Die Story von Balthazar beginnt eigentlich erst jetzt. Obwohl die Belgier bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich haben, ist Sänger Maarten Devoldere froh darüber, dass das mit der Musik endlich zu klappen scheint: „Während der Aufnahmen zu ‚Rats‘ hatten wir erstmals das Gefühl, die Sache könnte funktionieren“, freut er sich und betont, dass der zweite Longplayer so etwas wie ein Debüt für ihn sei. Aus gutem Grund, denn Selbstvertrauen und Angriffslust prägen die Tracks und könnten Balthazar aus dem Schatten des Geheimtipps herausmanövrieren – der lange Weg dorthin hätte allerdings genauso in eine Sackgasse führen können.
Spielt eine europäische Band beim amerikanischen SXSW-Festival in Austin/Texas, hört man in der Regel nur Jubelarien im Anschluss und doch hält sich Maarten Devoldere gekonnt zurück. Gerade aus dem Flieger gestiegen, ist seine Euphorie überschaubar und etwas nüchtern konstatiert er:„Da treten circa 500 Bands auf und wir waren eine davon. Du musst dich also ganz schön ins Zeug legen, wenn jemand den Gig sehen soll. Ich hatte das Gefühl, mehr Musiker als Gäste laufen dort rum und obwohl wir uns über die Erfahrung freuen, so richtig springt der Funke nicht über.“
In Anbetracht dessen, dass Devoldere und sein Bandkollege Jinte Deprez vor einigen Jahren noch in den Straßen ihrer Heimatstadt Gent vor Passanten auftreten mussten, ist indes jedes Festival in Amerika ein Erfolg.
Mit der Musik angefangen habe er im Alter von 17 Jahren – „eigentlich nur aus Zeitvertreib und nicht weil ich eine Art Erleuchtung hatte. Anfänglich gab es keine Möglichkeiten für Jinte und mich irgendwo Konzerte zu geben, also wählten wir als Schauplatz die Straße. War ein ganz schöner Wettstreit, wenn ich mich recht erinnere.“
Der sich jedoch weniger auf die Gunst der Zuhörer konzentrierte, als vielmehr auf deren Geld. Immerhin zeigen Spenden am deutlichsten, ob die Darbietung Gefallen findet oder nicht, ergänzt Devoldere mit leichtem Lächeln: „Wir hatten circa sechs eigene Songs und spielten die hoch und runter“.
Aus dem anfänglichen Duo wurde bald ein Trio, denn Jinte Deprez brachte die Klassenkameradin Patricia Vanneste mit und nach kurzer Kennenlernphase entschloss man sich, die Auftritte ab sofort nur noch zu dritt zu absolvieren.
„Obwohl wir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich wussten, wo das enden soll“, erfährt man mit einigem Nachdruck und möchte schnell „Rats“ als Antwort hinterher schieben – ihr neues Album, dass in der belgischen Presse derzeit durchweg gefeiert wird und zeigt, wie sehr die Macher stets an sich glaubten. Denn aufeinander eingespielt sind Balthazars inzwischen ohne Frage.
Selbst die berühmten Landsleute von dEUS gehören der Fankurve an und machen Devoldere stolz: „Unsere Heimat ist klein und überschaubar, da kommen solche Kontakte ganz automatisch zustande. Allerdings bringen Komplimente dieser Art eine Sicherheit mit sich, die dir bewusst macht, dass du dich zu Recht durchgeboxt hast.“
Was passenderweise auch ein Hobby des Songwriters neben der Musik ist: Die wöchentliche Tortur am Sandsack helfe ihm beim Schreiben immens, sagt er, denn „in den Songs von Balthazar geht es meist um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Sich damit intensiv auseinanderzusetzen, ruft allerhand unangenehme Erinnerungen auf den Plan.“
Und weil sein aktueller Wohnsitz Brüssel einen ausgezeichneten Boxclub besitzt, schlendert der tapfere Einzelkämpfer dort zum Wohle seiner Kollegen häufig hin, beackert die Handschuhe und sorgt auf diese Weise dafür, dass sein Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Besser als alles untereinander auszutragen:
„Jinte und ich haben sämtliche Teenager-Rivalitäten abgelegt und freuen uns füreinander, wenn der andere mehr Applause als man selbst bekommt – so funktioniert das in einer Demokratie nun mal.“
Was auch die hinzugekommenen Balthazar-Mitglieder Simon Casier und Christophe Claeys verstanden haben und bereits beim 2010 veröffentlichten Debüt ´Applause´ verinnerlichten: Hervorragende Musiker seien sie, betont Devoldere und meint, dass er ihnen gegenüber schon etwas unbeholfen wirke.
