(Voland & Quist, 284 S., 24,00 Euro)
Wahrscheinlich hat jeder, der es beim Thema "Lesen" weiter als bis zu Micky-Maus-Heften geschafft hat, mal eine "Kafka"-Phase gehabt. Meine endete in meinen frühen 20ern, weil bis auf Briefe und Tagebücher ganz einfach alles weggelesen war, was der geniale Prager Eigenbrötler so zu Papier gebracht hatte (bzw. was sein eidbrüchiger Freund und Nachlassverwalter Max Brod retten und veröffentlichen konnte). Die Kafka-Geschichte des Herrn Pappel ist da wesentlich intensiver, der bisher eher als SprechPerformer und Lyriker ("Und Sie schreiben auf Deutsch?") in Erscheinung getretene Autor fasste sie für buchreport.de selbst so zusammen: "Konrad Pappel ist im Besitz der einzigen Sprachaufnahme von Franz Kafka und treibt damit durch die vergangenen 150 Jahre Deutscher Geschichte." In den Besitz der ominösen, durch alle Zeiten von beinahe sämtlichen Romanfiguren hochbegehrten (und soweit ich als Kafka-Laie das sehe, von Markovic leider nur gut erfundenen) Wachswalze gelangt der Held auf eine Weise, die nur noch von seiner eigenen Herkunft übertroffen wird. Denn ganz im Sinne des Meisters des Skurril-Absurden entschlüpfte Konrad Pappel nicht einer Mutter Schoß, sondern wuchs im Westerwald aus dem Samen einer Schwarzpappel heran. Das Ufer des Gelbachs wurde dem Sproß irgendwann zu klein, in einer bemerkenswerten Metamorphose wird aus der jungen Pappel der Junge Pappel. Konrad Pappel. Nach kleinen Geschäften mit "Spezialheften" begegnet er beim Überfall auf eine Kutsche einem (allerdings Carl heißenden) Herrn Brod, der nicht nur ein Buch voller seltsamer Geschichten, sondern auch jene zunächst so unscheinbare Pappwalze bei sich hat. Egal: als PferdeDieb und BeinaheHeld, Filmvorführer, HilfsHeizer auf einem AmerikaDampfer, SpielerBaron, Westberliner HalbTerrorist, Playboy, VollbartClochard – immer wieder begegnet Pappel der Walze. Und der Welt. Und das in zumeist krisenhaften Zeiten. Wobei sich die gestalterische und sprachliche Brillanz nicht nur in der Erfindung dieser surrealen Wanderungen zeigt, sondern auch und gerade da, wo Markovic die Geschichte kurz verlässt, um die Szenerie durch ein sprachliches Mikro(oder Tele)skop zu untersuchen. In kleinsten oder größten Dimensionen werden dann vermeintlich banale Vorgänge wie durch ein Zoomobjektiv beschrieben. Es beginnt dann z.B. eine Reise durch die Steckdose in der Wand, das Kabel biegt links zur Küche ab – und man fragt sich, was wohl wäre, wenn der Knick nach rechts ginge (sicher täte sich eine weitere, faszinierende und erkundenswerte ParallelWelt auf!). Auch die Zeit kann beliebig gestaucht oder gedehnt werden, dann schwirren Kugeln in slow motion (wie einst bei Matrix und heute in jedem ActionThriller), Holz birst in beängstigender Gemächlichkeit und Präzision... Eine detailversessene SprachGewalt prägt diese leicht wahnhafte Geschichte über Geschichte, über Literatur und Natur, zu der das ElektroAmbient-Duo Psycho & Plastic unter www.powertothepappel.de sogar einen zwischen Cluster und Eno angesiedelten Soundtrack bereitstellt. Ein höchst bemerkenswertes, tiefsinniges und zugleich herrlich absurdes Buch.Weitere Infos: www.daliborpoesie.com