Phillip Boa ist Deutschlands bekanntester Indie-Pionier. Er allein bestimmte vor drei Jahrzenten, was Alternative hierzulande bedeuten darf und müsste genug Selbstvertrauen getankt haben, dass Zweifel oder Unsicherheit Fremdwörter in seinem Wortschatz sind. In den Interviews zum neuen Album „Bleach House“ präsentiert er sich jedoch als Musiker, der gerne zwei Mal über den nächsten Schritt nachdenkt und an schlechten Kritiken immer noch zu knabbern hat: „Ich verfolge das manchmal mit Absicht nicht, denn ein Verriss trifft mich so sehr, dass selbst zehn wohlwollende Artikel nichts daran ändern“, gibt Boa zu und natürlich ist es bei den vielen Geschichten, die er erlebt hat, nicht das einzige Thema, das ihm Bauchschmerzen bereitet.
Interviews gebe er nicht mehr so gerne, verrät Phillip Boa bei der Begrüßung und betont, dass er insgesamt nur zwei Redakteuren das neue Album „Bleach House“ schon vor der Veröffentlichung zugänglich machte – „am liebsten würde ich es wie David Bowie halten und mit niemanden sprechen.“Stellt er klar, allerdings nicht ohne im selben Atemzug zu erwähnen, dass sein Label von sehr netten Menschen geführt werde und denen vor den Kopf zu stoßen, könne und wolle er nicht. Versöhnliche Töne, die zeigen, dass die letzten Jahre den ehemaligen Querdenker verändert haben.
Zu sagen, wo und wann seine Karriere eigentlich losging, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Achtziger waren es ohne Frage, doch startete der Hype um seine Person eigentlich erst ein paar Jahre später so richtig: „Container Love“ und „This Is Michael“ zogen prompt nach Veröffentlichung auf die vorderen Ränge der Charts und brachten trotz des Erfolges ein Dilemma mit sich:
„Es gab danach eine Phase, in der ich diese Sachen nicht mehr spielen wollte. Erst verweigerte ich mich komplett und dann, als wir wieder anfingen, sie zu spielen, drehte ich dem Publikum auf der Bühne den Rücken zu. Eine unfaire Geste den Leuten gegenüber.“
Ein bisschen von dieser Verweigerungshaltung ist auch heute noch auf dem neuen Album „Bleach House“ zu vernehmen. Im Mittelstück „Ueberblendung“ lautet eine Zeile: „I sold my soul in 90’s“ – und weiter: „My eyes are swollen from paranoia“.
Ein Resümee, keine Wasserstandsmeldung, denn inzwischen habe er mit sich und der Karriere Frieden gemacht und sei happy mit dem, was er zusammen mit seinem Voodooclub im Jahre 2014 darstellt.
„Ich bekomme gerade öfter zu hören, dass die neuen Songs so brachial wie die ganz frühen Stücke seien und kann dazu nur sagen: Wir hatten Bock drauf und niemand erzwang den Sound auf ‚Bleach House’ aus irgendwelchen Gründen heraus.“
Nicht die einzige Veränderung im Hause Boa – ebenso neu: Sängerin Pris, die seine Langzeitpartnerin und Ex-Frau Pia Lund beim Gesang ersetzt. Ein richtig festes Mitglied scheint sie noch nicht zu sein, soll sich aber während der kommenden Tour bewähren können, liest man vielerorts zwischen den Zeilen.
„Die Annahme, dass Pia und ich uns wieder gestritten hätten, ist falsch – sie war diejenige, die anrief und meinte, mit derart lauten Songs wie auf ‚Bleach House’ auf Tour zu gehen, würde zu einer 50-jährigen Frau nicht passen. Vom Gegenteil konnte sie niemand überzeugen, ihre Entscheidung stand fest.“
Das gesamte Gespräch über bleibt Boa ruhig und besonnen, er scheint die offenen Rechnungen mit Plattenfirmen, Verlagen und weiten Teilen der Presse überwunden zu haben und wirkt versöhnlich, fast ein wenig zu aufgeräumt für seine Verhältnisse.
„Du wirst immer wieder Menschen finden, die dir sagen, dass deine Musik scheiße ist. Daran ändern auch zig Alben nichts. Meine Einstellung ist jedoch gelassener geworden: Bis auf unser Debüt finde ich jede Platte für sich genommen gut.“
Wobei „Bleach House“ Phillip Boa fast wieder zu jenem Indie-Pionier macht, der in Deutschland einst ein Genre etablierte, dass bis dahin nur englische oder amerikanische Bands beherrschten.
Seine neue Gelassenheit steht ihm gut, auch wenn die Betriebstemperatur musikalisch wieder angezogen wurde.
Aktuelles Album: Bleach House (Cargo Records)