Die Idee schwirrte schon ewig in seinem Kopf herum. Ist man aber in einem Fulltimejob wie Seeed mit Leib und Seele dabei, spielt bei der Umsetzung kreativer Ideen auf Gebieten jenseits davon eines nur selten mit: die Zeit. Nun ist sie da und ohne zu zögern nutzt das eine der drei Es sie prompt, anstatt zu chillen. Ear alias Demba Nabé hat mit Boundzound sein erstes Soloalbum fertig gestellt. Obwohl es das genau genommen ja überhaupt nicht ist, weil er hier mit guten alten Freunden das macht, was er am meisten liebt: Musik mit Menschen. Was das mit dem Spiel des Lebens zu tun hat und warum es wichtig ist, dass man die eigenen Ideen lauter dreht, weiß Boundzound-Kopf Demba nur allzu gut.
Demba sitzt in einem Café im Kreuzberger Kiez und schaut mit kleinen Augen etwas müde aus seinen großen Klamotten. Als Sänger einer der erfolgreichsten deutschen Reggae/Dancehall-Großfamilien darf er natürlich das natürlich auch. Aber eigentlich ist er gar nicht so geschafft, sondern eher ziemlich aufgeweckt und in vorfreudiger Erwartung auf die Dinge, die da kommen: „Endlich geht’s bald auf Tour. Ich freu mich schon total darauf.“ Schon verrückt. Denn wenn man bedenkt, dass Demba hunderte von Konzerten und Festivals auf dem Buckel hat und massenhaft die Hallen füllt, wäre es doch mehr als verständlich, wenn er nun mal kurz die Füße hochlegte und alle Fünfe grade sein ließe. Aber das kann er nicht. Sein Hauptbrötchengeber Seeed macht momentan eine größer angelegte Pause, damit sich jeder der elfköpfigen Band um seine Familys, Kids und natürlich auch mal um sich selbst kümmern kann. Platz für eine Pause wäre also auch für Demba vorhanden, aber die Lust, die fehlt ihm gänzlich: „Warum ich mir das alles gebe? Weil ich wahrscheinlich nie richtig ausgelastet bin. Ich brauche Diverses, um müde zu werden und am Ende des Tages schlafen gehen zu können.“ Demba kümmert sich während der allgemeinen Ruhephase also um seine, ganz besondere Familie: sie hat acht Mitglieder und ihr Baby heißt Boundzound.An diesem Familienprojekt werkelt Demba schon seit längerer Zeit, neben seinen anderen, diversen Zeitvertreibern: Der kreative Workaholic malt Bilder, er schreibt Geschichten und er entwirft Klamotten. Ende der Achtziger, also weit vor Seeed-Zeiten, begann der aus dem Nord-Ost-Berliner Bezirk Pankow Stammende Theaterstücke zu schreiben. „Ich habe damals versucht, den Film mit wenigen Mitteln auf die Bühne zu bringen - mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.“ lacht Demba rückblickend. Er startete dann eine Tanzausbildung, die er aber nicht abschließen konnte, da ihm die Musik dazwischen funkte. Aber all die erworbenen Fähigkeiten und die nun geschulten Sinne für die Theater- und speziell die Tanzkunst waren natürlich goldwert, als Seeed seinen Lauf nahm und immer mehr in Fahrt kam. Auch bei Boundzound, seinem nun aktuellen Projekt, fließt natürlich ganz viel aus diesen von ihm durchlaufenen Bereichen hinein: Die Videoidee zur ersten Single „Louder“ stammt von ihm und ist ein Fest des Tanzes, der Klamotten, des Theaters und der musikalischen Offenheit. Es würde bei Dembas kreativem Output und Ideenreichtum auch nicht verwundern, wenn es irgendwann mal ein kleines Theaterstück oder gar eine Mode-Kollektion gäbe, denn viel schlummert dort in seinem Hinterstübchen: „Wer weiß, was ich in der nächsten Seeed-Pause in Angriff. Alles ist möglich, vielleicht auch ein Seeed-Film. Mal schauen, wonach mir dann der Sinn steht.“
