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ERLEND O. NØDTVET

Durch das Westland

(die brotsuppe, 252 S., 28,00 Euro)

Immer wieder fällt auf, wie kreativ die norwegische Kulturszene ist. Musikalisch, aber auch literarisch. Dabei muss man nicht einmal auf die großen, etablierten Autoren setzen (Karl Ove Knausgård oder Jon Fosse fielen mir da ein), namentlich im Abseitigen blüht es wild. Jenny Hval (die sowohl als Musikerin wie Autorin erfolgreich ist), ist da zu nennen oder Thure Erik Lund (dessen "Grabenereignismysterium" harter, aber unbedingt lesenswerter Stoff ist). Und Erlend O. Nødtvet, denn sein Roman ist eine Sensation. Eine sehr abstruse Sensation zwar, aber jede Anstrengung wert. Wie auch das "Grabenereignismysterium" meisterhaft übersetzt von Matthias Friedrich, überschlägt sich die Sprache im ewigen Rauschen des stetigen Regens. Schon der Anfang strotzt von so wundervollen Sätzen wie diesem: "Menetekel allerorten: Die Außenwelt will in die Innenwelt." Es regnet eben, die Worte zerfasern, der Sinn auch. Und doch übertragt sich das Gefühl, dieses unbedingte Drängen nach Freiheit und Unabhängigkeit, das einen Dichter (der durchaus bestimmte Züge des Autoren trägt) und einen Maler dazu treibt, den Schädel des Rebellen Anders Lysne an seinen Heimatort Lærdal zurück zu bringen. Jener Bauernführer wurde 1803 geköpft, weil er sich der dänisch dominierten Regierung widersetzte. Kräften, "die noch immer aktiv sind, die Zentralmacht, die Amtmänner, die Paragraphenhirne, jene, die alles Wildwüchsige, alles Eigensinnige austilgen, jene, die jede Kurve einebnen, jede Fähre wegrationalisieren, alles plattmachen, kurz: dem Westland nach dem Leben trachten." Auf ihrer alkoholschwangeren "Pilgerreise" begegnen sie vielerlei merkwürdigen Menschen, darunter "die Bärenjägerin Eline Raudberg aus Undredal, die Antiquarin Gjertrud Bøyum aus Fjærland, die Grenzwächterin Larine Litlenova aus Stardalen." Die beiden lernen Vertreter der "Westländischen Befreiungsfront" kennen und geraten prompt mit ihnen aneinander, weil die ihnen den Schädel klauen. Sie besuchen Jon Fosse und hören im Auto Musik vom Vestland-Duo (es gibt übrigens eine Playlist zum Buch, die Nødtvedt, der auch Musiker ist (u.a. hat er gemeinsam mit Benedicte Maurseth ein Stück für Marvels TV-Serie "Loki" geschrieben), zusammengestellt hat: https://open.spotify.com/playlist/1WnQBFTGXsLtt7Mnk1IJBK). Subversiv, anarchistisch und eigensinnig verfolgen die beiden ihr hehres Ziel, auch wenn sich die Welt und die Wahrnehmung sträuben: " ...unser Gehirn versucht fieberhaft, mit den Sinneseindrücken up to date zu bleiben, das ist also wieder diese alte Geschichte mit der Karte und dem Gebiet, und jetzt stimmt das Gebiet mit dem Gebiet nicht überein, und wie kann man überhaupt in einen Tunnel fahren, der nach Flåm führt, und an einem Ort herauskommen, der so offensichtlich nicht Flåm ist, …" heißt es an einer Stelle. Das Unterfangen hat oft etwas Don-Quijote-haftes (die Rolle der Rosinante übernimmt dann des Malers klappriger Toyota Camry – "nikotingelb"): gegen die Amtmänner, für das Westland! "Westland ist kein Ort, das ist ein Zustand, ein Wesen." Weshalb man sich hier nicht nur angestrengt amüsieren, sondern auch durchweg wundern kann. Und anregen lassen kann man sich, anregen zum freundlich-kauzigen Ungehorsam. "Ich glaub, in der Endzeit lässt es sich ganz famos leben." - "Is’ halt einfach so!"
Weitere Infos: www.diebrotsuppe.ch/publikationen/alle-titel/durch-das-westland


Februar 2023
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DORIS KONRADI
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ERLEND O. NØDTVET
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