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RIDE

Trick und Frieden

RIDE

Egoismen, Streit, Zerwürfnisse – die Geschichte der Shoegazing-Pioniere von Ride liest sich abenteuerlich. Kaum Hoffnung gab es zwei Jahrzehnte lang auf neues Material und doch haben sich die Streithammel von einst aufeinander zubewegt: Erst für eine Handvoll Reunion Shows, dann für lockere Sessions im Studio.

„Wir machten uns keinerlei Druck, schauten einfach was passiert und fast unbemerkt entstanden neue Songs“, erzählt ein durchweg entspannter Andy Bell, der zusammen mit seinem Kollegen Mark Gardener das Kreativzentrum der Band bildet und sichtlich stolz auf ´Weather Diaries´ ist. Das erste gemeinsame Album nach über 20 Jahren Schaffenspause, mit dem die Macher ihren Blick fest Richtung Zukunft richten und clever genug sind, die Schatten der Vergangenheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Neun Uhr morgens ist nicht unbedingt das, was die meisten unter Rock’n’Roll verstehen. Andy Bell weiß dies selbst am besten und muss zur Begrüßung schmunzeln:

„Ich bin schon seit drei Stunden auf den Beinen, habe die Kids zur Schule gebracht und auf dem Rückweg eingekauft.“

Ein ganz anderes Szenario als noch zu Zeiten des letzten Albums ´Tarantula´. 1996 veröffentlicht, präsentierten sich Ride damals als ungezogene Rockstars und erlaubten sich eine Eitelkeit nach der nächsten. So wollten Bell und Gardener u.a. nicht, dass ihre jeweils alleine geschriebenen Songs auf derselben Seite der Vinylversion landen.

Was rückblickend absurd erscheint und das anschließende Zerwürfnis ziemlich gut erklärt:

„Im Prinzip gab es zu diesem Zeitpunkt keine Band mehr. Die eigene Perspektive wurde wichtiger als gemeinsame Entscheidungen und irgendwann knallte es“.

Oder auch nicht, denn obwohl zig Interna in die Öffentlichkeit getragen wurden, lauten Krach gab es nie.

Worüber sich Ride heute freuen, zumindest dies verhindert zu haben. Dabei erstaunt die offene Art mit der sich alle Beteiligten den Fragen der Presse stellen und kein Blatt vor dem Mund nehmen – was das eigene Verhalten und die stille Akzeptanz dessen innerhalb ihres Umfelds betrifft.

Andy Bell: „Wie Kinder haben wir uns aufgeführt und niemand haute richtig auf den Tisch. Weder Management noch Label mischten sich ein und verstanden unseren Umgang miteinander fälschlicherweise als Ausdruck künstlerischer Freiheit.“

Die sie mit dem neuen Album ´Weather Diaries´ wieder produktiv umsetzen und knapp 21 Jahre später zum Comeback nutzen – im Zuge dessen sich Ride als die Band zeigen, die sie damals gerne schon gewesen wären: Erfahren, fokussiert und als Einheit agierend, wagen die Songs Rückblick und Aufbruch zugleich.

Anders wäre all das nicht machbar gewesen, erfährt man auf Nachfrage und spürt die Erleichterung darüber, der schwierigen Phase Mitte der 1990er endlich ein versöhnliches Kapitel folgen zu lassen. Womit zugegebenermaßen nur noch die größten Optimisten gerechnet hätten, wie Bell gleichwohl erklärt:

„Es gab 2001 schon einmal den Versuch der Zusammenkunft. Im Zuge einer Dokumentation über Sonic Youth wurden wir während einer Jam-Session gefilmt und obwohl alles ausgesprochen friedlich verlief, ergab sich nicht das Gefühl es unbedingt neue Songs schreiben zu müssen."

Andererseits erkannten Ride, dass dies eines Tages wieder funktionieren könnte und so wurden die 2015 anberaumten Reunion-Gigs die Grundlage zur anschließenden Rückkehr ins Studio.

„Da hatten wir bereits alle Familie daheim und klar, wenn du erst einmal Vater bist, siehst du die Dinge entspannter. Egal wie wichtig die Musik erscheint, es gibt immer Wichtigeres in deinem Leben – die Kids.“

Wegen denen zwar pünktlich 6 Uhr der Wecker klingelt, das Comeback von Ride aber ebenso erleichtert wurde.

Kaum ausgesprochen, berichtet Andy Bell von seiner Tochter, die gerade im Teenageralter angekommen, langsam die Alben des Papas entdeckt und ´Weather Diaries´ als eine der ersten komplett hören durfte – mit positivem Fazit und Erleichterung im Blick der Erziehungsberechtigten.

Genau in diesem Moment sei Bell sicher gewesen, dass Ride mit den Tracks in die Öffentlichkeit gehen können und obwohl die Fragen zur Vergangenheit sie dabei stets begleiten, ist die Zukunft nun das, worauf sich alle Beteiligten konzentrieren. Mag es auch manchmal schwer werden, man habe inzwischen gelernt entspannt zu bleiben.

Ob ´Weather Diaries´ daher eine einmalige Sache oder der Startschuss einer zweiten Karriere ist, lässt Andy Bell zur Verabschiedung offen und nimmt einen letzten Schluck Kaffee – ehe der Zettel mit den heutigen Todos ihn für den Rest des Tages beanspruchen wird. Was jetzt wichtiger sei, so sehr er sich statt der Erledigung lieber seiner Gitarre widmen würde.

Durchgeatmet und angekommen, Ride haben über Umwege zueinandergefunden und können deswegen entspannt sein, weil nicht mehr alles überlebensgroß wirkt.

Aktuelles Album: Weather Diaries (Wichita / PIAS / Rough Trade)

Foto: Andrew Ogilvy

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