Tatsächlich hatten es bei dem in der niederländischen Stadt Groningen etablierten, renommierten Americana-Festival Take Root nur ein Jahr Pandemie-Pause gegeben, denn im letzten Jahr hatten die Veranstalter zumindest eine pandemiegerechte Downtown-Edition realisieren können, bei der das Event anstatt wie gewohnt im Oosterpoort-Center über die ganze Stadt verteilt dezentralisiert stattgefunden hatte. In diesem Jahr gab es nun wieder eine reguläre Edition im Oosterpoort, wo sich in sechs Spielstätten an einem Tag über 20 internationale Acts aus den USA, Irland, Kanada, GB und Australien die Klinke in die Hand gaben und die Augen der Fans von klassischen Americana-Sounds und diversen Rock-Spielarten zum Leuchten brachten - sofern sie denn die Möglichkeit hatten, überhaupt einen Platz in den verschiedenen Venues zu ergattern. Der Nachholbedarf in Sachen organischer Live-Musik war wohl so groß, dass das Festival dann doch ziemlich überlaufen erschien – denn immerhin waren zusätzlich zu den niederländischen Fans die Freunde von Americana-Sounds aus ganz Europa angereist. Musikalisch gab es – wie gewohnt – einen brillanten Mix aus etablierten Acts und Newcomern, etablierten Genre-Größen und Wildcards, die es zu entdecken gab. Anders als beim letzten Prä-Pandemie-Festival von 2019 gab es dieses Mal auch nur eine Absage: Anais Mitchell hatte sich bei ihrer laufenden Tour eine Erkältung zugezogen und musste wenige Stunden vor der Show ihre Teilnahme absagen.
Oben: The Sadies / Cowboy JunkiesMItte: Mary Gauthier & Jaimee Harris / Neal Francis
Unten: Courtney Barnett / Watchhouse
Zum Glück konnte ihre sympathische Kollegin Alexa Rose aus Virginia kurzfristig einspringen – denn diese war mit dem Ensemble Watchhouse auf Tour, das ebenfalls auf dem Take Root aufspielte. Zwar stand das Festival wie gewohnt unter dem Motto „Americana“ - aber man sieht das Genre beim Take Root nur als allgemeine Richtschnur, so dass sich neben klassischen Folk-, Country-, Blues und Roots-Rock-Sounds auch Artverwandtes fand. Beispielsweise überraschte der Piano-Man Neal Francis mit einer mächtig groovenden Soul-Rock-Revue, überzeugte die Australierin Courtney Barnett mit einer brillanten Mega-Rock-Show im bis auf den letzten Platz gefüllten großen Saal, ließ der Punch Brothers-Vorsitzende Chris Thile das Auditorium staunend mit auf der Mandoline gespielten Bach-Variationen zurück, ergänzten die Cowboy Junkies ihr Standard-Programm um etliche Coverversionen und erfreuten die kanadischen Sadies mit einer kämpferischen Psychedelia-Rock-Show, die die verbleibenden Bandmitglieder ganz in den Dienst an die Erinnerung ihres Anfang des Jahres verstorbenen Frontmann Dallas Good stellten – wobei das ebenfalls anwesende kanadischen Cousinen-Duo Kacy & Clayton Dallas’ Bruder Travis (der die Aufgabe seines verstorbenen Bruders mit übernehmen musste) tatkräftig unterstützten. Aber auch die Freunde traditioneller (also klassischer) Americana-Sounds kamen auf ihre Kosten: Die Take Root Veteranin Mary Gauthier absolvierte alleine mit Unterstützung ihrer Partnerin Jaimee Harris eine perfekte Singer/Songwriter-Show, die in Sachen Songauswahl, Performance und Empathie nun wirklich keinen Wunsch übrig ließ. Gregory Alan Isakov bediente meisterlich all jene Bedürfnisse, die Freunde klassischer Bluegrass-Sounds haben könnte, indem er sich mit seinen Musikern um ein einzelnes Mikrofon gruppierte, das dann wechselseitig bedient wurde – ohne dabei übrigens klassische Bluegrass-Songs im Angebot zu haben, was durchaus zum Aufhorchen aufforderte. Ebenfalls auf dieser Schiene agierten Andrew Marlin und Emily Frantz und ihre Musiker, die ihr Projekt Mandolin Orange vor kurzem in Watchhouse umbenannt hatten, um einer neuen musikalischen Ausrichtung Rechnung zu tragen. Im Vergleich zu Gregory Alan Isakov agierten Watchhouse dann allerdings sehr viel konservativer und traditioneller. Andrew Marlin spielte später dann noch bei seinem Kumpel Chris Thiele bei einem Song mit, während dieser mit seiner exzentrisch/verrückten Art wie ein Berserker auf seiner virtuos gehandhabten Mandoline durch Genres und Stile fuhr. Und die US-Amerikanerin Aoife O’Donovan emulierte recht erfolgreich das Laurel-Canyon-Feeling, das ihr Joe Henry auf ihrer letzten LP „Age Of Apathy“ nahegelegt hatte – und löste sich damit zumindest teilweise von ihrer Folkpop-Vergangenheit. Wie bereits geschildert war es unmöglich, alle Acts, die an diesem Tag auftraten anzuchecken und besonders die kleineren Venues waren dermaßen überlaufen, dass viele Fans enttäuscht draußen bleiben mussten – aber in Sachen Angebot und Auswahl der Acts erwies sich auch das Take Root 2022 wieder mal als maßgebliche Institution in Sachen Americana-Sounds und Artverwandtem. Besonders schön war auch dieses Mal wieder die Tatsache, dass hier nicht mit Headlinern und Support Acts gearbeitet wurde, sondern alle Musiker – im Rahmen der produktionstechnischen Möglichkeiten – als gleichwertig präsentiert wurden. Im nächsten Jahr dann gerne wieder so – vielleicht aber mit einem stärker entzerrten Angebot …
Weitere Infos: https://www.spotgroningen.nl/events/takeroot/