Besonders eilig hat es Valerie June nicht gerade. Nachdem die Dame aus Tennessee ihre musikalische Karriere – damals zusammen mit ihrem Ehemann Michael Joyner unter dem Projektnamen Bella Sun – bereits um die Jahrtausendwende angestoßen hatte, wurde es (nachdem die Ehe in die Brüche ging) zunächst ein Mal ein wenig ruhiger, bevor Valerie dann ihre Solo-Karriere zunächst mit einer Reihe selbst verlegter Tonträger ans Laufen brachte.
2013 erschien dann schließlich das von Dan Auerbach mitproduzierte Album ´Pushing Against The Stone´, das für Valerie den künstlerischen und kommerziellen Durchbruch brachte. Nun – immerhin vier Jahre später – liegt schließlich auch das neue Album, ´The Order Of Time´ vor. Der Titel des Werkes lässt dabei schon erahnen, dass sich Valerie offensichtlich dem Regime der Zeit unterworfen hat, als es daran ging, das neue Material zu Gehör zu bringen. Wie ist sie denn dieses Projekt angegangen?„Das ist eine gute Frage“, erläutert sie, „ich bin das Album rein als Songwriterin angegangen – und zwar über einen Zeitraum von 10 oder sogar 12 Jahren, denn in diesem Zeitraum habe ich die Songs geschrieben, aus denen ich dann jene für das neue Album auswählte. Das ging dann ungefähr so: Ich empfing also einen Song, dann lebte ich ein wenig damit, dann kam ein neuer Song und so weiter. Ich gehöre dabei nämlich zu diesen Songwriterinnen, die immer Songs schreiben. Es gab somit also keinen anderen Ansatz als einfach Songs zu schreiben. Und die größte Herausforderung war, aus der langen Liste von 200 Songs, die ich am Ende hatte, die herauszusuchen, die auf der Scheibe erscheinen sollten. Ich gab also diese Liste dem Produzenten Matt Marinelli und meinte, dass wir beide eine Top 15 Liste heraussuchen sollten und uns darauf fokussieren sollten, diese dann aufzunehmen. Weil es zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt kein Thema oder keine Leitlinie – außer der, dem Song gerecht zu werden – gab.“
Das Thema der Scheibe ergab sich dann also aus der Chronologie der Stücke, die Valerie für die Scheibe ausgewählt hatte. Warum ist denn der Titel einer Scheibe so wichtig?
„Weil der Titel das erste ist, mit dem sich die Scheibe der Welt präsentiert“, meint Valerie sehr bestimmt, „es ist also sehr wichtig, wie eine Scheibe heißt. Nur da ich dieses Mal so viele verschiedene Genres und Stimmungen und Stile und Geschichten hatte, war es eben auch sehr schwer, einen Titel zu finden.“
Nach welchen Gesichtspunkten wählte Valerie denn die ihr geeignet erscheinenden Stücke aus? „Ich muss daran denken, dass ich die Songs ja oft spielen muss“, führt Valerie aus, „mit 'Pushing Against The Stone' war ich ja zwei Jahre lang unterwegs und habe ca. 400 Shows gespielt. Was also immer ich auch aussuche und singe, muss ich mit ganzem Herzen singen können – weil ich es 400 Mal tun muss – Abend für Abend. Und ich möchte keinesfalls auf Autopilot singen, sondern mit voller Leidenschaft bei der Sache sein und jedes Detail in meinen Knochen spüren können. Die einzige Weise mit der ich das sicherstellen kann, ist, dass ich die Songs auswähle, mit denen ich mich in diesem Moment – in diesem Zeitabschnitt - verbunden fühle. Es ist also gar nicht so einfach einfach nur ein paar Songs zu schreiben und eine Scheibe aufzunehmen. Du musst das ganze Umfeld, die Promotion, die ganze folgende Tour - im Blick winkel haben.“
Und man muss ja auch bedenken, dass man mit den Songs als Performer eine sehr lange Zeit leben muss, richtig?
„Exakt“, bestätigt sie, „mir ist immer klar, dass so etwas Zeit braucht und eine lange Reise darstellt. Ich meine: Manche Künstler müssen ihren Hit-Song ihr ganzes Leben lang singen. Es ist also schon sehr wichtig, welche Songs man auswählt – und darüber habe ich halt nun mal die Kontrolle.“
Dabei ist Valerie June alles andere als ein Control-Freak. Wenn es zum Beispiel darum geht, Songs zu schreiben – oder wie sie lieber sagt „zu empfangen“ - hat sie ganz eigene Ansichten. Es ist ja schwer vorstellbar, dass jemand wie Valerie June in Kategorien wie ´Stile´ oder ´Genres´ denkt, oder?
