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SIMON JOYNER

Trauerarbeit in Tönen

SIMON JOYNER

Als brillanter Geschichtenerzähler hat Simon Joyner in seinen Liedern schon immer Schlaglichter auf die dunklen Seiten der menschlichen Existenz geworfen, doch nie zuvor wurde der amerikanische Ausnahme-Singer/Songwriter dabei so persönlich wie auf seinem beeindruckenden neuen Album ´Coyote Butterfly´, auf dem er den Versuch wagt, das Unfassbare zu begreifen: den Tod seines Sohnes Owen, der im Sommer 2022 an einer Überdosis starb.

Es gibt wenige Songwriter, die so bewegend und eindringlich das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen in Songform zum Leben erwecken können wie Simon Joyner. Mit den oft wunderbar reduzierten Liedern seiner Platten erinnert der 53-Jährige aus Omaha, Nebraska, bisweilen an Leonard Cohen zu Glanzzeiten, auf der Bühne dagegen ist Joyner mit seiner leicht lakonischen Art und dem spröden Charme seiner Stimme Townes Van Zandt ganz nah, ohne deshalb wie ein Abziehbild der alten Helden zu klingen. Vielmehr hat Joyner inzwischen längst aus all seinen mehr oder weniger offensichtlichen Einflüssen etwas geformt, das ganz seins ist. Immer wieder waren seine Lieder in der Vergangenheit bevölkert von Charakteren, denen das Leben übel mitgespielt hat, ohne dass sie deshalb in Hoffnungslosigkeit versunken wären, doch auch das konnte ihn natürlich nicht auf den Verlust seines Sohnes vorbereiten.

"Nach Owens Tod gab es eine Zeit, in der ich nichts mehr schreiben konnte und kein Interesse mehr daran hatte, Musik zu machen", gesteht Joyner im WESTZEIT-Interview. "Es wäre einfacher für mich gewesen, mich zurückzuziehen, als weiter zu schreiben und aufzutreten. Ich war klinisch depressiv. Ich dachte auch, dass ich keine Songs über etwas anderes schreiben könnte, bevor ich nicht über Owen geschrieben hatte, und ich nehme an, dass ich mich dem nicht stellen wollte, also habe ich es über ein Jahr lang nicht getan. Als ich dann anfing, die Songs für dieses neue Album zu schreiben, kehrte meine Liebe zur Musik zurück, weil ich sie nutzen konnte, um selbst die Dinge auszudrücken, über die ich nicht nachdenken wollte, geschweige denn, sie wirklich zu untersuchen und anderen zu präsentieren."

Vierzehn Monate nach Owens Tod schrieb Joyner die Songs für ´Coyote Butterfly´ innerhalb weniger Wochen und leitet sein Publikum dabei durch die verschiedenen Phasen der Trauer.

"Für mich war es absolut notwendig, den Verlust aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten und jede Emotion, jede Motivation zu analysieren und darüber zu schreiben", erklärt er. "Ich habe das Gefühl, dass ich in Liedern viel ehrlicher sein kann, als wenn ich zum Beispiel mit einem Therapeuten oder sogar mit einem Freund über mein Leben spreche. Das ist mein wahres Ich in den Liedern. Das Schreiben von Songs war schon immer ein erster Schritt zur Besinnung und Reflexion, auch wenn ich über (fiktive) Figuren schreibe. Wenn man versteht, wie andere Menschen funktionieren, kann man sich auch damit auseinandersetzen, wie man selbst funktioniert. Ich versuche, nicht zu urteilen, denn es gibt nichts, was so beschämend wäre, dass ich es nicht auch schon erlebt hätte."

Entstanden sind dabei Lieder, mit denen Joyner die eigene Trauerarbeit in leise Töne gießt, die aber vor allem auch eine Hommage an seinen Sohn sind.

"Das ist einfach passiert, weil es keine Absicht oder einen Plan gab, nur Liebe und Trauer", verrät er. "Owen rückt in den Fokus, weil man hoffentlich ein Bild davon bekommt, wie sehr er geliebt wurde. Das ist der Schlüssel, um den Rest zu verstehen. Für mich als Songwriter gab es keine Alternative. Über diesen speziellen Schmerz zu schreiben, bedeutete, Liebeslieder für Owen zu schreiben, die er nie hören kann. Ich bin froh, dass man erleben kann, dass sie ebenso voller Liebe wie untröstlich sind."

Für die Aufnahmen der Songs scharte Joyner Musiker aus seinem engsten Umfeld um sich, deren Beiträge oft dezent bleiben, aber den Liedern dennoch unglaublich viel hinzufügen, weil sie ihnen in genau den richtigen Momenten die erdrückende Schwere nehmen. Tatsächlich spielten die Mitstreiter auch als moralische Stütze eine wichtige Rolle.

"Ich habe diese Lieder geschrieben und konnte sie kaum allein zu Ende spielen", erinnert sich Joyner. "Ich dachte wirklich, dass sie nicht aufgenommen werden könnten. Aber diese Band besteht aus meinen engsten Freunden. Sie waren alle bei Owens Beerdigung dabei und haben mich und meine Familie bei diesem Verlust unterstützt. Ich wusste, dass ich diese Platte nur mit meinen Freunden machen konnte, die Owen kannten und verstanden, was ich durchmachte. Es war für uns alle eine emotionale Erfahrung, aber auch völlig intuitiv und freudvoll. Etwas Schönes zu machen, ist schließlich heilend, und diese Musiker waren voll und ganz da, um mich zu unterstützen. Jeder Song wurde durch ihre sensiblen Beiträge aufgewertet, und jeder in der Band hatte seine eigenen Erfahrungen mit Trauer, die er ebenfalls zu verarbeiten schien. So kamen die Arrangements wie von selbst, wir erlebten die Songs alle gemeinsam."

Ende Januar wird Joyner in Schorndorf, Weikersheim, Dresden und Hamburg auch wieder live in Deutschland zu sehen sein und unterstreicht damit, dass diese Platte trotz ihrer zutiefst persönlichen Natur ein Werk ist, das nicht nur für ihn allein gedacht ist.

"Ich hoffe, dass man durch diese Songs einen Blick auf Owen erhaschen kann", sagt Joyner. "Ich möchte auch, dass sich die Leute daran erinnern, dass die Trauer andauert, dass sie kein Stadium oder eine Krankheit ist, sondern etwas, mit dem man für immer ringen wird – und dass Musik nicht wirklich etwas heilt, im Gegenteil. Ihre unglaubliche Kraft besteht darin, ein helles Licht auf das zu werfen, was wir sehen müssen und das wir so akzeptieren müssen, wie es wirklich ist. In diesem Fall wirft die Musik ein Licht auf eine offene Wunde. Ob das zur Heilung führt, liegt an uns. Mir hat es geholfen, und ich hoffe, dass die Menschen sich auf einer gewissen Ebene damit identifizieren können und dadurch in der Lage sind, ihren eigenen Schmerz besser zu verstehen."

Aktuelles Album: Coyote Buttefly´(BB*Island / Cargo)


Weitere Infos: simonjoyner.bandcamp.com Foto: Sara Adkisson

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