Mit mitten aus dem Leben gegriffenen Songs begeisterte Maxi Haug schon auf den ersten beiden Shitney-Beers-Alben ´Welcome To Miami´ (2021) und ´This Is Pop´ (2022). Auf dem kurz vor Weihnachten erscheinenden dritten Album, ´Amity Island´, rücken nun immer öfter Band-Wucht und ein selbstironisches Augenzwinkern an die Stelle von solistischer Zurückhaltung und melancholischer Selbstbespiegelung und lassen so den Weg von queer-femistischem Gedankengut zu authentischer 90er-Jahre-Indierock-Seligkeit ganz kurz werden.
Shitney Beers ist das Projekt, auf das die deutsche Indie-Szene lange warten musste: Anfangs solo mit Gitarre im fragilen Folk-Modus, heute mit dem Wumms einer vom Grunge-Virus infizierten Band an der Seite, zeigt Maxi Haug auf ´Amity Island´, wie konsequente künstlerische Weiterentwicklung klingen kann."Früher habe ich Musik eher für mich gemacht, denn weil ich eher schüchtern bin, habe ich mich lange nicht auf Bühnen getraut", verrät das Mastermind der in Hamburg heimischen Band beim Videocall mit der WESTZEIT. "Anfangs war das einfach nur für mich, weil mir das Spaß gemacht hat und Halt gegeben hat beim Verarbeiten vieler Sachen. Inzwischen mache ich Musik aber nicht mehr nur für mich."
Wie das gemeint ist, wird beim Hören der neuen Platte schnell deutlich, denn der Bogen ist dieses Mal spürbar weiter gespannt: Misgendering, der richtige Crush zur falschen Zeit oder das Festklammern an Dingen, die losgelassen werden wollen, sind nur drei der Themen, die Shitney Beers auf ´Amity Island´ anschneiden. Keine Music for the masses, aber eben auch keine Statements, die nur für ein kleines Nischenpublikum gedacht sind.
"Das ist schon Musik für alle", stimmt Maxi zu, "ganz egal, ob Leute sich davon angesprochen fühlen, ob sie sich damit identifizieren können oder ob die Songs Denkanstöße geben. Ich habe einfach Bock, mich mitzuteilen und Menschen auf verschiedenste Art und Weise zu erreichen und zu berühren."
Geblieben ist das feine Händchen, auch ernsthafte Inhalte klug zu reflektieren, neu dagegen ist die Leichtigkeit, mit der Shitney Beers inzwischen oft zu Werke gehen.
"Ich finde, man merkt dem Songwriting einerseits an, dass ich gewachsen bin, aber andererseits auch, dass ich mich und meine Probleme nun ein bisschen weniger ernstnehme", sagt Maxi über den Unterschied zwischen ´Amity Island´ und dem Vorgänger ´This Is Pop´. "Deshalb sind jetzt auch viel mehr witzige, spaßige Songs auf der neuen Platte."
Tatsächlich neigen die Lieder auf ´Amity Island´ stärker zu den Extremen. Die Songs, die witzig sind, sind bisweilen geradezu albern (man höre nur ´Simp´, eine Nummer über einen gastroenterologischen Notfall im Skiurlaub), während die Lieder, die einen ernsteren Hintergrund haben, tiefgründiger und eindringlicher sind als je zuvor. Überhaupt kann man sich beim Hören des Albums einbilden, dass es Maxi dieses Mal wichtiger war, bestimmte Themen zu platzieren, während auf den ersten beiden Platten alles raus durfte, was raus wollte. "Einerseits ist es schon überlegter, aber andererseits auch unüberlegter, wie zum Beispiel bei ´Septic Tank´ oder ´Simp´", sagt Maxi.