„Nein – das kann ich nämlich gar nicht“, räumt sie ein, „für mich ist das so, dass die Songs vorgeben, was sie sein wollen. Einfach weil ich keinen Schalter umlegen kann und mich zum Beispiel dafür entscheiden kann, einen Country- oder Folk- oder Rock-Song zu schreiben. Mein Job ist nämlich, herauszufinden, was ein Song sein will und das zu berücksichtigen. Es ist dabei so, dass mir die Songs schon sagen, wenn etwas nicht funktioniert. Ich sage dann zu den Musikern: 'Das funktioniert nicht – kannst Du es auf eine andere Weise versuchen'. Ich kann ihm aber nicht sagen, was er machen soll. Aber: Ich höre sofort, wenn es funktioniert und sich mit dem deckt, was ich in meinem Kopf habe. Ich weiß aber vorab nie alle Details, die der Song mir offenbart – bis ich sie höre. Was aber immer wieder passiert, ist die Tatsache, dass mich die Songs in jene Settings mitnehmen, in denen sie ursprünglich entstanden sind. Ich versuche dann, diese den Musikern zu beschreiben.“
Dafür gibt es doch noch den Produzenten – Matt Marinelli – als Übersetzer, oder?
„Matt Marinelli kann in der Tat in technischen musikalischen Begriffen sprechen – ich nicht“, bestätigt Valerie, „er versteht aber meine Art, über Musik zu sprechen und kann den Musikern dann in technischen Begriffen erklären, was er da heraushört. Ich sage ihm zum Beispiel so etwas wie: ´Ich brauche das etwas fusseliger und grau, so, als gingest Du an einem nebligen Tag in London am Ufer entlang´ oder ´es müsste etwas magischer sein, so als ginge man mit einem Märchenbuch ins Bett´ - und er kann daraus Anweisungen machen, die Musiker in technischer Hinsicht verstehen können. Wenn es dann immer noch nicht funktioniert, bekommen alle eine zweite Chance indem sie so spielen sollen, wie sie sich selbst fühlen. Wenn das alles nichts bringt, dann ist mir klar, dass der Song nicht der richtige ist und ich wähle einen anderen aus. Am Ende geht es einzig darum, dem Song zu dienen.“
So, wie es Valerie sieht, ist die Zeit der alles übergreifende, ordnende Faktor im Leben, dem sich nichts und niemand entziehen kann. Assoziiert sie da eigentlich auch eine spirituelle Qualität der Zeit?
„Ja - das tue ich“, pflichtet Valerie bei, „denn in diesen unseren Körpern auf dieser unserer Erde werden wir von der Zeit regiert. Egal was es auch ist – alles wird von der Zeit berührt – jedes einzelne Ding. Es ist natürlich schön, dass wir hier und jetzt in diesen unseren Körpern existieren. Aber wir hätten ja auch in einer anderen Zeit geboren worden sein können. Ist es nicht irgendwie magisch, dass wir gerade zufällig jetzt beide an diesem Ort existieren – wegen der Ordnung der Zeit? Das ist doch irgendwie spirituell, oder? Und wenn der Geist den Körper verlässt, dann bleibt die Zeit nicht stehen, sondern geht weiter – und ich denke, dass auch der Geist weiter und weiter und weiter existiert. Alles ist gegenüber der Zeit relativ – also ist die Zeit eine Art Herrscher.“
Kann man das etwas genauer ausführen?
„In dem Song ´Love You Once Made´ heißt es ja ´die Zeiger der Zeit drehen sich in die Ferne´“, erklärt Valerie, „Ich habe darüber nachgedacht, als mein Vater verstorben ist. Zwar weiß ich nicht ganz genau, was meine Songs bedeuten – weil sich deren Bedeutung täglich für mich ändern kann – aber als ich den Song neulich sang, eröffnete sich für mich die Bedeutung, dass mein Vater weiter lebt, während sein Körper zurück blieb. Wir hatten uns natürlich bemüht, alles zu tun, ihn bei uns behalten zu können – blieben bei ihm, ermöglichten alle erdenkbaren Therapien – aber am Ende ist der Körper natürlich endlich. Was also bleibt, ist der Geist – und das ist die kraftvollste Art, in der ich über die Zeit reflektieren kann.“
Vielleicht ist es dabei eine Art Ironie des Schicksals, dass Valerie's neue CD musikalisch tatsächlich eine gewisse zeitlose Qualität besitzt. Immerhin treffen hier klassisches Songwriting auf klassische musikalische Tugenden, Stile und Vibes. Eines steht jedoch fest: Philosophisch und künstlerisch ist das alles absolut schlüssig und wasserdicht. Valerie June hat die Zeit – nun ja vielleicht nicht gerade im Griff – aber doch im Blick.
Aktuelles Album: The Order Of Time (Concord / Caroline International) Vö: 10.03.
Foto: Danny Clinch