(C.H.Beck, 252 S., 26,00 Euro)
Die schwedische Wissenschaftsjournalistin wurde durch das 2018 auch auf Deutsch erschienene Buch "Meine europäische Familie" bekannt, in dem sie eine besondere, intensive Form von Ahnenforschung betreibt. Dass Bojs sich nicht auf einen Stammbaum bis zum Urururur-Großvater beschränkt, sondern sich anhand der DNA-Analyse ihres eigenen Genoms bis ihn jene Zeiten zurückdachte, in denen die ersten Menschen auf ihrer langen Reise von Afrika aus nach Europa kamen (daher auch der Untertitel: "Die ersten 54 000 Jahre"), machte den Text so lesenswert. Ihr neues Sachbuch trägt auch einen Untertitel, nämlich: "Die letzten 43000 Jahre" und führt die Suche weiter, dieses Mal allerdings mit dem Fokus auf die Rolle der Frauen. Der enorme wissenschaftliche Fortschritt der letzten Jahre hat hierzu einen starken Erkenntnisgewinn geliefert, Annahmen von Archäologen und Sprachforschern gestützt oder widerlegt und vieles (wenngleich längst nicht alles) mit einer belastbare(re)n Grundlage versehen. Ausgehend v.a. von der in den letzten Jahren zu einer über Fachkreise hinausgehenden Bekanntheit gelangten US-litauischen Prähistorikerin Marija Gimbutas, die schon in den 1950er Jahren für "Alteuropa" eine friedfertige, matrilineare Gesellschaft von Jägern, Sammlern und frühen Bauern postulierte, verbindet Bojs diese Sichtweise (die sich nach jahrzehntelanger Ablehnung durch das männlich dominierte Wissenschaftsestablishment inzwischen an vielen Stellen als durchaus richtig herausgestellt hat) mit modernen Genanalysen, daraus abgeleiteten Wanderungs- und Vermischungsprozessen und erzählt damit die Geschichte der (europäischen) Bevölkerung nach. Jedenfalls das, was dazu heute als weitgehend gesichert gelten kann. Sie argumentiert dabei schlüssig gegen die Einteilung der (Vor)Geschichte in Stein-, Bronze- und Eisenzeit und macht die großen (aus vielen kleinen bestehenden) Schritte eher an Erfindungen wie dem Joch für Zugtiere oder dem Wagen fest. Oder an der Domestizierung von Ziege, Schaf, Rind und Pferd. An Milchwirtschaft, Töpferkunst und Textilherstellung – alles Dinge, die aus Bojs Sicht stark weiblich geprägte Aspekte tragen. Das Buch ist sehr gut lesbar, auch für Laien und Einsteiger in diese spannende Thematik leicht verständlich und fasst den aktuellen Forschungsstand populärwissenschaftlich recht gut zusammen, einige Bilder in der Buchmitte und die Karten auf vorderem und hinterem Vorsatz lockern zusätzlich und informativ auf. Allerdings scheint mir das letzte Drittel irgendwie "zerfasert", hier mehren sich sowohl inhaltliche Flüchtigkeits- (natürlich explodierte die Insel Thera nicht 3612 v.u.Z., sondern vor ca. 3620 Jahren) als auch kleine Druckfehler und die thematischen Fäden von indoeuropäischer Sprachgeschichte, Siedlungswellen und sozialen Implikationen geraten ein wenig durcheinander. Dennoch: ein durch seine flüssige Erzählweise ganz sicher empfehlenswertes Sachbuch (auch) über die Rolle der Frauen während der langen Reise der Menschheit.Weitere Infos: www.chbeck.de/bojs-muetter-europas/product/36194857