Der schlaksige Joel kriegt die Augen kaum auf. Frühmorgens sitzt er mit einem Apfel in der Hand in einem Berliner Hotelzimmer. Vor einer halben Stunde kam er an, direkt aus Nebraska, und nun stehen ihm zig Interviews bis zum späten Abend bevor. Ein hartes Programm. Aber man ist auch hierzulande neugierig, was sich im Zuge des fünften Albums bei seiner Band The Faint verändert hat. So viel sei gleich vorweggenommen: jede Menge!
Die anderen Vier The Faints sind daheim geblieben. Sie bereiten im heimischen Omaha alles für die anstehende Tour vor. Joel Petersen, der große müde Sympath, Broken Spindles-Sänger und The Faint-Bassist in einer Person wurde abgesandt, um Fragen zu beantworten. Über „Fasciination“, jene Platte, für die sich The Faint vier Jahre lang Zeit ließen. Zeit, die sie brauchten, um den Vorgänger live zu spielen, alles in Gänze zu verdauen und sich danach einer kompletten Frischzellenkur sämtlicher Glieder und Extremitäten zu unterziehen. Eine derartige Kompletterfrischung ist nach zehn Jahren Bandgeschichte und Achterbahngekurve durchs Business natürlich auch nicht das Schlechteste.Also begannen die Herren für „Fasciination“ gleich mal grundlegend anders: Sie bauten sich ein Studio und legten die gesamte Produktion ausschließlich in die eigenen Hände. Klar, dass man solche Umstände allein schon hören muss:
„So hat unser neues Album seine eigene und für uns ganz neue Stimme und Stimmung bekommen. Speziell für unseren Sänger Todd war diese Veränderung sehr wichtig. Er hatte so mehr Zeit und weniger Druck, konnte seine Stimme finden und wir alle konnten an den Songs so lange arbeiten, bis sie für uns die richtige Atmosphäre ausstrahlten. Deshalb fühlt sich dieses Album auch so gut für uns an.“
Aber damit nicht genug Do It Yourself! The Faint haben sich zudem kurzerhand von Saddle Creek verabschiedet und ihr eigenes Label namens blank.wav ins Leben gerufen. Fortan hielten sie also auch die Zügel für die Prozesse rund um das Künstlerische in den eigenen Händen. Die totale Autarkie!
„Wir haben uns die wirtschaftliche Lage in den USA genauestens angeschaut. Und als wir alle Aspekte untersucht und analysiert hatten, mussten wir feststellen, dass es nicht so gut um sie bestellt ist... Nein, das haben wir natürlich nicht gemacht!“
Vielmehr schwebte der Gedanke schon jahrelang im Raum. Selbst wenn niemand aus den eigenen Reihen die Idee laut äußerte oder zur Disposition stellte, so war dieser Plan des bandeigenen Labels stets ein unausgesprochener Begleiter:
„Der Gedanke, einfach alles selbst kontrollieren und frei entscheiden zu können, was uns als Band betrifft, war immer da. Natürlich bedeutet solch ein Weg weitaus mehr Arbeit, Stress und Verantwortung für uns alle. Du musst viel mehr entscheiden, währenddessen aber auch immer ganz bewusst in deinem Kopf trennen und dir sagen: Priorität hat immer die Musik! Aber genau das ist es, was wir ja wollten.“
Warum The Faint diesen Weg gehen wollten, erschließt sich durch einen gemeinsamen Blick auf die Diskografie der Band. Denn wenn Joel jedes The Faint-Alben mit nur einem Wort beschreiben müsste, wird eine Entwicklung deutlich, die den Klang im Hier und Jetzt erklärt. Das Debüt ´Media´ beschreibt er als ´konfus´, den Nachfolger „Blank-Wave Arcade“ als ´richtig´, das dritte Studioalbum ´Danse Macabre´ war in seinen Augen ´düster´ und das vierte namens ´Wet From Birth´ durchweg ´produziert´.
„Und dieses ‚produziert' meine ich nicht nur negativ, aber es erklärt ganz klar unsere Herangehensweise für das jetzige Album.“
Faszination als inhärentes wie kohärentes Programm! Denn dieses Wort beschreibt den gesamten Prozess, in dem das Album geschrieben wurde und verdeutlicht die neue Situation dieser Band. The Faint haben sich ein weiteres Mal getroffen und gefunden.
„Natürlich sind unser allererstes und unser allerneustes Album sehr verschieden, ja kaum zu vergleichen. Aber genaugenommen sind sie für mich schon irgendwie sehr ähnlich und gleich, weil sie beide absolut The Faint sind, nur eben in einer anderen Zeit, Situation, Lage und Stimmung entstanden sind. Aber es war immer diese eine Band, egal wie das jeweils nach außen hin klingen mag.“
Aktuelles Album: Fasciination (CitySlang / Universal)