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MAX GROSS

Das vergessene Schtetl

(Katapult, 400 S., 25,00 Euro)

Gross ist ein 1978 geborener Journalist aus New York, der in diesem Roman eine sorgsam konstruierte Alternativweltgeschichte erzählt. Wobei "Alternativ" im Grund falsch ist, denn Gross berichtet von etwas, dass sich - ein klein wenig Großzügigkeit bei Kleinigkeiten vorausgesetzt – durchaus tatsächlich hätte ereignen können. In Ostpolen liegen noch heute weitläufige wenig erschlossene Waldgebiete. Und in einem solchen lag (oder liegt?) die Stadt Kreskol. Dort lebte man sehr zurückgezogen, aufgrund von Streitigkeiten mit den (ohnehin weit entfernten) Nachbarn beschränkten sich die Außenkontakte seit Jahrzehnten auf den Warenaustausch mit einer Truppe von Roma-Händlern. Selbst der zweite Weltkrieg ging an Kreskol (fast) spurlos vorüber – die Deutschen wussten nichts von der Stadt im Wald, weil selbst die lokalen Steuereintreiber sie längst vergessen hatten. Die Bevölkerung Kreskols besteht aus mehr oder minder strenggläubigen Juden, man lebt das Leben des Jahres 1800: Selbstversorger ohne Kühlschrank, Auto, Waschmaschine. Die Außenwelt dringt nur ganz selten in diese selbstgenügsame Gesellschaft – und wenn ein KZ-Häftling nach langer Odyssee dort strandet, muss er seine schrecklichen Erlebnisse in Märchen und Gleichnisse verpacken (zum Schutz seiner Seele genauso wie zum Schutz der Kreskoler). Und aus dieser vermeintlichen Idylle flieht eines Tages Pescha Lindauer (wohl vor ihrem Gatten, der wenig später ebenfalls nicht mehr aufzufinden ist). Man schickt den jungen Jankel Lewinkopf aus, nach den beiden zu suchen und nach Möglichkeit die "Obrigkeit" zu informieren (die Bürger Kreskols wollen keinen Stress mit dem polnischen Gesetz). Und so wird Kreskol schließlich "entdeckt", es kommt zu touristischen und kapitalistischen Exzessen und nicht nur Jankel hat Schwierigkeiten, das moderne Polen zu verstehen. Die Menschen entzweien sich, hier Befürworter und Profiteure des "Neuen", dort erzkonservative Verfechter des Althergebrachten. Aber war es im vorindustriellen Kreskol wirklich besser? Findet Jankels große Liebe zu Pescha eine Erfüllung? Gibt es Kreskol womöglich wirklich und seine Bürger waren nur klug (oder borniert) genug, die Infrastrukturmaßnahmen rückgängig zu machen und alle Wege in den tiefen Wald zu vertuschen? Lest dieses gleichermaßen spannende, lustige und ergreifende Buch und lernt was draus! Und: toll, dass es bei Katapult nun auch (wieder) Belletristik gibt!
Weitere Infos: www.katapult-verlag.de/programm/max-gross-das-vergessene-schtetl


Dezember 2024
AHNE
BARBARA SICHTERMANN, SIMON BRÜCKNER, JENS JOHLER (Hrsg.)
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