„Play it again, Sam“ wird im Film „Casablanca“ genauso wenig gesagt, wie der viel zitierte Satz „Harry, hol schon mal den Wagen!“ nie in der Serie „Derrick“ zu hören war. Falsche Zitate hin oder her, dass ist den beiden Plattenfreaks Michel Lambot und Kenny Gates komplett egal, als sie sich im Jahr 1981 in Michel Lambots Laden „Casablanca Moon“ im belgischen Brüssel erstmals über den Weg laufen. Ihre gemeinsame Leidenschaft ist Musik, die auf -von Großkonzernen- unabhängigen Labels erscheint.
Vom Souterrain in die weite Welt hinausDoch „Casablanca Moon“ überlebte den Juni 1982 nicht. Der Laden musste schließen. Die Leidenschaft für unabhängige Musik der beiden - inzwischen zu Freunden gewordenen - jungen Männer ist jedoch ungebrochen. Die beiden Jungspunde sind zu diesem Zeitpunkt übrigens erst 21 Jahre (Michel Lambot) und 19 Jahre (Kenny Gates) alt und stehen vor der Frage: Was tun?
„Wir hatten den Plan ausgeheckt, eine Firma zu gründen, die Platten importiert“, erinnert sich Kenny Gates, „da die Kisten mit den importierten Platten aus England irgendwo hinmussten, überließen meine Eltern uns einen Raum in unserem Souterrain. Als wir dann 1983 endlich umgerechnet 5000,00 Euro zusammen hatten, konnte unsere Firma unter dem Namen ‚Play it again, Sam’ endlich auch eingetragen werden.“
Schnell wir den beiden klar, dass den Labels, der reine Import nicht mehr reicht. Folgerichtig wird die Servicepalette um Promotion and Marketing erweitert. Etwa zur selben Zeit tritt Philippe Saussus in das junge Unternehmen ein und kümmert sich um die Finanzen. Dafür gibt er einen hoch dotierten Bankjob auf. Gemeinsam diskutieren die drei jungen Herren darüber, dass es doch auch ganz schick wäre, eigene Künstler unter Vertrag zu haben.
„So hatten wir 1984 erstmals eine Reihe, teilweise obskurer lokaler und internationaler Künstler auf unserem Label“, lacht Kenny Gates, „die erste dieser Veröffentlichungen war das Minialbum „Faces In The Fires“ der Experimental-Psychedeliker „The Legendary Pink Dots.“
Die PIAS’ler sind fest davon überzeugt, dass die zentrale Lage von Belgien in Europa dazu beiträgt, die Dienstleistungspalette auch im Ausland zu etablieren.
„Unser großer Traum war, ein paneuropäisches Label und eine musikbezogene Dienstleistungsfirma zu etablieren.“ Es hat funktioniert. Heute verfügt PIAS über Büros in England, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Irland, Spanien, den USA und Australien.
Von Electronic Body Music zur Stilvielfalt
PIAS ist zu Beginn auch eine der treibenden Kräfte hinter dem Aufstieg der Electronic Body Music (EBM)/Industrial und erwirbt dabei große Verdienste durch Künstlerverträge mit Front 242, Meat Beat Manifesto und Young Gods. Mit PIAS im Rücken werden beispielsweise Front 242 zu einer der einflussreichsten Formationen ihrer Generation und sind Inspiriration für nachfolgende Bands, wie etwa Nine Inch Nails und The Prodigy. „Front By Front“, das vierte Studioalbum von Front 242 gilt als eines der wichtigsten Industrial-Platten. Darauf findet sich auch die Übersingle „Headhunter“, die auch Ausgangspunkt für die gleichnamige kultige Videointerpretation von Anton Corbijn ist.
