So richtig bekannt wurde die rastlose Allroundmusikerin Gwen Dolyn im letzten Jahr, als sie zusammen mit Steffen Israel – dem Gitarristen der Band Kraftclub – das Duo-Projekt TRÄNEN lostrat – zunächst, um gemeinsam eine Coverversion des Songs „Duell der letzten“ der Stuttgarter Deutschpunk-Legende Chaos Z einzuspielen. Die sich daraus entwickelnde Zusammenarbeit war aber äußerst fruchtbar und gipfelte schließlich in der erfolgreichen LP „Haare eines Hundes“, mit der TRÄNEN dann (auch als Live-Act) einen regelrechten Triumphzug absolvierten. Dass Gwen Dolyn zuvor, währenddessen und erst recht heute selbst als Musikerin und seit der ersten Corona Woche als Solo-Künstlerin aktiv ist, ist gegebenenfalls noch nicht im öffentlichen Bewusstsein verankert. Gründe dafür gibt es so einige, denn mit geradlinigem Konformismus hat die rastlose Indie-Künstlerin so gar nichts am Hut und macht so ziemlich alles, was ihr gerade in den Sinn kommt. Ihre nun vorliegende Solo-Debüt-Scheibe „X-RATED Feelings“ enthält – nach eigener Aussage - einen kunterbunten musikalischen Querschnitt der letzten vier Jahre. Das äußert sich dann in einer musikalischen Vielseitigkeit von der geringere nur träumen können. Das von Max Rieger und Thomas Zehnle produzierte Werk bietet denn auch einen absolut authentischen stilistischen Mix aus NDW, Club-Tracks, Grunge-Songs, Klassik-Rock, New Wave und hyperzeitgemäßem Indie-Deutsch-Pop.
Gab es denn – angesichts des doch ziemlich eklektischen Stilmixes - einen Plan für dieses Album? Oder da die Musik vielleicht selbst vorgegeben, in welche Richtung es hingehen sollte?„Ich hatte schon einen Plan – aber keinen Langzeit-Plan“, erklärt Gwen, „ich hatte aber zum Beispiel mehr Lust, tanzbare, elektronische Sachen zu machen, die auf eine modernere Art provokant sein sollten. Das habe ich dann auch mit meinen Produzenten (Max Rieger von den Nerven und Thomas Zehnle) besprochen und habe mit denen Beats entwickelt – das war also schon geplant. 'Benzos & Blut' sollte zum Beispiel ein witziger Kommentar zu dieser ganzen Ski Aggu-Szene sein, in der es darum geht in der Disco abzutanzen und sich cool dabei zu fühlen. Ich habe verschiedene Krankheiten und muss Medikamente nehmen, und wollte das dann in dem Song mit dem ganzen Drogenkonsum gegenüberstellen. Es ist dann aber etwas ganz Eigenes daraus geworden. Ich finde es also in Ordnung, wenn die Musik die Richtung vorgibt, um Deine Frage zu beantworten. So funktioniert es ja eben für mich."
Wenn dann Songs wie die Empowerment Nummer „Well Educated Brat“ nach Nirvana klingen oder oder „After You Left My Body“ (eine brutal ehrliche, erschütternde Abhandlung zum Thema Abtreibung) sich als musikalisch als Hommage an David Bowie's „Rock'n'Roll Suicide“ entpuppt: Sind das dann Zufälle oder sucht Gwen nach so etwas?
„Nee – ich suche nicht danach“, meint sie bestimmt, „aber ich habe zum Beispiel schon bei der ersten Version von 'Educated' oft gehört, dass es richtig nach Nirvana klingt – was mich aber sehr ehrt, denn gerade die Unplugged-Sachen sind ja ultrageil. David Bowie ist für mich aber ein ganz großes Kompliment, denn da habe ich überhaupt nicht dran gedacht, als ich das geschrieben habe. Aber ich habe sehr viel David Bowie gehört, als ich in Amerika war. Mein Partner war ein ganzes Stück älter als ich und hatte Bowie noch in seiner Hochphase miterlebt – und das hat mich dann sehr geprägt."
Die Themen, die Gwen in ihre Songs abhandelt, sind ja alle sehr persönlich. Ist das Schreiben von Songs für sie dann vielleicht so etwas, wie ein musikalisches Tagebuch zu führen – oder geht es um Therapie und Soul-Searching?
„Soul-Searching ist es vielleicht nicht“, zögert Gwen, „eher schon Therapie. Es ist auch kein Tagebuch – denn dafür ist es viel zu unregelmäßig. Meine Struktur ist das Chaos – auch wenn das ein bisschen Over-The-Top klingt."
Wie geht es dann weiter für Gwen Dolyn? Werden die nächsten Projekte dann vielleicht stärker strukturiert?
„Es ist immer mein Wunsch etwas mehr zu strukturieren“, erklärt sie, „aber ich mache einfach weiter – weil ich hoffentlich noch eine ganze Weile zu leben habe und die Welt wohl nicht so schnell untergeht, wie man manchmal denkt. Insofern habe ich vor, neue Sachen zu schreiben und habe auch vor das Tränen-Projekt weiter zu machen. Ich bin ultrafroh das Projekt zu haben und in Steffen jemanden zu haben, der mit mir die Songs schreibt – was für mich musikalisch eine neue Erfahrung ist, dass mir etwas vorgeliefert wird, was mir aber auch gefällt; denn dadurch entstehen die Songs für mich einfacher. Mein Plan für nächstes Jahr ist aber, mich auf mein Solo-Projekt zu konzentrieren. Ich werde auch eine Tour und ein paar Festivals spielen und mein Buch-Manuskript fertig zu schreiben, weil ich da schon mit einem Verlag in Kontakt bin. Ich würde sagen dass es bei dem Buch dabei um Autofiktion geht."
Aktuelles Album. „X-RATED Feelings“ (Duchess Box Records), VÖ: 22.11.24
Weitere Infos: https://www.gwen-dolyn.com/ Foto: Stefanie Schmidt-Rincon