Aber zurück zum Hier und Jetzt, der vermeintlichen Pause, in welcher Demba sein erstes (ebenfalls vermeintliches) Soloprojekt auf die Beine stellt. Anfang des Jahres hatte er bereits mit dem langjährigen Freund, Musiker und Produzenten Charles Matuschewski ein Demo mit den Instrumentals vorbereitet. Dies reichten er an Monk und Vincent, die alt bekannten The Krauts, weiter, die dann weiterproduzierten. „In erster Linie“, erklärt Demba, „geht es mir bei einem Song immer um eine konkrete Idee, der dieses Lied dann zugrunde liegt. Sei es ein Refrain, eine Melodie, ein Text, eine Zeile oder eine Situation aus dem Leben.“ So wie bei dem Titeltrack, der seinen Anstoß im Leben eines Bekannten, einem Spieler, nahm. „Er ging gern ins Casino und pokerte dort, meist erst so gegen vier Uhr morgens, wenn die meisten Leute am Pokertisch schon ziemlich in den Seilen hingen. Dementsprechend hat er dort kräftig abgesahnt. Diese Geschichte allein hat mich inspiriert. Denn das Leben ist doch auch ein großes Spiel.“ Ein Spiel, das über viele Stationen und an mindestens genauso viele Wegesgabelungen des Schicksals führt. Was sich inhaltlich vielleicht etwas melodramatisch und pseudophilosophisch anhören mag, versprüht im Boundzound-Gewand eine ungeheure Energie und Euphorie. Speziell die bereits erwähnte erste Single „Louder“ „feiert allgemein die Ideen ab, die es wert sind, lauter gemacht zu werden. Das ist so wie: Ich mache Musik und es tanzt jemand dazu. Dann sage oder denke ich mir: Hey, tanz doch bitte lauter, denn es macht irrsinnig viel Spaß dazu Musik zu machen. Diese Metapher kann natürlich auch noch weiter ausgedehnt werden, auf ein ganz allgemeines Level, also die Idee, dass Leute an Dinge nicht glauben, so lange sie nicht vorhanden sind. Genau deshalb braucht man auch immer ganz viel Glauben, um etwas zu realisieren. Es geht mir darum zu sagen: Kämpfe für deine Idee und bleib dran!“
Als Kreativjunkie kämpft Demba vehemnet und passioniert für seine Ideen und gegen Grenzen. Es geht bei Boundzound um die Überwindung von Barrieren und Verbindung von Sounds. All das ist in Geschichten verpackt, mit Bildern gemalt, aus Formen staffiert und in Töne gebettet. Es ist dabei das multikulturelle und bedenkenlose Vermengen aller erdenklichen musikalischen Ausdrucksformen. HipHop, Soul, Reggae, Jazz, Elektronik, R’n’B und all die anderen Formen, die es neben diesen und auf der Welt gibt. Man könnte meinen, dass sich dieser unerschöpfliche Pool an Einflüssen und Strömungen letztendlich doch eigentlich verlaufen und in der Belanglosigkeit versickern müsste – nicht aber bei Boundzound, denn Demba hat bei dieser grenzenlosen Mixtur einen glasklaren Hintergedanken: „Wie ich schon erwähnte: Alles, was sich um die zugrunde liegende Idee bewegt, ist einzig und allein zur Unterstützung dieser konkreten Idee da. Und diese Unterstützung hole ich mir aus allen möglichen musikalischen Ecken, denn mir ist völlig egal, aus welcher Genrewelt etwas herkommt. Ich habe nicht die Absicht, irgendeinem Genre treu zu bleiben. Denn es ist extrem wichtig, dass etwas so kommt, wie es eben kommt.“
Deshalb kommt Boundzound auch gut. Denn hier regiert die Offenheit, das Beieinandersein von Stilen, Kulturen und Menschen. Und um Letztere geht es ja eigentlich auch immer, wenn Musik im Spiel ist. Für den Spieler Demba ist damit auch der Unterschied zwischen Seeed und Boundzound zwar anfänglich nur schwer, letztendlich aber ganz einfach zu benennen: „Ich glaube es sind die Menschen. Es sind immer Menschen, mit denen du etwas machst. Du musst dich austauschen, committen, Dinge zugestehen, Kompromisse finden. Genau das ist es, was Musik ausmacht. Auf einer ganz ursprünglichen Ebene muss man nämlich Konflikte austragen und lernt, miteinander umzugehen. Und das ist bei der Musik manchmal sehr schwierig, weil man mit ihr ja sein Herz ausschüttet. So etwas dann zu kritisieren, kann natürlich eine haarige Angelegenheit sein. Das Gute ist: Man lernt ganz viel dabei.“ Das Leben als großes, lehrreiches und Grenzen überschreitendes Spiel – das ist Boundzound. Und weil der Mensch ein Rudeltier ist, es ihm wichtig ist, nicht allein zu sein, ist dies auch kein Soloalbum im eigentlichen Sinne geworden, das weiß Demba nur allzu gut, denn „der Grund dafür, warum ich es liebe Musik zu machen, ist im Gegensatz zum Malen oder Schreiben, dass ich es nicht alleine mache, sondern mit mehreren Menschen, mit meinen Freunden. Das ist genau das, worum es im Leben doch eigentlich geht.“
Aktuelles Album: Damage (Universal)
Foto: Erik Weiss