Als das Projekt Me And My Drummer, mit dem Charlotte Brandi und ihr ehemaliger Partner Matze Prölloch bis 2018 unterwegs waren, sich aufgrund interner Spannungen auflöste, spielte Charlotte ihre erste Solo-LP „The Magican“ noch mit englischen Texten ein – teilweise auch, um die Kontinuität zu ihrer bisherigen musikalischen Laufbahn zu wahren. Musikalisch indes weitete sie ihr Sound-Universum bereits damals aus und zeigte kompositorisch und strukturell eine bemerkenswerte Eigenständigkeit. Es war dann schließlich ihr Kollege und Freund Tristan Brusch, der Charlotte dazu ermunterte, es – wie er selber auch – auch ein Mal mit deutschen Texten zu versuchen. Da Charlotte gerade angefangen hatte, Gedichte zu schreiben und die Pandemie mehr Zeit bot, sich mit Fragen der Identitätsfindung und Reflexion zu beschäftigen, nutzte Charlotte die sich bietenden Möglichkeiten, mit der EP „An das Angstland“ bereits 2020 einen Richtungswechsel vorzunehmen. Das Resultat fand Charlotte selbst dann offensichtlich so interessant und befriedigend, dass nun, mit der LP „An den Alptraum“ ein ganzes Album auf Deutsch auf dem Fuße folgt, mittels dessen Charlotte zudem ihre Bemühungen in kollaborativer Hinsicht in einem FLINTA-Umfeld ausweitete und auch selbst als Produzentin tätig ist, um neue Möglichkeiten kreativer Natur auszuloten.
Während die musikalische Struktur auf „An den Alptraum“ ähnlich angelegt ist, wie jene der „Magican“-Scheibe, ist der größte Unterschied zwischen Charlotte's erster und zweiter Scheibe zweifelsohne der Wechsel der Sprache von englisch nach deutsch. Ist es denn schwieriger in der Muttersprache zu schreiben? Viele Künstler, die das – ähnlich wie Charlotte – ausprobiert haben, sagen das ja; mit dem Argument, man könne sich hinter der Muttersprache weniger verstecken.„Es ist schwieriger, wenn man Probleme mit Ehrlichkeit hat“, antwortet Charlotte, „und das habe ich nicht. Ich finde übrigens auch nicht, dass die 'Magician'-Scheibe so ähnlich angelegt ist, wie das 'Alptraum'-Album. Für mich war 'Magician' eine Übergangs Platte."
Charlotte's neue Songtexte basieren dabei auf Gedichten, die sie seit kurzem schreibt. Wie entstehen denn diese Gedichte – und wie ist Charlotte auf die Idee gekommen, daraus Songs zu machen? Viele Leute sagen ja, dass Gedichte und Songtexte erst mal etwas Unterschiedliches sind.
„Also ich würde sagen, dass ich der Beweis bin, dass man Gedichte vertonen kann“, überlegt Charlotte, „es ist halt alles sehr liedhaft dadurch – also im Sinne von Schubert. Ich finde, dass Tocotronic so etwas auch bekannter gemacht haben – diese Manieriertheit, diese etwas gestelztere Sprache – die bei mir aber gar nicht immer gestelzt ist. Ich bin ja nun auch Deutsch und habe – wie viele – damit meine Schwierigkeiten. Ich war auf der Suche nach Authentizität und kultureller Identität. Ich habe zum Beispiel auf 'The Magician' eine Soul-Single herausgebracht, finde so etwas aber heute nicht mehr interessant für jemanden wie mich. Man kann ja auch andere Wege suchen - und dann kam mir diese ganze Schlagervergangenheit von Leuten wie Alexandra, Hildegard Knef oder Marlene Dietrich in den Sinn. Das waren alles so ultra-coole Frauen, die eigentlich viele Facetten in sich vereint haben. Irgendwie süß/herb, die aber deutlich und erhaben auf mich wirkten und keine Angst vor Emotionen zeigten, aber eine erhabene Sprache verwendeten. Das hat für mich etwas Gedichthaftes gehabt. Auch das waren Türöffner für mich, die mir erlaubt haben, ein Gedicht zu nehmen und es mal als Song zu probieren. Das war damals die erste Single 'Wind'."
