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LIZZO

Laut und proud

LIZZO

An der Rapperin/ Sängerin/ Aktivistin Melissa Jefferson alias Lizzo ist künftig kein Vorbeikommen mehr. Mit ihrem dritten Album ´Cuz I Love You´ gibt die 31-Jährige ein fulminantes Statement für Selbstliebe und Individualität. Und hat dazu das vielleicht noch unterhaltsamste und originellste Pop-Rap-Werk seit langem abgeliefert.

Nackt sitzt Lizzo auf dem Cover ihres Albums ´Cuz I Love You´, und zwar so richtig splitterfasernackt, bedeckt nur von ihrem – praktischerweise sowieso bis zum Hintern reichenden – Haar. Das muss man sich erstmal trauen, oder Lizzo?

„Ach, Schnickschnack. Ich bin so gerne nackt, und wenn es nach mir ginge, würde ich mich noch viel häufiger in der Öffentlichkeit ausziehen.“

Durch die Tatsache, dass Lizzo nicht die Figur eines klassischen Models hat, wird aus dem Bild auch gleich noch ein gesellschaftliches Statement.

„Ich finde, mein Körper sieht cool aus“, gibt Lizzo sich selbstbewusst. „ich liebe meine dunkle Haut, und überhaupt ist Nacktheit der beste Stylingtipp, den es gibt.“

Lizzo sagt, „schön und klassisch“ finde sie sich selbst. Und außerdem: „Sehe ich nicht aus wie eine Ikone?“

31 Jahre ist Melissa Jefferson, wie Lizzo mit bürgerlichem Namen heißt, nun alt, und die meiste Zeit ihres Lebens wurde ihr eingetrichtert, dass da so gar nichts cool sei an ihr. Übergewichtig, schwarz, mit nicht eindeutig definierter Sexualpräferenz, Frau – ihr Umfeld reagierte viel zu oft nicht besonders positiv auf Lizzo.

„In der Schule wurde ich als fettärschiges Mädchen beschimpft und von den anderen gemobbt. Für ein Kind ist das schlimm. Ich war noch zu jung, um mich wirklich zu wehren und zu behaupten. Aber nach und nach stieg in mir die Lust und der Wunsch, mich selbst zu mögen. Mich gern zu haben. Ich hatte es einfach satt, mich selbst runterzumachen und doof zu finden. Meine Songs spiegeln diese Geschichte und meine Entwicklung wider. Sie sind mein Manifest der Stärke.“

Wir sprechen mit Lizzo am Telefon. Sie ist in Austin, nicht weit entfernt von ihrem Geburtsort Houston, und verbringt den Vormittag eines raren freien Tages vor ihrem Auftritt beim SXSW-Festival im Bett, ein leichtes Krächzen ist zu vernehmen („Ich will mich heute ein wenig schonen“) und auch hin und wieder ein ausgiebiges Gähnen. Aber Lizzo ist Profi, sie redet auch einfach gerne, und so schickt sie ihre freundlich-verbindlichen, nicht selten druckreifen Statements durch den Hörer.

„Ich sage es dir jetzt: Wir schwarzen Frauen übernehmen. Lange genug sind wir gegängelt und bevormundet und nicht ernst genommen worden. Der Kampf für Freiheit und Gleichberechtigung ist für mich genauso selbstverständlich wie der Wunsch, zu leben und zu atmen.“

Lizzo ist nicht nur Rapperin, sie ist auch Aktivistin.

„Eine gleichberechtigte, nichtdiskriminierende Gesellschaft ist so wichtig wie das Recht zu atmen. Ich arbeite in einem Umfeld, in dem dicke schwarze Frauen kaum sichtbar sind. Aber ich mache den Mund auf und stelle fest, dass wir mehr und mehr akzeptiert werden. Ich war mein ganzes Leben lang ein Individuum, und nun bewegt sich der Trend endlich in meine Richtung. Fuck, ja, ich bin auf einer Mission. Ich bin als schwarze Frau geboren, und ich bin eine verdammt stolze schwarze Frau. Ich erkämpfe mir einen Platz in der Welt, in der uns lange kein Platz eingeräumt wurde.“

´Cuz I Love You´ ist zwar schon das dritte Album von Lizzo, die seit einiger Zeit in Los Angeles lebt, jedoch ist es das erste, mit dem sie sich zu hundert Prozent identifiziere. Und dazu hat sie auch allen Grund. Schon ´Juice´, die erste Vorabsingle, begeisterte mit origineller 80er-Jahre-Pop-Instrumentierung und einem selbstironischen Aerobic-Video.

„In dem Universum von ´Juice´ ist die schwarze Frau die Königin“, erläutert Lizzo das Konzept des Clips, der ihr viel Beachtung und Zuspruch einbrachte. „Sie übernimmt die Regie auf jedem Kanal. Und alle wollen etwas von ihrer Kraft, von ihrem Saft.“

Jetzt prustet sie ins Telefon, Lizzo ist nun wach.

