Musik am Puls der Zeit zu machen war für Die Nerven schon immer das erklärte Ziel. Nie allerdings spielte dem explosiven Stuttgarter Trio der Zeitgeist so sehr in die Karten wie heute. Mit ´Fake´ veröffentlichen Die Nerven nun ihren neuesten Soundtrack für eine Welt, die immer schneller aus den Fugen zu geraten scheint. Dafür tauschen sie bisweilen die herrlich brachiale Wucht der Frühwerke gegen einen hörbar ausgetüftelteren Sound im Post-Rock-Dunstkreis ein, der dezent in Richtung poppiger Eingängigkeit deutet. Passend dazu heißt es gleich im ersten Lied: „Erlaubt, ist was gefällt!“
Aber Moment mal! Sind Die Nerven nicht die Band, die lange für ihre Verweigerungshaltung berühmt-berüchtigt war und lieber gegen alles war, nur um nicht dafür sein zu müssen? Jein, denn das Ganze ist in den Augen von Gitarrist/Sänger Max Rieger, Bassist/ Sänger Julian Knoth und Drummer Kevin Kuhn eher ein Missverständnis.„Es ging uns nie um Verweigerung, wir wollten nur etwas Eigenes machen“, stellt Rieger klar, als wir die Band im Düsseldorfer Büro ihrer Agentur treffen. „Wir machen nichts, nur weil es andere schon zuvor gemacht haben, sondern deshalb, weil es passiert, wenn wir drei mit unseren Instrumenten in einem Raum sind. Als wir anfingen, wurde das nicht akzeptiert. Es hieß: ´Das ist kein gültiges Argument, so einfach könnt ihr es euch nicht machen.´“
Inzwischen hat sich das Blatt allerdings gewendet, denn mit den beiden Alben ´Fun´ (2014) und ´Out´ (2015) sind Die Nerven zu einer festen Größe im deutschen Indie-Kosmos geworden.
„Ich habe das Gefühl, dass wir uns ein Alleinstellungsmerkmal in der Musiklandschaft erarbeiten konnten und jetzt die Möglichkeit haben, unsere Stärken auszuspielen“, freut sich Rieger. Auf ´Fake´ ist deshalb das musikalische Spektrum spürbar breiter als zuvor, präzise Arrangements waren dieses Mal wichtiger als die Gesamtatmosphäre.
„Es geht uns darum, Sachen auszudifferenzieren“, erklärt er. „Auf ´Fun gab es zum Beispiel den Song ´Angst´, der angedacht war wie nun ´Niemals´ auf ´Fake´. Bei ´Niemals´ und einigen anderen Stücken des neuen Albums ist es uns gelungen, klarer zu zeigen, was die Songs sein sollen.“
Anstatt wie beim Vorgänger auf unbändige Live-Power zu setzen, gingen Die Nerven bei den Aufnahmen in der Abgeschiedenheit der Toskana dieses Mal deutlich weniger dogmatisch an die Arbeit und achteten verstärkt darauf, ihre Lieder nachvollziehbar zu machen. Gilt das auch für die Texte?
„Oh, nee!“, wehrt Rieger lachend ab. „Bei den Texten geht es mir nicht darum, dass am Ende jeder eine Inhaltsangabe schreiben kann. Ich würde sie nicht ändern, damit sie verständlicher werden. Ich bin sogar froh, wenn sie es nicht sind!“
Für Meinungsmache ist in Die-Nerven-Songs kein Platz, Politisches bleibt abstrakt. Dennoch, das unterstreichen die ersten Reaktionen, hat die Band mit ´Fake´ und ihrer Artikulation der Unbehaglichkeit einen Nerv getroffen. Wie schafft man das?
„Da gibt es ein paar Sachen, die für mich wichtig sind“, sagt Knoth über seine Herangehensweise ans Texten. „Mit wenigen Worten viel sagen, gleichzeitig aber auch möglichst wenig sagen. Das Ziel ist es, eine Zweideutigkeit aus konkret und schleierhaft hinzubekommen.“
Glück bedeutet derweil für Die Nerven, sich ganz aufs Musikmachen konzentrieren zu können:
„Je mehr Aufmerksamkeit man erfährt, desto weniger Zeit verbringt man damit, tatsächlich Musik zu machen“, weiß Kuhn.
„Für mich geht nichts darüber, ein richtig gutes Konzert zu spielen. Das ist auch spirituell noch einmal ein ganz anderes Gefühl als die Befriedigung, die man spürt, wenn man ein gutes Album aufgenommen hat. Es ist immer nur ein kurzer Moment, aber der macht wirklich glücklich!“
Aktuelles Album: Fake (Glitterhouse / Indigo)
Weitere Infos: www.dienerven.de/ Foto: David Spaeth