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GUINEVERE

Eine menschlichere Welt

GUINEVERE

Seit hunderten von Jahren versucht sich die Menschheit nun bereits daran, aus den 8 verfügbaren Noten immer wieder neue Kombinationen herauszukitzeln und mit den vorhandenen Instrumenten immer neue Klangkombinationen zu erzeugen. Die Möglichkeiten – ohne dabei auf elektronische Hilfsmittel und Computertechnik zurückzugreifen – heutzutage noch etwas grundsätzlich Neues auf die Beine stellen zu können, werden damit ja immer geringer. Am Besten also, man versucht es erst gar nicht, sondern konzentriert sich darauf, mit den richtigen Versatzstücken aus 100 Jahren populärer Musikhistorie, über die richtige Kombination dieser Versatzstücke seine eigene künstlerische Identität zu finden. So, wie das die Mailänder Musikerin Ginevra Battaglia mit ihrem Projekt Guinevere auf ihrem Debüt-Album „To All The Lost Souls“ gemacht hat. „Ich denke, wir Künstler rühren immer in diesem riesigen Topf mit dem, was wir selbst gerne mögen und formen das dann das daraus, was wir erschaffen“, meint Ginevra zu diesem Thema. Das Ergebnis ist eine genresprengende, stilistisch vielschichtige und klanglich komplex arrangierte Scheibe, die weniger über die musikalische oder narrative Ebene, sondern die tröstliche thematische Aussage zusammengehalten wird: Dass nämlich selbst die verlorensten Seelen nicht wirklich alleine sind und in der Musik Ginevras einen treuen Begleiter finden können.

Wie ist Ginevra Battaglia zur Musik gekommen?

„Ich liebe eigentlich alles, was ich entweder mit meinen Händen formen kann oder mir in meinem Kopf oder über meinen Instinkt vorstellen kann“, erklärt Ginevra, „beide meine Eltern sind Schauspieler und mein Vater, Giovanni Battaglia ist ein Theaterschauspieler und Musiker. Kunst und Kreativität gab es also immer schon bei uns zu Hause. Als ich jünger war, hasste ich zwar das Theater, weil ich ihm immer so nahe war. Als ich aber zu Hause auszog um in Mailand die Highschool zu besuchen, war ich allen Kunstformen nahe. Ich studierte also Theater und fing auch an zu fotografieren, zu malen und mich mit Bildhauerei zu beschäftigen. Die Musik war aber definitiv das Zentrum meines Weges. Als und 2020 die Pandemie zum innehalten zwang, hörte ich auch auf zu laufen – wie alle anderen auch, hielt inne und überlegte, was ich in Zukunft wirklich machen und sein wollte. Ich realisierte, dass die Musik meine größte Leidenschaft war – mehr als alles andere. Ich hatte zwei mögliche Wege vor mir, die beide gleich reizvoll waren. Der eine war, mein begonnenes Anthropologie-Studium weiter fortzuführen und das kreative Zeug nebenher weiter zu verfolgen und der andere war, wirklich an die Musik zu glauben, die ich schrieb und dann diesen Weg einzuschlagen – aber nicht zum Spaß, sondern richtig ernsthaft. Und so habe ich angefangen, meine Musik zu machen.“

Könnte es dann nicht sogar sein, dass Gin die Erfahrungen aus ihrem Anthropologie-Studium dann auch in gewisser Weise in ihrer Musik sinnstiftend einbringen konnte? Denn in ihren poetisch/philosophischen Texten beschäftigt sie sich doch vor allen Dingen mit allem Menschlichen?

„Ich denke schon“, bestätigt sie diese Vermutung, „denn ich habe Anthropologie nie deswegen studiert, um eine Anthropologin zu werden, sondern weil das Menschliche mich immer schon sehr interessiert hat und ich die Welt aus einer anderen Perspektive kennenlernen wollte. Das hat mein Denken dann entscheidend geformt. Anthropologie zu studieren hat mich zu einer anderen Person gemacht und ich bin sicher, dass das sicherlich auch mein Songwriting durchdrungen hat.“

Musik zu machen hat dann wohl auch eine andere Person aus Ginevra gemacht, oder?

