Fast schon hatte man Cherilyn MacNeil aus den Ohren verloren. Nachdem 2013 das Album ´Rivonia´ - ihre Hommage an die südafrikanische Heimat - erschienen war, gab es mit dem Live-Album ´We Followed Every Sound´ im gleichen Jahr und dem Soundtrack zu dem Spielfilm ´Oh Boy´ nur noch vereinzelte Lebenszeichen, bis jetzt - vier Jahre später - das neue Album ´Day Fever´ in den Läden steht.
´Day Fever´ ist ein heute nicht mehr gebräuchliches Synonym für den Begriff Hysterie, den Cherilyn wählte, weil er in gewisser Weise den Zustand beschreibt, in dem sie sich befunden hatte, als sie die neuen Songs schrieb.„Ich bin mir sicher, dass ich früher als ´hysterisch´ diagnostiziert worden wäre“, erklärt sie das, „denn all meine Neurosen und Ängste und Depressionen hätten sich leicht unter dem Begriff 'Hysterie' als Krankheitsbild zusammenfassen lassen. Und den Begriff 'Day Fever' fand ich deswegen passend, weil sich mein Zustand tatsächlich als Tages-Krankheit darstellte, weil ich viel alleine während des Tages zu arbeiten versuchte und abends, wenn ich unter die Leute kam, alles besser erschien.“
Dazu muss man erstens wissen, dass Cherilyn MacNeil als Person alles andere als ein Spiegelbild der fröhlichen, humorvollen Bühnenpersona darstellt und dazu neigt, die von ihr angesprochenen Neurosen und Ängste in düsteren, kryptischen und teilweise desolaten Texten zu verarbeiten und dass diese zweitens auf ´Day Fever´ tatsächlich noch ein Mal eine Spur düsterer und desolater ausgefallen sind, als auf ihrem zweiten Album ´Idealistic Animals´, auf dem dieser Trend erstmals offensichtlich wurde. Warum war das dieses Mal wieder so dringlich, nachdem es auf ´Rivonia´ eher um klassisches Storytelling ging?
“Nun, ich habe eine Menge über mein Leben und meine Zukunft nachgedacht“, führt sie aus, „ich bin ja jetzt eine Frau in den 30ern und spüre einen gewissen Druck diesbezüglich, wie sich mein Leben weiterentwickeln soll. Als ich jünger war, dachte ich, dass ich alles machen und sein könnte. Heutzutage muss ich mit dem Umstand klarkommen, dass es nur soundsoviel Zeit gibt und ich mich entscheiden muss, was ich machen möchte – möchte ich mit Kindern und Familie auf dem Land leben? Möchte ich eine Künstlerin sein? Möchte ich reisen und alles zurück lassen? Es gibt da also diese Angst, dass ich ja nicht alle diese Dinge tun kann. Und das ist das eigentliche Thema der neuen Scheibe, denn ich habe mich da ganz schön in diese Gedankenwelt hineingesteigert.“
Musikalisch ist ´Day Fever´ eine Art Neuanfang, denn nachdem sie ihr letztes Album alleine in ihrem Studio zusammengebastelt hatte, begab sie sich dieses Mal unter die Obhut des Indie-Produzenten John Vanderslice in San Francisco, der die Philosophie vertritt, die Songs analog in direkten Takes einzuspielen, während Cherilyn bislang gewohnt war, die Stücke im Studio im Patchwork-Verfahren zusammenzusetzen. Vielleicht war diese Art von Kontrollverlust, genau das, was Cherilyn gebraucht hatte?
„Oh definitiv“, pflichtet sie bei, „John wollte ja immer komplette Takes aufnehmen – was bedeutete, dass ich zum Beispiel kleine Fehler nicht mehr korrigieren konnte, wie ich das gewohnt war. Am Ende aber habe ich eingewilligt es zu belassen.“
Das hieß es dann wohl, die Zähne zusammenzubeißen, oder?
„Aber wie“, meint Cherilyn, „aber John hat mir dann erzählt, dass für nahezu alle Musiker, mit denen er zusammenarbeite, diese Art des Ansatzes neu und schwierig sei und ich eine der wenigen gewesen sei, die das am Ende ohne Einschränkungen zugelassen habe. Das ist vielleicht auch der Grund, warum es am Ende so gut funktioniert hat. Ich hatte zunächst ja keine Ahnung gehabt, was ich machen wollte und mich in den drei Jahren, an denen ich an den Stücken alleine gearbeitet hatte, in zu vielen Details verzettelt. Für mich war die zwei Wochen in San Francisco vielleicht die besten meines Lebens.“
Was also bedeutet, dass nicht nur die Zeit, sondern auch die Musik alle Wunden heilt – auch die hysterischen ...
Aktuelles Album: Day Fever (City Slang / Universal)