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JACK RIVER

Wundervoll irrational

JACK RIVER

Die Karriere der australischen Songwriterin Holly Rankin scheint sich in bestimmten Phasen abzuspielen. Das hängt vermutlich mit dem tragischen Ereignis zusammen, das letztlich dazu führte, dass sich Holly überhaupt der Musik zuwandte: 2006 verstarb ihre jüngere Schwester bei einem Freak-Unfall in einem Spa. Holly brauchte dann einige Zeit, mit dieser Situation fertig zu werden – entschloss sich dann aber dazu, sich über ihre Tagebucheinträge und dem Schreiben eigener Songs mit dem Event auseinanderzusetzen. Als sie von ihrem Geburtsort New South Wales nach Sidney umzog, wählte sie als Nom de Plume den Namen des Flusses Jack River im Bundesstaat Victoria. Inzwischen ist Jack River dann auch ein Bandprojekt, an dem zum Beispiel auch Holly's Freundin Annie Hamilton beteiligt ist. Als Jack River veröffentlichte Holly ab ca. 2013 erste eigene Songs und EPs im Indie-, Psychedelia- und Dreampop-Stil, die ihr schnell einen guten Ruf als Songwriterin und Live-Performerin, Lob in der Presse und erste Nominierungen bei der australischen Alternative der Grammys, den ARIA-Awards, einbrachte. Es waren dann aber erst ihre inzwischen Platin-prämierte 2017er Single „Fools Gold“ und die im folgenden Jahr erscheinende nach dem Neil Young Song benannte Debüt-LP „Sugar Mountain“, die ihr den kommerziellen Durchbruch Down Under bescherten. Eine gefeierte Tour am Vorabend der Pandemie, eine intensive Periode politischen Aktivismus, einige Lockdown-Phasen und eine Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter Maggie später erscheint nun mit „Endless Summer“ das zweite Jack River Album – das Holly Rankin musikalisch unbeschwert auf der Sonnenseite des Lebens als Pop-Künstlerin präsentiert. Oder?

"Nun ich habe viel darüber nachgedacht, wie es gewesen wäre ein Protest-Album zu machen und das es doch eigentlich genau das wäre, was die Welt gerade braucht. Es ist ja interessant, dass in den 60ern auch die Beach Boys oder die Beatles in turbulenten politischen Zeiten lebten. Sie haben sich aber dazu entschieden, diese verträumte, eskapistische Musik zu machen. Und ich denke, dass ich vielleicht von derselben Sache besessen war, wie sie damals. Ich wollte auf jeden Fall eine magischere Traumwelt erschaffen, als die, die momentan real existiert."

Als eine Art Gegenmittel zu allen Krisenszenarien?

„Ja, genau!“ Das heißt vermutlich auch, dass Holly es gar nicht übel nehmen würde, wenn man „Endless Summer“ auch ein gewisses Hippie-Flair attestierte? „Nein, da wäre ich nicht böse“, pflichtet sie bei, „besonders angesichts solcher Songs wie 'Honey', wo ich mich dieser Gedankenwelt doch sehr bewusst genähert habe."

Was ist denn das Thema des Albums? Offensichtlich scheint es ja um Eskapismus zu gehen – allerdings nur offensichtlich, denn unter der glitzernden Oberfläche gibt es Zweifel und Ängste, die Holly zumindest in ihren Lyrics auch anspricht.

„Also Texte repräsentieren für mich immer das, was ich gerade wirklich fühle, wenn ich Songs schreibe“, führt Holly aus, „die Produktion beschreibt dann, wie ich versuche, das musikalisch unter einen Hut zu bekommen. Es ist also eine amüsante Wechselbeziehung. Es waren aber nun auch eher düstere Zeiten und ich hatte auch schwierige Situationen in Bezug auf meine Karriere und meine Beziehungen zu bewältigen, die ich auf dem Album thematisierte. Die Produktion ist also definitiv eskapistisch. Ich hatte vor, 70er Flair mit Beach-Boys-Referenzen und ein wenig Psychedelia zusammenzuführen. Es ist dann wohl so, dass ich über die Produktion davor fliehe, wie ich mich fühlte, als ich die Songs schrieb."

Hat das auch mit der Pandemie zu tun? „Nun 'Endless Summer' ist jedenfalls kein Album über die Pandemie“, überlegt Holly, „ich habe einige Songs auch schon vor der Pandemie zumindest angefangen. Die Aufnahmen fanden dann allerdings in der Pandemie statt. Einige der Songs, die ich während der Pandemie geschrieben haben – wie zum Beispiel 'Paradise' haben dann auch diese Phase zum Thema. Ich spreche hier davon, wie ich die Beziehungen zu meiner Karriere und meinem Traum während dieser Phase verloren habe. Und in 'Nothing Has Changed' erzähle ich davon, wie dann die erste Show nach der Pandemie in Darwin gespielt habe und ich mich gefragt habe, ob das Publikum nach einer so langen Pause wieder zurückkommen würde. Man fühlt sich nämlich als Musiker sehr verloren, wenn man so lange Zeit nicht gespielt hat. Als wir dann allerdings diese Show spielten, fühlte es sich an, als habe sich nichts geändert und alles war so, wie es sein sollte – was ein wirklich schöner Moment war."

Was kann Holly denn so richtig an einem Song begeistern?

„Was mich am meisten begeistert ist, wenn etwas auf eine Weise ausgedrückt wird, die ich zuvor noch nicht gehört habe“, überlegt Holly, „wenn sich also etwas anhört wie etwas anderes, was vorher schon mal dagewesen ist, interessiert mich das nicht besonders. Und die Songs, die ich am besten finde, sind welche, die einen echten eigenen Gedanken enthalten."

Was ist denn die größte Herausforderung für Holly als Songwriterin?

„Vermutlich gegenwärtig und offen genug zu sein und echte Gefühle zuzulassen“, überlegt sie, „also echte Gefühle – denn nur aus echten Gefühlen können echte Songs entstehen. Ich habe festgestellt, dass man mehr Bewältigungsmechanismen hat, wenn man älter wird – und weniger wundervoll irrational mit seinen Emotionen umgeht. Das kann wirklich großartige Songs sogar verhindern, denn wirklich großartige Songs entstehen nur, wenn Du Dir erlaubst, die Emotionen zu verspüren, die Dein Körper auch verspüren möchte. Wenn man älter ist, hat man ja mehr und mehr Situationen, mit denen man zurecht kommen muss und dann die echten Emotionen unterdrückt, denn man hat ja auch mehr Verantwortung."

Ob es in absehbarer Zeit eine Tour von Jack River in unseren Breiten geben wird, steht noch in den Sternen, da Holly zunächst mal alles nachholen muss, was durch die Pandemie ausgefallen ist. Da steht natürlich an erster Stelle die Bedienung ihres Heimatkontinentes an – und dann der geplante Trip in die USA.

Aktuelles Album: Endless Summer (Nettwerk) VÖ: 16.06.


Weitere Infos: https://www.jackrivermusic.com/ Foto: Ash Schumann

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