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SKULLCRUSHER

Die Rückkehr zum eigenen Ich

SKULLCRUSHER

Mit ´Quiet The Room´ öffnet Helen Ballentine eine Tür zu ihrer Welt. Dass die Lieder der hinreißenden ersten LP ihres Projekts Skullcrusher bisweilen klingen, als seien sie am offenen Fenster aufgenommen worden, ist kein Zufall, sondern Sinnbild dafür, dass die ursprünglich aus Mount Vernon, New York, stammende, inzwischen in Los Angeles heimische Singer/Songwriterin nun mehr als zuvor bereit ist, sich zu öffnen. Die Simplizität ihrer bodenständigen Folk-Anfänge tauscht sie dabei gegen explorative Soundscapes, mit denen sie das unterschwellige Gefühl der Beklemmung und Verwirrung der Kindheitserinnerungen einfängt, die den Songs des Albums inhaltlich als roter Faden dienen.

Helen Ballentine war selbst durch die COVID-Pandemie nur schwer zu bremsen. Gleich mit der Skullcrusher-Debütsingle ´Places/Plans´ und der folgenden ´Skullcrusher´-EP rannte die junge Amerikanerin vor zwei Jahren allenthalben offene Türen ein, bevor sie mit den fünf Songs ihrer zweiten EP, ´Storm In Summer´, vor Jahresfrist den nächsten Satz nach vorn machte. Folkige Natürlichkeit im Stil von Nick Drake und Elliott Smith flossen dabei mit unerwarteten Shoegaze-Sounds im Geiste von Radiohead oder My Bloody Valentine und einem unüberhörbaren Faible für Ambient-Electronica in Liedern zusammen, die gleichermaßen vertraut und einzigartig klangen und weit über das hinausgingen, was man dieser Tage von der Generation Indie-Folk erwarten darf.



Nachdem Ballentine in der Vergangenheit vor allem mit Menschen aus ihrem unmittelbaren persönlichen Umfeld wie ihrem Partner Noah Weinman (alias Runnner) zusammengearbeitet hatte, schlägt sie für ´Quiet The Room´ nun ein neues Kapitel auf. Gemeinsam mit Produzent Andrew Sarlo setzt sie auf einen bemerkenswerten Breitbild-Ansatz mit spürbar mehr Intensität, bei dem organische und elektronische Elemente bruchlos zusammenfinden, ohne dass sie den bisweilen sanft psychedelisch umspülten Sound ihrer ersten Veröffentlichungen vollends aus den Augen verliert. „Mir gefiel, dass wir zwar beide eher aus der Folk-Ecke kommen, er aber ein Interesse daran hatte, die Produktion etwas experimenteller zu gestalten, denn genau das wollte ich auch“, sagt Ballentine im Westzeit-Interview über die Kollaboration mit Sarlo, der zuvor bereits mit Big Thief oder Courtney Marie Andrews zusammengearbeitet hatte. „Der Wunsch, einfach einiges auszuprobieren und verschiedene Einflüsse zuzulassen, hat uns verbunden.“



Klanglich blickt Ballentine nach vorn, textlich dagegen wandert ihr Blick zurück. Für ´Quiet The Room´ kramt sie in ihren frühsten Erinnerungen, richtet ihr Hauptaugenmerk dabei allerdings nicht auf die oft zitierte Unschuld der Kindheit, sondern eher auf deren Komplexität. Wohlige Nostalgie verwandelt sich so bisweilen unerwartet plötzlich in düsteres Unbehagen, wenn sie in Songs wie ´Building A Swing´, ´Outside, Playing´ oder ´Window Somewhere´ verschwommene, aber oft schmerzvolle Erinnerungen in den Fokus rückt, die vor allem mit der langwierigen Scheidung ihrer Eltern verknüpft sind, und sie in ergreifende Songs übersetzt, mit denen sie wiederkehrende Alpträume ihrer Kindheit und die dunklen Schatten eines familiären Traumas aufgreift. Wer allerdings dahinter nur traurige Selbstfindungslyrik vermutet, hat nicht verstanden, worum es Ballentine geht. „In meine Vergangenheit einzutauchen und diese Erinnerungen zu teilen, gibt den Menschen die Chance, ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, was ich heute mache“, erklärt sie, wenngleich das natürlich nicht bedeutet, dass die Beschäftigung mit diesen Themen nicht auch für sie selbst wertvoll gewesen ist. „Ich habe definitiv das Gefühl, dass ich während des Schreibens und während der Aufnahmen viel verarbeiten konnte“, verrät sie. „Das war eine Zeit der Selbstreflexion, und über sich selbst nachzudenken, führt immer dazu, dass man daran wächst. Diese Platte ganz speziell hat dafür gesorgt, dass ich jetzt viel mehr im Reinen mit mir selbst und dem Projekt bin.“ Dabei weiß Ballentine natürlich, dass der Wunsch, sich durch die Kunst auszuleben, bisweilen auch mit gewissen erzwungenen Veränderungen einhergeht, die unausweichlich sind, wenn man sein Hobby zum Beruf macht. Für sie ist das Fluch und Segen zugleich. „Ich bin tatsächlich stets hin- und hergerissen bei der Frage, ob ich all das hier wirklich für Geld machen will“, gesteht sie. „Man muss sich vor Augen führen, dass man nicht für die Freiheit selbst bezahlt wirst, sondern für das, was man mit dieser Freiheit erschaffen hat.“



Aussagen wie diese unterstreichen, dass Ballentine ihr Tun nicht nur akribisch reflektiert, sondern auch, dass die Unsicherheit, die sie bei der Veröffentlichung ihrer ersten Lieder noch spürte, in den vergangenen zwei Jahren einer neuen Selbstsicherheit gewichen ist. „Seit ich mich entschlossen habe, die Musik zum Mittelpunkt meines Lebens zu machen, habe ich das Gefühl, wieder mehr zu mir selbst zurückgekehrt zu sein“, sagt sie. „Als Jugendliche oder junge Erwachsene entfernst du dich bisweilen von deinem Selbst, weil du irgendwo dazugehören willst oder dich deiner Umgebung anpassen willst. Ich fühle mich in vielerlei Hinsicht jetzt sicherer, und vielleicht hätte ich dieses Gefühl unterdrückt, wenn ich einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Trotz all der offensichtlichen Schwierigkeiten, die mit meiner Entscheidung einhergegangen sind, betrachte ich die Frage, was Menschen aus ihrem Leben machen und wie wichtig diese Entscheidung ist, jetzt mit viel mehr Leidenschaft. Ich bin sehr glücklich, mich nicht für einen Weg entschieden zu haben, der womöglich leichter gewesen wäre, auch wenn sich das, was ich nun tue, manchmal schon ziemlich verrückt anfühlt!“



AKtuelles Album: Quite The Room (Secretly Canadian/Cargo)


Weitere Infos: www.skullcrusher.online Foto: Angela Ricciardi

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