We Are Scientists sind besonders für zwei Sachen bekannt: Sie nehmen nicht immer alles ernst – sich selbst dabei am wenigsten – und haben zudem ein Händchen für dancefloor-taugliche Popsongs. Beides ist im Prinzip geblieben. Die Songs sind allerdings diesmal weniger indiepoppig, sondern haben viel 80er Charme und sind etwas experimenteller ausgefallen. Auch der hohe Spaßfaktor ist immer noch Teil jedes Interviews, wenn Bassist Chris Cain auch im Verlaufe des Gesprächs überraschend ernst wird – nach augenzwinkerndem Beginn, wie beispielsweise bei der Frage nach dem Ausgangspunkt von Brain Thrust Mastery“.
Chris Cain: Wir merkten, dass wir ganz dringend und ganz schnell unglaublich reich werden müssten. Einige Geldhaie drohten sonst unsere Gesundheit zu gefährden. Da sich Popmusik im Moment sehr gut verkauft, wollten wir eben keine Indieplatte für Fans machen. Dann mussten wir nur noch die Balance zwischen gut verkaufend und unserem eigenen Geschmack finden.Michael (Tapper, ehemals Schlagzeug) ist ja nicht mehr dabei – brauchte er kein Geld?
Chris: Michael hat festgestellt, dass er aus politischen und philosophischen Gründen allergisch gegen Geld ist. Ihm wurde klar, dass er nichts mit jeglicher Form von Kapitalismus und Kommerz zu tun haben will. Nach seinem Willen hätten wir ein Album gemacht, aber dann die Songs weggegeben und wären für Unterkunft und Essen getourt. Er war noch an der Entstehung beteiligt, wollte aber nicht mehr auf Tour gehen. Für ihn war es wichtiger, ein Zuhause mit Freunden und Familie zu haben. Keith und ich reagieren allergisch auf so etwas wie Familie und Zuhause.
Was waren dann die Kriterien für mögliche neue Bandmitglieder?
Chris: Die erste Frage war, ob sie auch auf Besitz aus wären. Da musste dann sofort das Blitzen in ihren Augen zu sehen sein. Das nächste Kriterium war, ob sie ein Instrument spielen. Wenn das auch der Fall war, haben wir sie sofort mit zum Shopping genommen, um zu testen, ob sie einen kostspieligen Geschmack haben. Dann mussten sie ihre Instrumente nur noch beherrschen. Dann blieben vier übrig, die allerdings nur mittelmäßig spielen können. Auf Tour ist aber eh wichtiger, dass sie die gleichen Überzeugungen haben.
War der Schreibprozess diesmal ein anderer?
Chris: Er war komprimierter. Beim letzten Album haben wir fast zwei Jahre Zeit gehabt, ohne einen besonderen Zeitplan im Hinterkopf. Beim eigentlichen Songwriting haben wir diesmal mehr ausprobiert, verschiedene Stimmungen in unterschiedlichen Kontexten beispielsweise. Zudem war es auch am Ende schwieriger das Album abzugeben. Wir haben außerdem nach den eigentlichen Aufnahmen zudem noch länger an den Songs rumgebastelt und verschiedene Mixe ausprobiert.
Keith hat mal gesagt, dass Eure letzte Platte perfekt war – was ist trotzdem diesmal besser?
Chris: With Love And Squalor war auf seine Art perfekt. Keith und ich waren uns beispielsweise einig, dass es keinen schwachen Song hat. Brain Thrust Mastery ist ambitionierter und mehr ein wirkliches Album, als eine Ansammlung an Songs von uns. Die Stücke sind diesmal ausbalancierter, vielseitiger und beziehen sich aufeinander. Spoken For ist eine richtige Ballade geworden, That’s What Counts wirkt zunächst wie ein 80er Pastige, wird aber dann ein echter catchy WE ARE SCIENTISTS-Song. Let’s See oder Tonight sind eher typisch für uns. Impatience könnte auch eine Single aus den 80ern sein. Bei der Produktion haben wir den Fokus mehr darauf gerichtet, dass man auch nach mehrmaligem Hören noch neue Details findet und überrascht wird. Das war beim ersten Album noch nicht der Fall.
Ist das Denken in einem Album-Kontext noch zeitgemäß?
Chris: Ich denke nicht, dass er völlig obsolet ist. Ende der 80er, Anfang der 90er spielten in den USA die Kassettensingles eine große Rolle. Dann kamen die CDs. Es gab dann zwar noch Singles, aber in weiten Teilen der Staaten hat man aufgehört, diese zu verkaufen. Seit den Mp3s und der Track-für-Track-Verkaufsform denkt man an Alben als Ansammlung von Singles. Viele Musikfans suchen aber meiner Meinung nach immer noch nach echten Alben.
Wie wichtig ist Euch der Spaß-Faktor?
Chris: Natürlich würden wir es nicht machen, wenn es keinen Spaß machen würde. Rein finanziell lohnt es sich nicht, weil es einfach zu viel kostet, von der Familie getrennt zu. Wir nehmen uns halt selbst auch nicht so ernst und finden, dass sich auch die ganze Industrie nicht so ernst nehmen sollte. Popmusik als solche befindet sich in der Grauzone zwischen Kunst und Entertainment. Wer es zu sehr als Kunst angeht, macht sich gerne lächerlich. Wer es als reine Unterhaltung macht, veröffentlicht schlechte Musik, die man nach wenigen Wochen wieder vergisst.
Ist es anders, die neuen Songs live zu spielen?
Chris: Das ist komplizierter geworden und wir mussten Kompromisse eingehen. Es sind kaum Stücke auf dem Album auf dem wir wie im Studio, alles selber spielen können. Deswegen brauchten wir ein viertes Bandmitglied. Bei einigen Songs benötigen wir eigentlich sogar neben einer zweiten Gitarre noch ein Keyboard, ein Glockenspiel und eine Orgel. Viele Bands arbeiten dann live mit Backingtracks – das hielten wir aber für keine gute Idee. Das mag gut klingen, wir versuchen aber lieber eine heruntergefahrene aber treffende Version des Songs hinzubekommen.
Ein Song heißt Impatience – was macht Dich ungeduldig?
Chris: Ich hasse Verkehr sehr, eigentlich schlangen im Allgemeinen, weil man da nicht lesen oder mailen kann. Wenn man Auto fährt kann man nur dem Radio zuhören und was gibt es schlimmeres? Aber wir werden einfach mehrere WE ARE SCIENTISTS-Städte gründen – das heißt eigentlich einfach mehrere existierende Städte kaufen. Da werden dann die meisten künstlerischen und philosophischen Entscheidungen nach unseren Vorgaben getroffen. Wir wollen keine großen Nationen – vielleicht ein paar kleine Länder in der Größe von den Niederlanden. Dorthin können dann die Menschen immigrieren, die unsere Ideen teilen.
Aktuelles Album: Brain Thrust Mastery (Virgin)
Weitere Infos: www.wearescientists.com