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JAIMEE HARRIS

„Ich wollte nie berühmt werden“

JAIMEE HARRIS

Geschickt geworfen kehrt ein Bumerang bekanntlich zu dem zurück, der ihn zunächst mal weggeworfen zu haben scheint. Insofern dürfte eine „Boomerang-Town“ ein Ort sein, zu dem man dann auch unweigerlich zurückkehrt, wenn man ihn ein Mal verlassen hat. Es wäre allerdings falsch anzunehmen, dass ein solches Bild die alleinige Motivation für die Backstory des zweiten Albums der in der Nähe des texanischen Ortes Waco aufgewachsenen, aber inzwischen mit ihrer Partnerin Mary Gauthier in Nashville residierenden Songwriterin Jaimee Harris gewesen wäre, denn nichts läge Jaimee Harris ferner, als in ihren Songs ihre persönliche Geschichte im Tagebuchformat auszubuchstabieren. Das machte sie bereits auf ihrer Debüt-LP „Red Rescue“ deutlich, auf der sie bewies, dass sie durchaus in der Lage ist, auf größere universelle Fragen zwar durch ihren persönlichen Filter, aber auf eine allgemeingültige Weise zu thematisieren.

„Boomerang-Town“ ist also nicht ausschließlich biographisch angelegt, oder?

„Ja, das ist richtig“, pflichtet Jaimee bei, „tatsächlich ist der Titeltrack eine Geschichte, die ich aus der Perspektive eines 17-jährigen Jungen schildere, der im Walmart arbeitet und seine Freundin schwanger gemacht hat. Nun ist das so, dass ich in meinem Heimatort zwar auch ein Mal für eine kurze Zeit in einem Walmart gearbeitet habe – aber meine Geschichte ist ein Mischmasch aus verschiedenen Elementen. Ich denke, dass die coole Sache eines Songwriters die ist, dass man entscheiden kann, wer die Geschichte erzählt. Ich gebe Dir mal ein Beispiel: Das neueste Buch der Schriftstellerin Barbara Kingsolver ist aus der Perspektive eines 11-jährigen erzählt. Niemand, der das Buch aufschlägt wird ja voraussetzen, dass es Barbara Kingsolver selbst ist, die da erzählt. Diese Erwartung wird aber immer bei Songwritern vorausgesetzt. Wenn man sich das aber mal genau betrachtet, ist das schreiben von Songs eine höchst literarische Angelegenheit. Man hat die Möglichkeit, seine Geschichten auf dieselbe Weise zu erzählen, wie ein Schriftsteller Kurzgeschichten erzählen würde."

Was hat es denn dann mit dem „Boomerang-Thema“ auf sich?

„Also viele meiner neuen Songs sind natürlich von Ereignissen in meinem Heimatort inspiriert“, führt Jaimee aus, „aber auch von den Eindrücke, die das Aufwachsen in einer Kirchengemeinde und meiner Familie bei mir hinterlassen haben. Das Bumerang-Thema war also das beste Bild, um diese Songsammlung zu beschreiben."

Das heißt also, dass auch die Religion eine gewissen Eindruck bei Jaimee hinterlassen hat?

„Ja, ich bin in einer baptistischen Gemeinde groß geworden“, erzählt sie, „das war für mich aber eine weitestgehend positive Erfahrung, denn dort habe ich gelernt zu singen – was mir sehr wichtig war. Ich war da musikalisch in alle möglichen Sachen involviert. Zum Beispiel habe ich mich freiwillig für die Kirchen-Band gemeldet. Das war dann meine Welt. Ich war 6 oder 7 Tage in der Woche in der Kirche. Erst als ich etwas älter war und eine weiterführende Schule besuchte, wurde mir bewusst, dass ich mich sprachlich doch sehr an der sehr insularen Kirchensituation ausrichtete."

Aber noch ein anderes Thema die Kirche betreffend, hat Jaimee beeinflusst.