„Diesem Teil der Vergangenheit trägt PIAS auch dadurch Rechnung, dass im Rahmen der Wiederveröffentlichungskampagne zum Geburtstag das 1988er Album ‚Front By Front’ von Front 242, die Meat Beat Manifesto-Platte ‚Satyricon’ von 1992 ebenso wiederveröffentlicht wird, wie das Werk ‚TV Sky’ der Schweizer Formation The Young Gods“, erzählt Kenny Gates. Doch PIAS hält sich nicht in der EBM-Nische auf, sondern zieht schnell stilistisch weiter. Unter Vertrag genommen werden Künstler mit so unterschiedlichen kreativen Hintergründen, wie Butthole Surfers, The Neon Judgement, The Sound, Skinny Puppy, Taxi Girl, Bill Pritchard oder The Cassandra Complex. Durch die Tatsache, dass PIAS sich in den vertretenen Ländern auch lokale A&Rs leistet gerät die stilistische Vielfalt der PIAS-Gruppe noch breiter. Unter der PIAS-Haube trifft deshalb Singer/Songwritertradition auf dynamischen Spacceklang, stürmischer Elektroclash auf genresprengenden DJ-Mix, sprich Gisbert zu Knyphausen auf Mogwai, Vitalic auf 2 Many DJ’s. In diesem Zusammenhang zieht Kenny Gates nach 30 Jahren PIAS folgendes Resümee.
„Das Wichtigste ist, dass wir nach wie vor unabhängig sind. Das bedeutet, dass wir unserer persönlichen Vision immer noch freien Lauf lassen können, dass die Wahl der Künstler, mit denen wir arbeiten wollen, ausschließlich auf der Grundlage unserer persönlichen Überzeugungen erfolgt. Und das wir weiterhin genau deshalb morgens aus den Federn klettern, weil wir unsere Leidenschaft für Musik immer wieder neu leben wollen.“
Vom Plattenverkäufer zum Konzert-
veranstalter
Genau diese Passion hat PIAS den heute immer noch währenden Erfolg beschert. Und genau diese Passion hat auch dazu geführt, dass PIAS neue Geschäftsfelder betreten hat. So kommt anlässlich der Feierlichkeiten zu 30 Jahre PIAS die erste PIAS-Nite nach Deutschland. Diese Veranstaltungsform, die ein Paket mit PIAS-Künstlern auf die Bühne stellt, ist in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Irland die konsequente Live-Fortführung der PIAS-Prinzipien. Für den 13. Dezember steht im Berliner Postbahnhof die Deutschlandpremiere an. Mit dabei sind: aus Manchester I Am Kloot, die aus fragilen, zarten Momenten genau so Klangbausteine formen, wie aus Pompösem. Beides wird stets melancholisch-melodisch gehalten. Und vermutlich werden sie werden musikalische Vorboten des kommenden Albums „Let It All In” zum Besten gegeben. Gisbert zu Knyphausen wird mit spartanischer Instrumentierung und reduziertem musikalischen Ansatz seine häufig schrulligen Geschichten erzählen. Lisa Hannigan wird nach dem Akustikset vom Januar dieses Jahres im Berliner Schokoladen, ein weiteres Mal mit akustischer Gitarre, Ukulele und Mandoline antreten. Ganz sicher wird sie ihr becircendes „What’ll I Do“ im Gepäck haben. Andy Burrows wird ebenfalls zu Gast sein. Der Ex-Razorlight, Ex-We Are Scientists-Drummer hat im November sein Solo-Album „Company“ herausgebracht. Die beschwingten und eingängigen Lieder sind eines ideenreicher, als das nächste. Ghostpoet ist das alter ego des britischen Sängers und Produzenten Obaro Ejimiwe, dessen zweites Album für 2013 angekündigt ist. Kennzeichnend sind seine traumwandlerischen Klangschnipsel. Last not least treten poetisch und wortgewandt Nicolas Sturm & das Klingenensemble an und bewegen sich musikalisch zwischen Bob Dylan, Roy Orbison und Buddy Holly.
So wird auch die deutsche Premiere dem Publikum hautnah und in Echtzeit ein Gefühl dafür vermitteln, wofür PIAS seit 1982 steht: für tief gehende, nie enden wollende Hingabe an populäre Musik.
[PIAS] Nite: I Am Kloot, Gisbert zu Knyphausen, Lisa Hannigan (Akustikset), Andy Burrows, Ghostpoet, Nicolas Sturm & das Klingenensemble
13.12.2012 Berlin, Postbahnhof