Gu ... was? Und den Zungenbrecher gibt es gleich zwei Mal hintereinander. Wer denkt sich denn solch einen Bandnamen aus, Guaia Guaia? „Wir haben Ewigkeiten nach einem Namen gesucht“, erzählt Gitarrist und Sänger Elias Gottstein, „wir haben uns sogar eine Fastenzeit auferlegt. Es wurde nichts gegessen, bis der Name stand. Als ich damals durch die Gegend lief -hungrig zwar, aber ansonsten grundlos glücklich- hatte ich plötzlich die Worte Guaia Guaia auf den Lippen. Eine Fügung! Das musste unser Bandname sein.“ Das Duo, das neben Elias Gottstein aus dem Posaunisten (!) Carl Luis Zielke besteht startet auf der Straße. Macht dort Musik. „Jetzt nicht so auf die altmodische Art und Weise mit Klampfe, Quetschkommode und verbeultem Hut“, lacht Carl Luis Zielke, „wir haben schon einen Laptop mit Beats uns so dabei. Und unsere CDs, die wir verkaufen auch.“ Wer im Sommer auf den Strassen unterwegs ist und im Winter in besetzten Häusern oder leer stehenden Fabrikgeländen lebt, der muss sich um Geschichten, die in den Stücken erzählt werden sollen keine Gedanken machen.
Straßenszenenbeobachter„Was du da alles an Unterschieden siehst, besonders, wenn du umherstreifst“, bekräftigt Elias Gottstein, „durch die reichen Viertel und durch die armen. Da fragen wir uns schon, warum ist das so? Muss das so sein? Und schon ist wieder eine Geschichte fertig.“
Schnell ist klar, bei Guaia Guaia wird nicht irgendein Rotz erzählt. Da wird vorher hingeschaut. Da wird zuerst zugehört. Die Texte kratzen nicht zögerlich an irgendeiner x-beliebigen Oberfläche. Sie suchen die Wunde und streuen ordentlich Salz hinein. „Wir sind die Reichen/wir können’s uns leisten/all’ unsere Wünsche/von der Liste zu streichen“, heißt es etwa im Lied ´Die Reichen´. Doch bevor solche Texte entstehen, lassen die beiden Guaias, das erlebte Revue passieren. Schließlich sollen es keine Agit-Prop-Texte sein.
„Wir sind schon der Auffassung, dass Botschaft und Poesie sich gegenseitig nicht ausschließen“, darauf legt Elias Gottstein größten Wert, „und das Revue passieren lassen hat auch noch einen anderen Grund. Wenn wir unterwegs sind, sitzen wir ja nicht als Beobachter in Cafés oder sind als flanierende Kundschafter unterwegs. Wir machen Musik auf der Straße, das erfordert zunächst mal unsere ganze Konzentration und das Beobachtete wird dabei zwar aufgenommen, aber steht nicht sofort für eine Bearbeitung in Textform zur Verfügung.“
Den ganzen Sommer über wird gereist und auf der Straße gespielt und im Winter wird am Rückzugsort geschrieben. Dabei ist der Kopf ein wunderbarer Filter; denn alles, was er in der kalten Jahreszeit an Erinnerungen noch parat hat, das muss so wichtig gewesen sein, dass es noch präsent ist.
„So treffen wir die Auswahl der Textgrundlagen eigentlich nicht bewusst“, lacht Carl Luis Zielke, „der Kopf hat schon mal vorsortiert.“
Überraschendes Klangpuzzle
Auch an der passenden Musik wird in den Wintermonaten gearbeitet. „Entscheidende Ideen für erste Skizzen, die sind immer wahnsinnig schnell da“, berichtet Elias Gottstein, „die Ausarbeitung bis hin zum fertigen Stück, die dauert dann immer erstaunlich lange.“
Man muss bei Guaia Guaia nicht besonders genau hinhören, um zu merken, dass es dem Duo bei jedem Stück auch immer um Instrumentierung geht. Und zwar weit über die Möglichkeiten zweier Musiker hinaus.
„Manches Mal ist es so, dass sich Instrumente förmlich aufdrängen“, fährt er fort, „dann wieder spiele ich mit allen möglichen Instrumenten rum, die digitalen großen Instrumentenbibliotheken in den Studios lassen eine solche Experimente ja heute zu. So können wir ganz in Ruhe hinzufügen, anhören, verwerfen, was Anderes probieren und dann irgendwann die endgültige Entscheidung fällen. Diese ausgewählten Instrumente werden dann letztlich in echt eingespielt. Doch haben wir auch ganz bewusst elektronische Akzente gesetzt.“
Durch diese Kombination aus akustischen Instrumenten und elektronischen geprägten Flächen ergibt sich eine charmante kreative Reibung. Immer bewusst ein wenig schief gesetzt. Eine so wunderbare perfekte Unperfektheit, die vielleicht auch daher rührt, dass Guaia Guaia die Lieder auf der Straße getestet haben, bevor es mit ihnen endgültig ins Studio ging.
„Dort haben sich die Stücke durchaus auch noch mal verwandelt“, erzählt Elias Gottstein, „hinzu kommt, dass wir auf der Straße auch Sicherheit gewinnen, was etwa eine problematische Textaussage anbetrifft. Häufig zweifeln wir und sind überrascht, dass die Leute durchaus verstehen, was wir meinen.“
Trotz der Tatsache, dass Guaia Guaia über klare Textbotschaften reden, über deutliche Aussage, so hebt keine einzige Textzeile den Zeigefinger. Die Texte zeigen das Duo eher als Suchende, die zwar beobachten und auch Missstände anprangern. Aber nicht gleich tausend Antworten parat haben.
So klar und eindeutig, wie die Texte daher kommen, so unkonventionell und immer wieder überraschend ist das Klangpuzzle von Guaia Guaia. Von weit her schleicht sich beispielsweise ein Musette-Schifferklavier ins Lied und wird von einer fetten, verhallten Posaune vertrieben. Scheppernde Rhythmen und böse Basslinien helfen ihr dabei und machen so Platz für sägende Synthesizernoten. Auch hingetupfte Streicherklänge tauchen auf, verschwinden wieder. In jedem Lied wird aus dem Duo am Ende eine mächtige Kapelle, ein großes Orchester, das voller Spielfreude weiter und weiter zieht.
Aktuelles Album: Eine Revolution ist viel zu wenig (Vertigo / Universal Music)
Foto: Franz Hametner