„Ja, denn die andere Erfahrung die ich mit der Kirche gemacht habe ist die, dass als sich die politischen Verhältnisse 2016 in unserem Land änderten – woran die Kirche einen nicht unerheblichen Anteil hatte – und mir diese Thematik dann bewusst wurde. Ich lebte in einer vergleichsweise liberalen Gemeine, in der man durchaus kritisch sah, wie sehr sich die Kirche da politisch einmischte. Als mir das bewusst wurde, habe ich langsam der Kirche den Rücken zugewendet. Als meine liberalen Freunde dieses Thema diskutierten, begann ich die ganze Sache zu hinterfragen: Glaubt meine Mama an solche Dinge? Wählt sie, wie es die Kirche vorgibt? Bin ich eine richtige Christin? Glaube ich an solche Dinge? Das ist der Grund, warum ich mich auf vielerlei Arten mit meinem Heimatort beschäftige – weil ich selbst viele Fragen habe. Was ich dadurch herausgefunden habe, ist, dass ich nun noch mehr Fragen als Antworten habe."

Das ist ja ein interessantes Thema – denn wer hätte gedacht, dass die Kirche in einem westlich orientierten Land noch ein Mal einen solchen Einfluss in politischer Hinsicht gewinnen könnte? Das reizte Jaimee dann wohl, eine gewisse Protestsong-Attitüde einzunehmen, oder?

„Na ja – ich bin eine rebellische Person“, erläutert Jaimee, „wenn mir jemand durch einen Song sagen will, was ich tun soll – wie das in einer bestimmten Art von Folk-Musik ja passiert – dann lehne ich das ab. Sag mir nicht, was ich tun soll! Ich konnte mich also nicht hinstellen und sagen: So und so sieht es aus und wir müssen dies und jenes tun. Einer meiner Heroen ist James McMurty, den ich sehr dafür verehre, wie er seine Geschichten erzählt. Mir wurde dann klar, dass er die Geschichten aus dem Blickwinkel einer einzelnen Person schildert. So schildert man Geschichten – in die man dann auch universelle Themen wie ungewollte Schwangerschaften oder Waffengewalt einfließen kann. So wollte ich das dann auch machen – auf einer persönlichen Ebene und ohne zu predigen. Sowas neeeeeervt nämlich ohne Ende."

Musikalisch sind Jaimee's Songs ja recht konventionell strukturiert und kommen ohne großartige innovative Impulse auskommen. Würde sie sich als Traditionalistin bezeichnen?

„Ich würde mich weniger als Traditionalistin, denn als Fackelträgerin bezeichnen“, zögert sie, „ich studiere sicherlich die Kunst großer Songwriter wie Nanci Griffith, Townes Van Zandt, Guy Clark oder den frühen Jackson Browne – und ich operiere im Geiste dieser Tradition. Aber klanglich bin ich auch ein Pink Floyd Fan oder mag Kathleen Edwards' Scheiben. Ich mag durchaus einen modernen Sound – aber ich könnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, etwas mit Drum-Computern zu machen. In den USA wird das Thema Stilistik oft diskutiert. Ich würde sagen, dass ich musikalisch eine Anhängerin des Texas-Folk bin."

Welche Ansprüche hat Jaimee Lee Harris denn als Songwriterin?

„Für mich war das immer schon so, dass ich niemals so richtig berühmt werden wollte“, resümiert Jaimee, „als Teenagerin spielte ich ein paar Shows mit (der Country-Pop-Künstlerin) Maren Morris. Sie ist ungefähr genauso alt wie ich und schon damals, mit 15 wusste ich, dass sie ein großer Star werden würde. Sie hatte einfach dieses Ding. Ich dachte mir aber, dass das nicht meine Sache sei und ich stattdessen lieber ein Publikum finden wollte, das meine Songs wirklich wertzuschätzen wüsste. Dass heutzutage dennoch jedermann Deine Musik hören kann und es weniger Beschränkungen gibt, ist ja schon ziemlich ermächtigend. Andererseits wissen wir ja, dass das Radio-Hören Dein Leben verändern kann. Aber das Radio ist stark reglementiert und vereinheitlicht. Nur große Acts kommen also ins Radio. Damit kann ich aber leben."

Aktuelles Album: Boomerang Town (Folk 'n' Roll Records/Thirty Tigers)


Weitere Infos: https://www.jaimeeharris.com/ Foto: Brandon Aguilar

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