Trotzdem tut mir die Sache mit Chris leid, aber das Leben führt dich manchmal an Orte, an denen du einfach loslassen musst, um voranzukommen. Wenn du Glück hast, wirst du dafür belohnt.“

Erklärt er vielsagend und empfindet es nicht als Fehler den Zählerstand auf null zurückgesetzt zu haben: „Eine war eine notwendige Konsequenz und geschah zur rechten Zeit.“

Na dann, Reifeprüfung bestanden.

Aktuelles Album: The Weight Of Your Love (Play It Again Sam / PIAS / RTD)

Foto: Matt Spalding

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