"Ich habe in den letzten Jahren gelernt, mich selbst ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Ich erinnere mich, dass ich beim letzten Album in Interviews oft gesagt habe, dass es ums Scheitern geht – und das war auch wirklich so –, aber bei der neuen Platte sage ich mir nun: Scheitern ist nicht unbedingt schlecht, es ist okay, zu scheitern. Du denkst, dass du in das Wunderland von Alice kommst, aber im Endeffekt ist es dann doch nur der Septic Tank. Inzwischen habe ich gelernt, solchen Kacksituationen mit Humor zu begegnen, und deshalb gibt es auf der Platte auch diese zwei Extreme."
Doch nicht alles kann Maxi so leichtnehmen wie den Abstecher in den nachbarlichen Septic Tank. Der Song ´N4N´ist ein verständlicherweise wütendes Statement zum Misgendering, oder wie Maxi das zur Veröffentlichung der Single bereits ausführlich erklärte:
"Es geht um meine ganz persönliche Erfahrung und mein Gefühl, was wahrscheinlich nicht alle nicht-binären Menschen teilen. Hier geht es nur um mich. Ich bin es leid, mich zu entschuldigen, bevor ich Leute verbessere, ich bin es leid, mich ständig erklären zu müssen, ich bin es leid, immer noch das Wasser testen zu müssen, bevor ich mich sicher genug fühle, mich zu outen, ich bin es leid, mich bei jeder neuen Person, die ich kennenlerne, überhaupt outen zu müssen, ich bin es leid, ständig auf andere Rücksicht zu nehmen, obwohl sie mich verletzen, ich bin es leid, mir von Leuten erklären zu lassen, dass das doch nicht sein kann, weil ich so feminine Gesichtszüge habe, ich bin es leid, in Artikeln oder Interviews immer noch Frontfrau, Sängerin, Songwriterin genannt zu werden."
Das bringt uns natürlich zu der Frage: Glaubt Maxi, dass Musik, dass Songs in heutigen Zeiten noch etwas politisch bewegen können?
"Diese Frage wurde mir vor zwei, drei Jahren schon einmal gestellt. Damals war ich noch ein wenig idealistischer und habe gesagt: Natürlich können Songs die Welt verändern! Mittlerweile bin ich ein bisschen zynischer geworden, ein bisschen mehr abgestumpft, und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass man damit so wahnsinnig viel erreichen kann. Aber wenn man damit jemandem einen Floh ins Ohr setzen kann, wenn sich jemand beim Hören Gedanken macht, dann ist das etwas richtig Gutes. Wenn jemand ´N4N´ hört und sich dann fragt: 'Was ist eigentlich Misgendering?', und dann losgeht und das für sich selbst recherchiert, dann habe ich schon alles erreicht. Es muss nicht die ganze Welt auf ein Problem unserer Gesellschaft aufmerksam werden, aber wenn ich nur zwei, drei erreiche, dann ist das wie beim Domino Day."
Duellierten sich auf ´This Is Pop´ noch zerbrechliche Nummern mit betont reduzierten Arrangements und kratzbürstig-punkigen Songs, steht auf ´Amity Island´ ein muskulöser Bandsound mit Slacker-Vibes klar im Mittelpunkt, mit dem Shitney Beers nicht nur beim "schlimmen" Ohrwurm ´Maya Hawke´ glänzen können, wenn sie eine Liebeserklärung an die Schauspielerin spielerisch mit ironischer USA-Kritik vereinen. Doch diese Veränderung kommt nicht überraschend.
"Das Singer/Songwriter-Mäßige am Anfang war eher notgedrungen, weil ich noch keine Band hatte", erklärt Maxi. "Ich war viel freier und flexibler, als ich noch allein war, aber gleichzeitig eben auch limitiert in der Art und Weise, wie ich Musik gemacht habe. Das war eher so ein Elliott-Smith-Ding. Wenn man sich seine Sachen mit Heatmiser oder einige seiner Band-Songs anhört, dann gibt es da, glaube ich, schon Parallelen. Er ist auch ein großes Vorbild für mich. Der 90er-Indie-Sound kommt einfach daher, weil das die Musik ist, die ich viel höre. "
Dabei ist es beeindruckend, wie authentisch Shitney Beers den Sound der 90er in diesen neuen Songs abbilden, anstatt sich der verwässerten Variante zu widmen, die es heute an jeder Ecke von Phoebe-Bridgers-Wannabes zu hören gibt. Zufall oder Konzept?