Mit Aussicht auf einen Plattenvertrag habe er sie geködert und niemand könne sich die Musik derzeit ohne den jeweils anderen vorstellen - ´Rats´ legt davon Zeugnis ab: Die Lyrics befinden sich stets auf der Suche nach dem perfekten Miteinander, werden durch wundervoll gespielte Arrangements ergänzt und herrlich aufgetragene Pop-Momente abgerundet.
Serge Gainsbourg und Scott Walker werden hierfür von Kritikern als Referenzen genannt – zur Verwunderung Balthazars allerdings: „Wir haben das öfter gehört und ich bin erstaunt, denn Scott Walker ist ziemlich weit weg. Ich selbst bin mit Roxette aufgewachsen und deren Album ‚Joyride‘ gehört zu meinen meistgehörten Platten daheim.“
Der Humor ist ihnen also nicht abhandengekommen und sicher ist ´Rats´ auch deswegen entspannter als das Debüt ´Applause´, weil hier wird nicht mit Scheuklappen die eigene Vision umgesetzt wird, sondern man eher ausprobiert und schaut, was am Ende herumkommt.
„Im Prinzip sind wir Straßenmusiker geblieben, denn ich realisiere das nicht als meinen Job, was aktuell passiert. Eher als Angebot und wer es annimmt, dem bin ich dankbar, wer es nicht mag, okay, darf ruhig was anderes hören.“
Den harschen Albumtitel ´Rats´ haben Balthazar ebenfalls aus gutem Grund gewählt:
Als die Combo vor einiger Zeit auf Tour war und ihre Wohnungen kurzerhand untervermietete, konnte Jinte Deprez bei seiner Rückkehr den eigenen Augen nicht trauen: „Die war vollkommen verwüstet. Der Zwischenmieter entpuppte sich als Messie aller erster Güte und sogar zwei Ratten liefen herum – eine unfreiwillig gute Steilvorlage war das Ganze.“
Lacht Devoldere und bekommt sich gar nicht mehr ein. „Ich stand neben ihn, als er das Chaos sah und klopfte ihm auf die Schulter. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und wir räumten zusammen auf.“
Die einzelnen Karriereschritte Balthazars – weg von der Groschendose in kleinere Hallen, größere Locations und schlussendlich auf Konzertreise nach Amerika – zeigen derweil deutlich, dass sich alle Beteiligten zu motivieren wussten und manchmal auch das schwerste Los angenehm einfach sein kann.
„Ich habe mich bereits in verschiedenen Jobs probiert und weiß mit 25 endgültig: Einzig Balthazar funktioniert für mich und ergibt Sinn. Jinte stimmt dem absolut zu und dem Rest wurden Unmengen an Geld versprochen, damit sie weitermachen.“
Mit dem neuen Album dürfte es für die Band interessant werden: Belgien ist per se vielleicht nicht für Traumbilanzen im Independent-Segment bekannt, aber allein der Durchbruch von dEUS macht Mut.
Immerhin spielten die Kollegen beim diesjährigen SXSW-Festival nicht – der Vorsprung ist getan. Den Rest können Balthazar nicht mehr beeinflussen und müssen allein auf die Qualitäten ihres zweiten Werks ´Rats´ vertrauen. Was bei aller kritischen Herangehensweise nicht enttäuschen dürfte.
„Es fügt sich schon – im vergangen Jahr verzockte zum Beispiel ein Freund von uns das gesamte Geld vom Konto an irgendwelchen Spielautomaten und siehe da: Nun revanchierte er sich und gestaltete das Cover kostenlos. Manche Sachen muss man einfach laufen lassen und selbst wenn es erst mal nicht hinzuhauen scheint, öffnen sich die Türen von ganz allein.“
Zuversicht und Selbstvertrauen haben Balthazar in der Vergangenheit genug getankt und wenn sie demnächst wieder über den großen Teich schippern, dürften sich beim erfolgreichen Stelldichein alle Restzweifel verflüchtigen.
Die Sache mit der Musik, sie hat bis jetzt bestens geklappt und ein Knockout ist nicht in Sicht.
Aktuelles Album: Rats (Play It Again Sam / PIAS / RTD)
Foto: Charlie de Keersmaecker