Nach der Apokalypse kommt ein neuer Morgen. Bill Callahan sieht wieder Land in Sicht und klingt auf dem neuen Album ´Dream River´ versöhnlicher denn je. Dem stetigen Kampf mit den Dämonen überlässt er vorerst anderen und fühlt sich als Songwriter endlich angekommen: „Vielleicht liegt es an meinem Alter oder den vielen Jahren, die ich schon Musik mache – die Gründe mögen unterschiedlich sein, aber der Blickwinkel hat sich für mich ein stückweit verschoben“, erklärt der ehemalige Smog-Frontmann und entdeckt auf seinem Weg trotzdem Dinge, die ihm schon einmal unter die Augen kamen. Allen voran das Sinnbild des Flusses, der den Fortlauf des Lebens für ihn repräsentiert; wollen sich Callahans neue Songs hinter nichts und niemanden mehr verstecken – so entsteht ein Blick zurück nach vorn.
Die Szenerie könnte kaum abstruser sein. Bill Callahan, der Mann, der einst nicht einmal mit Journalisten telefonieren wollte, lädt selbige tatsächlich zu Skype-Gesprächen ein und stellt von sich aus die Webcam an – „Hallo, Bill hier!“, ruf er einem entgegen und sucht sofort den Blickkontakt.Vergessen werden darf immerhin nicht, von welch Menschen-scheuen Ort dieser Künstler einst kam: Als er vor über 20 Jahren mit dem Projekt Smog startete, verwehrte sich Callahan im Prinzip allem und jedem. Hungerte laut Überlieferungen sogar während diverser Albumaufnahmen so lange, bis diese erfolgreich abgeschlossen waren und kann über solche Geschichten heute nur noch schmunzeln.
„Es passte für viele ins Bild und vollkommen falsch ist es auch nicht“, lächelt er und schiebt sich das Trucker-Cap quer über den Kopf, „mir schlugen Verfehlungen im Studio immer auf den Magen und notgedrungen konnte ich kaum noch was essen. Es war also nicht der Fall, dass ich bewusst die Askese oder den Nahrungsverzicht wählte.“
Verzichtet hatte er zuletzt allerdings auf den Namenszusatz Smog und veröffentlicht seit 2007 als Bill Callahan seine Alben, die ausnahmslos Meisterwerke geworden sind. Allen voran der letzte Wurf ´Apocalypse´, der sogar vom geschmäcklerischen Pitchfork-Magazin als eine der besten Platten des Jahres 2011 gefeiert wurde, sticht im Schaffenskatalog heraus.
So sehr, dass man fast der Überzeugung anheimfiel, er könne den Kritikern von nun an leere CD-Hüllen schicken und trotzdem würden sie das Ganze zum Album des Jahres küren – Callahan lacht kurz: „Ist das in Deutschland so? Gut zu wissen, dann spare ich mir die Zeit im Studio demnächst und gehe anderen Dingen nach.“
Mit dem neuen Werk ´Dream River´verhält es sich derweil wie mit den Vorgängern: Gerne reiht man sich in die Riege derer ein, die jedes Ergebnis von ihm feiern, als würde es die Geschichte der Musik zu einem Ende denken - die Songs bilden wieder einmal Meilensteine in seinem Schaffen.
Sind zudem vielen seiner Künstlerkollegen haushoch überlegen und suchen gar die Referenz zu vorangegangenen Veröffentlichungen. Ähnlich wie beim letzten Smog-Album ´A River Ain’t Too Much To Love´ (2005) ist der Fluss im Titel zurückgekehrt und lässt „Dream River“ wirken, als versuche Callahan sich am Schulterschluss mit der Vergangenheit.
„Nein“, schüttelt er nett in die Kamera schauend den Kopf, „mich fasziniert die Natur, die ein großes Mysterium ist und auf mich eine ähnlich Wirkung wie die Religion bei vielen anderen hat. Wasser ist dafür die Grundlage und wenn man so will der Schöpfer all dessen, was uns umgibt.“
Trotzdem spielt Gott in seinen Texten eine ebenso entscheidende Rolle und wüsste man nicht, dass Callahan zwar in einem sehr religiösen Umfeld aufwuchs, dies aber aus Protest boykottierte, würde man vermuten, er habe seinen Frieden mit dem Glauben gemacht:
„Die meisten fragen sich – vielleicht zu recht – was Gott in diesem oder jenen Stein zu suchen hat und uns damit sagen will. Ich stelle mir eher die Frage, wie mein Verhältnis zu diesem Stein ist und in welchem Zusammenhang mein Körper zu diesem Körper steht. Darum geht es aus meiner Sicht und erst dann um religiöse oder spirituelle Deutungen.“
Antworten auf diese Frage verpackt er auf ´Dream River´ in zerbrechliche Nahaufnahmen bestehend aus Americana, stoischen Rhythmen und seinem unverwechselbaren Bariton. Ein Meisterwerk, schon wieder und sofort muss Callahan ob des Lobes lachen: „Also ging es bei deiner Behauptung mit den leeren CD-Hüllen mehr um dich und nicht um die anderen, gut zu wissen.“
Nicht ganz und irgendwie doch, denn es scheint unvermeidlich, dass die, die bereits von den Vorgängern in den höchsten Tönen schwärmten, auch hier in totale Verzückung geraten. Ohne die alten Dämonen steuert Bill Callahan seinen Kahn über den Fluss der Erkenntnis und auch wenn nur die eigene ist, reicht ´Dream River´ für ein ganzes Leben.
Aktuelles Album: Dream River (Drag City / Rough Trade)
Foto: Chris Taylor