Die inzwischen in Berlin lebende Songwriterin Madeline Juno findet auf ihrem nunmehr 6. Studio-Album „Nur zu Besuch“ ein neues Thema. Zwar geht es in bei den meisten der immerhin 14 neuen Tracks, die sie zusammen mit ihrem musikalischen Partner Joschka Bender produzierte immer noch um das Seelenheil der Auteurin und die Trapfalls von Beziehungsgeflechten – aber mit Stücken wie eben dem Titeltrack, „Murphy's Law“, „Mitte zwanzig“ oder „Life Goals“ hievt Madeline Juno ihre Selbstfindungs-Tracks und musikalischen Standortbestimmungen – teilweise sogar mit einem ironischen Augenzwinkern – auf ein ganz neues Level und diskutiert auch schwierige Themen mit sich selbst. Das macht sich auch musikalisch bemerkbar, da zunehmend auch Indie-Pop-Elemente Einzug in die Arrangements halten. Kein Wunder, denn inzwischen geht die Musikerin auf die 30 zu und kann schon alleine aus diesem Grund nicht auf ewig romantisch/melancholischen Teenie-Pop machen. Dennoch: Balance und Kontinuität sind Madeline Juno wichtig – denn sie möchte ihre stetig wachsende Gefolgschaft ja nicht vor den Kopf stoßen. Wie war denn der Plan, als es daran ging, die neue Scheibe zu produzieren?
„Meine letzte Platte 'Besser kann ich es nicht erklären' war ein klassisches Pandemie-Projekt“, führt Madeline aus, „wir haben an der neuen Scheibe dann die letzten anderthalb Jahre gearbeitet – und da war die Pandemie nicht mehr so spürbar. Es ist jetzt eine Platte geworden, die meine persönliche Weiterentwicklung widerspiegelt und hoffentlich noch erwachsener geworden ist, als die letzte. Ich hoffe, dass das dann auch den Sound widerspiegelt."Das Thema der Scheibe lautet ja „Nur zu Besuch“. Dabei geht es darum, nach Hause in den Schoß der Familie zurückzukehren und dann gewissen Dynamiken ausgesetzt zu sein. Ganz etwas anderes also, als das, was Madeline normalerweise in ihren Reflexionen über Beziehungen ausdrückt. Kann man eigentlich nach Hause zurückkehren? Viele Songwriter-KollegInnen sagen ja, dass man eigentlich zumindest nicht zu dem Zuhause zurückkehren könne, das man verlassen hat.
„Ich würde das vermutlich ähnlich ausdrücken“, meint Madeline, „ich finde es zwar wichtig, immer mal wieder nach Hause zurückzukehren, aber dass ich mich jemals gänzlich wieder zu Hause fühlen kann, wie etwa als Kind - wenn man doch in die große weite Welt hinaus ist und mal woanders gelebt hat – ist nicht mehr ganz möglich. Man bleibt ja immer Kind und Mama und Papa bleiben immer Mama und Papa. Nach einer Zeit ist man dann immer wieder 10 Jahre alt und es kommen wieder die gleichen Dinge, Themen, Gespräche und die gleichen Streitigkeiten wie damals auf – obwohl man sich selbst doch weiter entwickelt hat. Das soll nicht heißen, dass die anderen stehen geblieben sind, aber die Dynamiken verändern sich halt in den Elternhäusern nicht mal so eben mit einen Fingerschnippen. Es ist für mich ein schwieriges Thema – daher findet es auch auf der Platte statt."
Wenn Madeline übrigens immer von einer „Platte“ anstatt eines „Projektes“ spricht, so hat das seinen Grund, denn als eine der wenigen ihrer Zunft veröffentlicht sie ihre Sachen noch physisch – auch auf CD und Vinyl. Aber zurück zum Thema: Das ist dann wohl das sogenannte „Coming Of Age“, richtig?
„Auf jeden Fall“, bestätigt Madeline, „ich würde mir jedenfalls wünschen, dass das bei den Leuten auch so ankommt. Die Scheibe enthält viele Songs, wie „Version von mir“, „Mitte 20“ und „Nur zu Besuch“ von denen ich sagen würde, dass viel Introspektion und Reflexion über das Erwachsen-Werden enthalten und alles genau mit der Lupe betrachtet wird."
In dem klassischen Coming-Of-Age-Song „Mitte zwanzig“ zitiert Madeline den Kruger-Dunning Effekt. Dieser besagt, dass Menschen mit geringer Kompetenz dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst objektiv zu beurteilen. In welchem Zusammenhang versteht Madeline diese Referenz? Geht es um die Erkenntnis, dass sie sich früher schlechter einschätzen konnte, als heute?
