Aus allen Ecken und Enden der Welt kommen die Mitglieder des Quintetts Livingston. Der Name ist übrigens keine Reminiszenz an den schottischen Afrika-Forscher Dr. Livingstone. Denn es wurde nicht etwa das ’e’ vergessen. „Er geht auf ein Buch von Richard Bach zurück“, begründet Beukes Willemse, der Sänger den Namen, „es heißt ‚Jonathan Livingston Seagull’ und daraus hat mir mein Vater, als ich klein war, immer vorgelesen. Hängen geblieben ist bei mir die zentrale Botschaft, dass man eine eigene Spur auf der Straße des Lebens hinterlassen soll.“ In Deutschland ist das Buch unter dem Titel „Die Möwe Jonathan“ bekannt.
Aus allen vier WindenAus Italien kommt Schlagzeuger Paolo Serafini, Beukes Willemse und Gitarrist und Keyboarder Chris van Niekerk stammen aus Südafrika. Bereits dort haben sich beide zusammen ihre ersten musikalischen Sporen verdient. Deutschland schickt Jakob Nebel an der Gitarre ins Rennen. Aufeinander gestoßen sind sie in London. Da durfte ein Brite natürlich nicht fehlen. Phil Magee am Bass komplettiert den Fünfer. In der Themsestadt träumen sie alle den ganz großen Musikertraum. Wie im genannten Buch. Sie sind geradezu musikbesessen und bereit alles dafür zu geben. Dort schlägt im Oktober 2006 auch ein Label zu und schickt die Truppe, ohne offiziell erhältlichen Tonträger, europaweit ausgedehnt auf Tour. Zunächst mit den Freunden von Revolverheld. Als mehr als ein Jahr vergangen ist, haben Livingston sich die Bühnenbretter mit den britischen Indie-Freaks von ‚The Duke Spirit’, den Hardrockern von ‚Blind’, den Abräumern von ‚Ich+Ich’ und dem Gewinner von ‚Deutschland sucht den Superstar’, Thomas Godoj geteilt. Und doch, die ganz großen Folgen bleiben aus. Vielleicht auch deshalb war es London dann doch nicht. Aber Berlin. Dort lockt die prickelnde, kreative Atmosphäre, die derzeit Künstler aus der gesamten Welt anzieht. Hier leben, bis auf den Sänger, inzwischen alle Bandmitglieder. Er ist bei Frau und Kind in der Themsemetropole geblieben.
Melodien und Gefühle
Jeder von ihnen blickt auf einen magischen Erweckungsmoment zurück. Bei einem ist es Bruce Springsteen, der ihn zur Musik bringt. Beim Nächsten Dave Matthews. Und beim Dritten ein junges, traumschönes Mädchen, das zufällig des Weges kommt.
„Ich hatte mir in Australien gerade eine gebrauchte Gitarre gekauft und beschlossen Straßenmusik zu machen“, erinnert sich Beukes Willemse, der südafrikanische Farmersohn „da blieb ein Mädchen stehen, hörte zu und sagte schließlich, dass ich eine traumhafte Stimme hätte. Was sollte ich danach noch anderes tun, als Rockstar werden. Da das nur in London geht und meine Schwester da wohnte, hatte ich keine Ortswahl.“
Musikalisch haben sie sich auf dem Melodiedeck getroffen.
„Wir haben nicht beschlossen, dass wir melodisch losziehen und den Krach zuhause lassen“, lacht Paolo Serafini „die Songstrukturen sind einfach ganz organisch so gewachsen. Wir mögen es, dem ganz großen Gefühlsmoment ein schillerndes Notenkleid anzuziehen.“
Pläne machen Livingston auch sonst nie. Zumindest keine musikalischen. Sie machen einfach, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Das aber kompromisslos. Eigenwillig. Leidenschaftlich. Intensiv. Herausgekommen ist mit ´Sign Language´ ein Debütalbum, auf dem Livingston fast schon spektakuläre songschreiberische Großtaten vollbringen. Voller Melancholie, doch musikalisch vielfältig und nicht Kraut und Rüben, sondern aufgeräumt natürlich. Einige Stücke erreichen durchaus Hymnen-Niveau. Die Band nimmt sich immer wenn es nötig ist, instrumental zurück, um Sänger Beukes Willemse und seiner Stimmgewalt den Raum zu geben, den er braucht, um seine Stimme voll zur Entfaltung zu bringen. Die Stücke gehen unter die Haut, haben Tiefe und das Potential immer wieder gehört zu werden. Einfach deshalb, weil es immer wieder etwas zu entdecken gibt.
Jeder hat eine Stimme
Es gibt nicht den großen kreativen Kopf in der Band. Alle nehmen diese Rolle ein. Jeder Gedanke ist gleichberechtigt.
„Es ist großartig, mit Ideen in den Proberaum zu kommen und mit den Anderen drauf los zu spielen“, begeistert sich Jakob Nebel „so wird beim ideenangereicherten Jammen jedes Stück zu viel, viel mehr als nur zur Summe seiner einzelnen Teile.“
Hier ist wohl von Synergie in Reinkultur die Rede, bezeichnet der Begriff doch das Zusammenwirken von unterschiedlichen Beiträgen. im Sinne von einem daraus resultierenden gemeinsamen Nutzen. Beitragen dazu können allein schon die unterschiedlichen Sozialisationen an unterschiedlichsten Plätzen dieser Weltkugel. Doch auch in stilistischer Hinsicht kommt da einiges zusammen.
„Auf ‚Kings Of Leon’, ‚Coldplay’, ‚Muse’ oder die ‚Foo Fighters’ setzen wir gemeinsam“, verkündet Paolo Serafini. Damit gibt sich Jakob Nebel nicht ganz zufrieden: „Aus der Grunge-Ecke müssen unbedingt noch ‚Pearl Jam’ und ‚Live’ erwähnt werden.“
Bei der gemeinsamen Arbeit von Livingston wird ein musikalisches Feuerwerk entfacht, dass zwar Einflusswurzeln offenbart. Mehr aber auch nicht. Dazu ist das Soundsüppchen im Schmelztiegel dann doch zu eigenständig. Auch die Arbeitsweise des Aufnehmens bestätigt die angesprochene Summentheorie. An fünf verschiedenen Orten wird die Platte produziert. Mit Al Clay, der bereits mit ‚Pink’ und ‚Therapie?´ arbeitet, ging es ins SteakHouse Studio in Los Angeles und in die Sonic Ranch Studios im texanischen El Paso. In El Cortijo mitten in den sonnigen Hügeln Marbellas in Spanien wird gewerkelt. In den Hamburger Studios Clouds Hill und Boogie Park arbeiteten Roland Spremberg und Moritz Enders mit Livingston. Beide haben auf ihrer Referenzliste bereits bei ‚A-Ha’, ‚Sugarplum Fairy’, oder ‚Revolverheld’ abgegeben. Letzte Hand wird dann von Clemens Matznick, bekannt durch seine Reglerkünste bei ‚Guano Apes’ und ‚Donots’ und dem ‚Beatsteaks-Soundzauberer Michael Ilbert im Berliner Hansa und White Studio. Das Debüt-Album jedoch hört sich an, wie aus einem Guss. Sind es nicht die besten Alben, die einfach für sich stehen? Die keiner Erklärung bedürfen? Die sich nicht stückweise auseinander dividieren lassen? Im Herbst begeben sich Livingston auf Headliner-Tour und werden dabei darlegen, dass auch live die kreative Kommunikation ein großes, druckvolles Ganzes schafft.
Aktuelles Album: Sign Language (Vertigo/Universal)
Foto: Eric Weiss