„Absolut“, bestätigt sie, „für mich passt die Musik einfach perfekt. Nicht weil das mein Ego füttert, sondern weil ich so meine dunkelsten Ängste konfrontieren kann. Das Aufregendste am Musizieren ist, dass ich an mir selbst arbeiten kann, indem ich den Pfad des Musik-Machens beschreite. Es ist zugleich eine Karriere, die ich liebe, wie auch als ginge ich 24 Stunden am Tag zur Therapie."

Auf der musikalischen Seite greift Ginevra dabei auf die Hilfe ihrer Musiker-Kollegen zurück. Dazu gehören der Produzent Matteo Pavesi (Alice Phoebe Lou), ihr Songwriter-Kollege Damon Arabsolgar, der Komponist Arturo Zanaica und ihr Vater Giovanni Battaglia.

„Ja, das hat hauptsächlich technische Gründe“, räumt Ginevra ein, „ich habe nämlich keinerlei technische Ausbildung und weiß nichts von Musiktheorie. Ich habe ein paar Instrumente spielen gelernt – aber nicht wirklich gut. Ich bin also auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen, obwohl das mein Solo-Projekt ist. Das ist für mich zwar auch eine Herausforderung, aber es ist auch eine Art Geschenk - denn wenn man sich für Kollaborationen öffnet, dann kann man auch zulassen, dass andere durch ihre Ideen die eigene Musik interpretieren."

Die Musik, die auf diese Weise entsteht, kann dann keinem bestimmten Genre mehr zugeordnet werden, denn zwischen Ambient, Folk, Folklore, Songbook-Jazz, Psychedelia, Klassik und Indie-Rock gibt es kaum etwas, das im Projekt Guinevere keinen Platz finden könnte. Tatsächlich erscheint das Album „To All The Lost Souls“ am Ende wie eine einzige Collage aus Stilen, Ideen, Klängen, Inhalten, Arrangements und Fragmenten, die letztlich nur von Ginevras Persönlichkeit zusammengehalten werden, denn selbst innerhalb einzelner Stücke ist jenseits aller konventionellen Formate grundsätzlich immer alles möglich. Welche Erklärung hat Ginevra denn dafür, wie es zu diesem eklektischen Mix kommen konnte?

„Ich denke, Du hast das schon ganz gut beschrieben“, meint Ginevra, „wenn ich gefragt werde, was ich gerne höre, dann sage ich immer 'ein bisschen von Allem'. Das ist zwar etwas anmaßend – aber nun ja. Angefangen hat alles mit der Musik der 60er und 70er, die auch mein Vater mochte und die mir einiges über Rhythmus und Instrumentierungen verraten hat. Wir haben uns zum Beispiel beim Autofahren die Beatles, die Rolling Stones, Led Zeppelin, Janis Joplin oder Pink Floyd angehört. Ich selbst habe mich dann später mehr auf Folkmusik fokussiert – Joni Mitchell oder Nick Drake etwa. Ich entwickelte aber auch eine Leidenschaft für klassische Musik und Oper. Ich mag auch Indie Rock – PJ Harvey oder Radiohead, die mich sehr beeinflusst haben.“

Was hat es denn mit dem Covermotiv (das eine Gruppe von sich umarmenden Körpern zeigt) auf sich?

„Die Idee war die den Planeten Erde als Umarmung einer Gruppe von Menschen zu zeigen“, führt Gin aus, „aber natürlich soll jeder selbst entscheiden, wie er das Foto interpretiert. Das gilt ja auch für meine Musik. Mit das Interessanteste an der Musik ist ja dass ich einen Song schreiben kann, und jeder davon mitnehmen kann, was er möchte. Meine persönliche Idee hinter dem Covermotiv war aber die, dass ich eine andere Welt zeigen wollte, als die unsere. Eine Welt in der wir nicht mit dem Finger auf andere Menschen zeigen, sondern diesen zuhören. Eine Welt in der wir nicht kämpfen, sondern uns umarmen. Eine Welt, in der wir nicht urteilen sondern offen sind für Diversität. Eine menschlichere Welt also, in der die verlorenen Seelen nicht alleine sind."

Aktuelles Album: To All The Lost Souls (La Tempesta / Cargo)


Weitere Infos: https://www.instagram.com/thisisguinevere/ Foto: Angelica Cantu-Rajnoldi

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