„Die kurze Antwort ist: Ich denke schon“, meint Madeline, „ich muss da aber ein wenig ausholen: Als ich jünger war, ein Teenager, und die Musik entdeckte, merkte ich dass mir das Spaß machte und ich dachte, dass ich das kann, wenn ich mich da reinknie. Das war dann so, dass aus einem jungen Menschen, der Unsicherheiten hat noch kein Selbstwertgefühl jemand heranreifte, der in einer Sache seinen Selbstwert findet. Du ziehst dann aus von zu Haus und machst das beruflich – musst auch dahinter stehen können – und denkst, du weißt, wie es geht. Dann denkt man, man weiß, wo der Hase langläuft und fühlt sich mit 18, 19 oder 20 schon ziemlich erwachsen. Irgendwann denkst Du dann, dass Du alles verstanden hast. Das ist ja normal. Ich bin seit Jahren in Therapie und beschäftige mich sehr viel mit mir selbst und mit meiner Psyche und allem, was mit mir passiert ist. Je mehr ich aber lerne und je tiefer ich blicke und je weiter ich rausblicke, desto mehr merke ich, dass ich vorher eigentlich gar nichts gewusst habe. Und ja: Ich konnte mich früher längst nicht so gut reflektieren wie heute. Das ist dann wahrscheinlich auch Teil des Erwachsen-Werdens."
Dazu muss man noch wissen, dass die Sache mit der Therapie keine Lifestyle-Choice für Madeline ist, sondern dass sie seit jungen Jahren an klinischen Depressionen leidet. Hilft diese Therapie dann beim Schreiben von Songs?
„Total“, meint Madeline, „das Schreiben von Songs hat schon etwas sehr therapeutisches. Aber mich persönlich macht es mich zu einem aufgeräumteren Menschen und hilft mir auch ein besserer Mensch zu werden."
Wie funktioniert das dann für Madeline?
„Indem ich ein Therapie-Tagebuch führe“, erläutert sie, „ich schreibe sehr viel darüber, was ich erlebt habe und was ich aus der Therapie mitnehme. Ich kann so über die letzten Jahre zurückblicken und wenn ich dann ins Studio fahre, und weiß, dass es da Themen gibt, die mich über die letzten Jahre immer beschäftigt haben, dann hilft mir das – wie zum Beispiel der Song 'Nur zu Besuch'. Da geht es dann nicht nur um diesen einen Tag, sondern ist ein großes Thema in meinem Leben, dass mich schon lange begleitet und wahrscheinlich auch noch länger begleiten wird. Indem ich so etwas dann aufgeschrieben habe, hilft mir das insofern beim Schreiben von Songs, als dass ich dann so etwas wie einen Beweis habe und etwas nachschlagen kann und gezielter in mich hineinhorchen. Ich muss dann nicht im Studio On The Spot in ein paar Stunden alles rausrattern, was ich so empfunden habe. Ich habe einfach einen bessern Überblick."
Wie sieht das mit der Inspiration denn auf der musikalischen Seite aus? Immerhin hat Madeline Juno ihre musikalische Laufbahn ja mit zwei Scheiben auf Englisch begonnen?
„Ich muss dazu sagen, dass ich privat nach wie vor kaum oder sogar gar keine deutsche Musik höre“, räumt Madeline ein, „das hat sich auch in all den Jahren, in denen ich deutsche Musik mache nicht geändert. Ich höre also englischsprachige Musik. Aber egal um welche Sprache es geht, bin ich sehr auf die Lyrik fokussiert. Für mich sind die Songtexte unheimlich wichtig. Ich liebe eine gut ausgedachte Geschichte oder einfach ein Songwriting, was mich total in den Bann zieht, weil es um ein Thema geht, was ich zu 1000% verstehe. Ich mag es aber auch, wenn gar nicht so klar ist, was der Texter sagen will und dass man dann selbst etwas hineininterpretieren kann, worin man sich selbst drin findet. Musikalisch bin sehr divers unterwegs. Früher habe ich mehr Pop-Musik gehört, aktuell geht es aber wieder sehr verkopft und in Richtung Alternative. Musikalisch war mir aber wichtig, dass wir uns nicht vollkommen verändern wollten, denn ich habe eine ganz tolle Community und eine Fanbase, die in den letzten 10 Jahre viele Entwicklungsschritte mit mir mitgemacht haben und es ist mir immer wichtig, diese dann nicht so vor den Kopf zu stoßen."
Mit diesem Konzept hat Madeline Juno nach ihrem Wechsel vom englischsprachigen zum deutschsprachigen Metier genau diese Community ständig ausbauen können, sodass ihre anstehende „Tour zu Besuch“ im April teilweise bereits ausverkauft ist (und zwar in nicht eben kleinen Venues). Irgend etwas scheint sie also richtig zu machen – auch, wenn es „nur“ um Pop-Musik geht.
Aktuelles Album: Nur zu Besuch (Embassy Of Music / Tonpool)
Weitere Infos: https://www.facebook.com/MadelineJuno/ Foto: Ben Wolf