Dass dieser Frau jegliches Schubladendenken ein Graus ist, hätte man sich denken können, darauf angesprochen, wo man ihre Musik denn nun verorten möge, reagiert Lizzo entsprechend deutlich. Ob ein Stück nun Pop oder Soul, R&B oder Hip Hop ist, das sei ihr schnurzegal, und zwar komplett.

„Genres, mein Freund, was soll ich mit Genres? So denke ich nicht. Ein Song ist für mich geil, wenn er mich berührt.“

Womit wir direkt bei ´Cuz I Love You´ angekommen wären, dem Titellied des Albums. Das ist eine epische Powerballade, die nach früher klingt, nach Aretha Franklin, Amy Winehouse oder Janis Joplin, in jedem Fall extrem und nicht so schnell wieder aus dem Kopf kriegend. Lizzo singt sich hier gewissermaßen um Kopf und Kragen.

„Für mich ist ‚Cuz I Love You‘ einer der gefühlvollsten, einzigartigsten und ehrlichsten Songs, die ich je geschrieben habe. Ach was, das ist einer der einzigartigsten Songs, die überhaupt jemals von irgendwem geschrieben wurden.“

Das Liebeslied ist freilich ein unerwidertes, Lizzo lässt ihre Hemmungen gegenüber einer ungenannten, aber konkreten Person in ihrem Leben fallen, natürlich ohne emotionalen Erfolg.

„Von mir war das mutig. Wenn die andere Person nicht reagiert, dann ist sie eben dumm.“

Das fehlende Selbstvertrauen, das Lizzo einst plagte, nun, jetzt ist es fraglos vorhanden.

Mit dem Rappen begann Melissa schon als Jugendliche. Sie verbrachte ihre Kindheit in Houston/ Texas und begann bereits dort mit dem Rappen. Mit 14 gründet sie eine Mädchen-Rap-Kombo namens Cornrow Clique, dann noch eine andere, dann eine R&B-Girl-Group, immer ohne größere kommerzielle Resonanz. Immerhin: Mit der R&B-Gruppe namens The Chalice, veröffentlicht Lizzo, die mittlerweile nach Minneapolis gezogen war, ein Album, mit dem sie lokal erste Beachtung findet.

„Das Musikbusiness hatte nicht wirklich auf mich gewartet“, sagt sie. Doch aufgeben, alles hinschmeißen, sich irgendeinen bürgerlichen Beruf suchen? Kam für Lizzo nicht in Frage.

Als sie aufwächst, liebt sie Missy Elliott, die in den späten Neunzigern die wohl bekannteste Rapperin der Welt war und bis heute einen tadellosen Ruf genießt.

„Missy war wie eine Sternschnuppe für uns. Sie hat gezeigt, dass es möglich ist für eine schwarze Frau im Rap etwas zu bewegen.“

Insofern ist Lizzo unendlich stolz, dass die Legende auf ihrem Stück ´Tempo´ mit dabei ist.

„Missy ist die Legende meines Lebens. Wir sind beim selben Label, waren beide zur gleichen Zeit in Atlanta, und sie hatte Lust, mit mir ins Studio zu gehen und sich anzuhören, was ich zu sagen habe. Das war einer der glücklichsten Tage meines Lebens.“

Nicht abwegig, dass Lizzo bald schon einen ähnlichen Status hat wie die große Kollegin. 2018 tourte sie mit Haim und Florence and The Machine. Und das Forbes-Magazin nahm sie in seine Liste „30 under 30“ auf, für die Wirtschaftszeitschrift gilt Lizzo also als einer der 30 einflussreichsten Menschen unter 30 überhaupt.

Dass Lizzo angekommen ist, nämlich bei sich selbst, demonstriert sie besonders beeindruckend im Song ´Soul Mate´. Sie schrieb ihn am Valentinstag 2018, dem ersten Valentin, an dem sie sich nicht wertlos, einsam und verzweifelt gefühlt habe.

„Okay, ich gehöre dem Club der War-noch-nie-in-einer-richtigen-Beziehung-Menschen an. Valentinstag war für mich deshalb immer ein Kack-Tag, der hat was Provozierendes, außerdem ist er künstlich aufgeblasener, verlogener Unsinn. Alle finden das scheiße, aber fühlen sich unter Druck gesetzt. Und für mich war er immer eine Art Verstärker meiner Einsamkeit, meines „Oh, niemand will dich“-Gefühls. Bis ich beschloss, dass der Tag mir am Arsch vorbeigeht.“

Und so entschied Lizzo, sich einen romantischen Abend mit sich selbst zu machen.

„Ich kochte mir etwas Schönes und nahm mir Zeit für eine lustvolle Masturbation.“

Später hatte sie die Idee für dieses Stück.

„Mir wurde so klar wie nie zuvor, dass wir keine anderen Menschen brauchen, um uns zu heilen und gut zu fühlen. Seitdem fühle ich mich nicht mehr inadäquat oder minderwertig. An diesem Abend in meiner Wohnung, da habe ich mich wirklich in mich selbst verliebt.“ Ein Zustand, der bis heute anhält.

Aktuelles Album: Cuz I Love You (Warner Music)

Foto: Luke Gilford

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