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FABIO STASSI

Die Seele aller Zufälle

(Edition Converso, 284 S., 24,00 Euro)

Dies ist schon das zweite Buch über einen gewissen Vince Corso, der nicht nur mehr oder weniger gegen seinen Willen als Detektiv tätig ist, sondern der zuallererst einen sehr seltsamen Beruf bekleidet. Denn der Ex-(Vertretungs)Lehrer behandelt therapiebedürftige Menschen, indem er ihnen speziell auf ihre Sorgen und Nöte zugeschnittene Buchempfehlungen macht, die korrekte Berufsbezeichnung lautet "Bibliotherapeut". Und in dieser Funktion erhält er eines Tages Besuch von Giovanna Baldini, die Corsos Dienste aber gar nicht für sich selbst in Anspruch nehmen will. Bzw. doch, denn ihr der Demenz mit großen Schritten entgegen taumelnder Bruder hat nicht nur eine riesige Bibliothek zusammengesammelt, sondern angeblich auch ein ansehnliches Geldvermögen versteckt. Nur wo? Der Mann vermag nur noch in SinnFragmenten zu reden, Sätze, die vermutlich seinem Lieblingsbuch entstammen. Und eben dieses soll der Buchkenner und Chansonliebhaber Corso identifizieren und damit Signora Baldinis Erbe (ab)sichern. Kein besonders nobler Auftrag, aber die Dame ist hartnäckig und irgendwie findet auch Vince Corso Gefallen an dem (Such)Spiel. Und an der Bibliothek des Alzheimer-kranken Alten, die er schließlich betreten und durchsuchen darf (eine "Bücher-Wunderkammer"!). Das als "Detektivroman" apostrophierte Buch ist dabei alles andere als ein reißerischer Krimi – und wenn doch, dann einer im Sinne von Umberto Ecos Bestsellern "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel". Denn hier geht es um Bibliophilie, um die Welten zwischen zwei Buchdeckeln, um das dort konservierte (also "aufbewahrte") Wissen, um literarische Anspielungen und stilistische Eigenheiten – kurz: um die Schönheit des Lesens und nicht um profane Kriminalistik. Da gibt es z.B. Männer, die "bei einer Partie Karten" ihre als Einsatz schönsten Erinnerungen aufs Spiel setzen und auch die LiebesPartnerin unseres Helden ist nicht nur jung, schön und klug, sondern eben auch und vor allem Chinesisch-Lektorin. Vor jedes der mit A bis Z nummerierten Kapitel setzt der Autor eine Zeile aus Georges Brassens’ Chanson "Les passantes", die die Übersetzerin Annette Kopetzki hintersinnig im französischen Original belässt – so kann sich der Leser von "Je veux dedier ce poème / A toutes le femmes qu’on aime" bis "De toutes ces belles passantes / Que l’on n’a pass su retenir" immer aufs Neue freuen, wie gut Brassens’ melancholische Lyrik zu Corsos philologischen Überlegungen passt. Abschließend erhalten wir sogar "Lektüreempfehlungen von Vince Corso" (u.v.a. Borges, Frisch, Svevo, Canetti, Sacks) und eine "Kleine Tonspur" (hier rät man u.a. zu Noir Desir, Astor Piazzolla, Paolo Conte und Baden Powell). Stassi schreibt in einem feinen, niemals banalen und dabei doch leichtfüßigen (für manche vielleicht altmodischen) Stil und findet dabei so schöne Bilder wie dieses: "Die Bibliothek (…) lag in eine vegetabile Stille getaucht." Auch das Buch selbst ist mit seinem feinen Papier (90 g Munken Pure), einem schön bedruckten Vorsatz, dem festem Pappband mit stilsicherer Covergestaltung und Lesebändchen Augenweide und Handschmeichler zugleich. Und weil der Text aus der Servus Slab und der Axia so schön gesetzt ist, fällt das Hurenkind auf S.94 besonders auf. Das ist aber auch der einzige Makel an diesem wundervollen kleinen Buch.
Weitere Infos: www.edition-converso.com/bücher/buch-einzelansicht/die-seele-aller-zufälle.html


März 2024
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