(Faber & Faber, 159 S., 24,00 Euro)
Die in Hamburg aufgewachsene Autorin hatte sich in ihrem letzten Buch mit Stasi-Verstrickungen in einer ostdeutschen Vita befasst und wir taten uns an dieser Stelle etwas schwer mit der formal gelungenen, inhaltlich aber diskutablen Geschichte (s. WZ 04/22). Daher war ich etwas skeptisch, als Quadfliegs neuer Roman im Briefkasten lag, wurde aber sehr schnell sehr angenehm überrascht. Denn auch wenn sich der Klappentext stark auf das Thema "Sterbehilfe" bzw. den Kampf für ein selbstbestimmtes Lebensende konzentriert, geht es in dem schmalen Band um nichts Geringeres als das Resümee einer (hier nun typisch westdeutschen) nonkonformen Biografie. Der Held heißt Paul Gärtner, ist krebskrank und auf Rollstuhl und Teilzeit-(Kranken)Pflege angewiesen. Doch er will diese Welt nicht als willenloser Patient verlassen und schon gar nicht, ohne sein bewegtes Leben Revue passieren zu lassen und die Dinge, die ihm bei dieser Rückschau durch den Kopf gehen, vermittels Digitaldiktiergerät festzuhalten. Für wen auch immer. Dabei nummeriert er die Aufnahmen ordentlich von 1 bis 95 und dieser kleine Trick gibt auch dem Text erfolgreich Struktur. Selbst dass die Gedanken der letzten Aufnahme etwas unvermittelt abbrechen, ist inhaltliches wie handwerkliches Kalkül. Denn so gelingt es Quadflieg, ihrem Helden einem Ausweg aus Siechtum und Verfall zu weisen, er kann aufstehen und (wenn zunächst auch nur einige Schritte) aus eigener Kraft gehen. "Was Paul in den vergangenen zwölf Monaten zu seinem Leben einfiel, ist auf SD-Karte festgehalten." Ein vom Nazi-Vater und dem 68er Aufbruch geprägter Student erhält sich seine Träume, bleibt ein Freund und Unterstützer von Schwachen und lebt ein aufrechtes, sicher exemplarisch links-alternatives BRD-Pädagogen-Leben mit Um-, Irr- und Aus-Wegen. Der gouvernantenhaft-belehrende Ton von "Ihr wart doch meine Feinde" fehlt dabei zum Glück fast vollständig und selbst wenn manche von Gärtners Ansichten oder Entscheidungen (aus heutiger Sicht) naiv, realitätsfern oder vielleicht sogar etwas paternalistisch wirken mögen – er lebte sein Leben aufrecht und getreu seinen moralisch-politisch-sozialen Grundsätzen. Mehr kann man kaum erreichen. Am Schluss geht der Held mit zwei Koffern aus seinem Haus – sein vielleicht letzter, aber in freier Entscheidung selbst gewählter Weg. "Medizinische Versorgung braucht Paul Gärtner nicht mehr. Die Dosis Natrium-Pentobarbital ist für den Tag X gut verwahrt." Kein bestürzender, sondern ein hoffnungsfroher letzter Satz eines sehr lesenswerten Romans.Weitere Infos: www.verlagfaberundfaber.de/buecher/ein-mann-seiner-zeit