Diesen Song veröffentlichte Charlotte weiland als erste deutschsprachige Single – und auf dieser ist auch Dirk von Lowtzow von Tocotronik als Duett-Partner zu hören.
Da sind wir bei einem interessanten Thema. Denn wenn Charlotte da klassische Kunstlieder und auch Schlager mit chansonesquem Ansatz erwähnt, dann sind das ja nicht gerade Sachen, die in der heutigen Musikkultur ein gutes Standing haben.
„Also ich habe das Gefühl, dass die Mentalität diesbezüglich hierzulande rettungslos flach ist“, meint Charlotte, „oder untief, wenn man das so sagen kann. Man hat einerseits sehr viel Angst vor Kitsch, hört dann aber Schlager? Warum nur? Damit das ironisch ist? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Das geht mir aber nicht auf den Wecker, weil es mir in die Karten spielt und zu meinem Alleinstellungsmerkmal beiträgt. Ich weiß aber was Du meinst: Es wäre schön, wenn es noch mehr in der Richtung gäbe."
Warum mag das denn hierzulande wohl so sein? In anderen Ländern geht es doch auch.
„Wir dürfen ja nicht vergessen, was zwischenzeitlich hier passiert ist“, gibt Charlotte zu bedenken, „wir waren vollkommen außer Rand und Band – ein monströs verführtes Massenmördervolk. Diese Schmach hat auch Kreise gezogen. Es ist ein geschichtlich/kultureller Bruch, den wir nicht unterschätzen dürfen. Ich fände es auch cooler, wenn Leute aus meiner Generation oder der nachfolgenden dann eigene Kunstlieder erschüfen – sozusagen ein Schubert-Update."
Dabei ist Charlotte auch selbst schon auf einem guten Weg – auch wenn sich in ihrer Musik all ihre Inspirationsquellen – von kontemporärer, US-amerikanischer Indie-Musik über Folklore bis hin zu 80's Vibes wiederfinden, die sie mir viel Geschick und Sinn für Gegensätze und Balance kompositorisch zu einer sehr eigenständigen Melange verquickt. Wie kommen die Texte mit dieser Musik zusammen? Werden die Texte und die Musik vielleicht rhythmisch aneinander ausgerichtet?
„Also das ist natürlich nicht immer gleich“, zögert Charlotte, „es gibt da nämlich drei Charlotten: Eine Charlotte schreibt ein Gedicht, Die zweite Charlotte holt das nach Tagen, Wochen oder Monaten aus der Schublade und legt es sich vor am Klavier und singt das im Metrum des Textes. Der Text ist immer der Boss. Die dritte Charlotte nimmt sich das, was da ausgedacht wurde und hat auch keine Angst noch mal ganz neu wie ein Metzger anzusetzen und Sachen abzuschneiden."
Mit der „Angstland“-EP ist Charlotte ja genau in die Lockdown-Phase geraten. Gibt es denn jetzt Pläne, wieder live aufzutreten?
„Ja“, bestätigt Charlotte, „obwohl die Zeiten für Live-Musiker sehr schwierig sind. Wir haben so seltsame Deals angeboten bekommen. Ich werde vielleicht das erste Mal bei einer Tour nichts verdienen. Das wäre dann sozusagen ein Geschenk an die Menschheit und meine Mitstreiterinnen. So etwas gab es noch nie. Ich habe momentan an ein Trio angedacht und wir werden auch noch einen Soundmenschen mitnehmen. Das ist eigentlich noch zu wenig für all die Sachen, die in meiner Musik stecken – aber gerade können wir uns einfach nicht mehr leisten. Es wird schon werden."
Aktuelles Album: An das Angstland EP (Listenrecords)
Weitere Infos: https://www.charlottebrandi.com/ Foto: Annika Weertz