"Ich denke, das ist schon irgendwie Konzept", erwidert Maxi. "Mein Musikgeschmack ist ziemlich nischig, was die 90er-Jahre angeht, und ich bin da schon ziemlich tief drin. Ich finde das immer ganz süß, wenn Leute meine Mucke mit Phoebe Bridgers vergleichen, weil ich dann weiß, dass sie ihnen gefällt, aber ehrlich gesagt kenne ich vielleicht drei Songs von Phoebe. Ich höre außer dem Zeugs von meinen Friends gar nicht viel neue Musik. Manchmal ist das auch ein bisschen blöd, weil ich gar nicht weiß, was gerade so aktuell ist – außer Sabrina Carpenter und diesen Pop-Sachen, die kenne ich schon –, denn ich bin viel mehr in der Musik der 80er und 90er drin. Ich höre Dinosaur Jr., Pavement, Elliott Smith, Tad und Sebadoh – ich liebe Lou Barlow, und auch R.E.M. sind eine der größten Bands für mich!"
Die Einflüsse waren aber nicht nur während des Songwritingprozesses wichtig, sondern hinterließen auch bei den Sessions im Studio Spuren. "Wir haben uns bei den Aufnahmen ein Mood-Board gemacht, und da habe ich gesagt, dass das Album klingen soll wie ´Terror Twilight´ von Pavement, ´Summerteeth´ von Wilco und ´Chutes Too Narrow´ von The Shins", verrät Maxi. "Ich bin da schon sehr eigen und möchte, dass meine Vision da verwirklicht wird und es so klingt, wie ich das möchte."
Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, dass auf ´Amity Island´ nicht nur die Band – Kevin Kuhn von Die Nerven am Schlagzeug, Gary Szabo an der Gitarre, Raphi Stoltenberg am Bass und Obi an den Tasten – eine größere Rolle spielt als je zuvor, sondern auch noch Gäste wie Brockhoff, Blondine Morrisson, Hannah Louve Benedum von Nava Calma, Nix Kiepe oder Andergraben Stimme, Gitarre oder Cello beigesteuert haben.
"Es fällt mir schon mega-schwer, Verantwortung abzugeben, auch, weil ich das Ganze so lange allein gemacht habe", gesteht Maxi. "Weil ich aber eben jetzt Musik auch mehr für andere mache, war es mir wichtig, dass die Friends, die uns begleitet haben, auch ihre Kunst damit einbringen konnten. Deshalb habe ich allen gesagt: 'Macht, was ihr wollt!' Ich finde es auch ultrawichtig, sie zu unterstützen und ihnen vielleicht so auch ein bisschen eine Plattform zu bieten und zu sagen: 'Hey, guckt euch mal meine coolen, talentierten Friends an!'"
Dass ´Amity Island´ das inzwischen dritte Shintey-Beers-Album in nur dreieinhalb Jahren ist, während sich viele andere ähnlich inspirierte Acts heute komplett auf das beständige Veröffentlichen von Singles und EPs verlegt haben, mag man als Zeichen für Maxis Begeisterung für eine gewisse Oldschool-Herangehensweise und das klassische LP-Format deuten, doch das ist nicht der einzige Grund.
"Natürlich hat sich die Musiklandschaft verändert und viele hören nur noch Playlists oder einzelne Songs, aber wenn man viele Sachen einzeln veröffentlicht, dann muss man dafür auch immer Promo machen, und da mache ich lieber einmal alle eineinhalb Jahre einmal Promo, und das wars dann", sagt Maxi und fügt abschließend lachend hinzu: "Das öfter machen zu müssen – da hätte ich gar keine Lust drauf!"
Aktuelles Album: Amity Island (Grand Hotel Van Cleef / Zeitstrafe / The Orchard / Indigo)
Weitere Infos: www.instagram.com/shitney.beers Foto: Aylin Sengül