Wenn ich an Hip Hop denke, kreisen in meinen Gedanken bombastische Ärsche vor meinem Gesicht und dicke Goldketten baumeln vor meiner Nase. It‘s all a-bout attitude, ey?? Vier Jungs aus Utrecht haben auf die Nummer gar keinen Bock und versuchen an allen stilistischen Szene-Musthaves vorbei Musik zu machen, die auf Message und nicht auf Decorum setzt. Die Rede ist von Illicit, die sich mit ihrem neuen Album „Cheap Propaganda“ gerade aufmachen, deutsches Territorium zu erobern.
Ihre Art, mit dem Publikum zu kommunizieren und ihre Live Acts spontan zu gestalten findet enormen Anklang und wachsende Fanscharen auch außerhalb der Niederlande sprechen für sich.Illicit sind anders, als alles was man sonst aus diesem Genre kennt. Ihre Texte gehen weit über ihre Neighborhood hinaus und behandeln die globale Scheiße, die sich derzeit auf unserem Pulverfass, genannt Erde, abspielt. Ob die Lage im Iran, das Ausländerproblem in den Niederlanden, sie halten ihre Augen weit offen und verarbeiten Eindrücke und Meinungen zu Statements, die immer eins sind: Reflektiert und kritisch.
Bei dem Begriff niederländischer Hip Hop fallen mir als erstes Opgezwolle ein. Vor den hat Sänger Pax zwar großen Respekt, merkt aber an, dass der große Unterschied zwischen den beiden Bands nicht nur in der Tasache begründet liegt, dass Opgezwolle niederländische Texte machen:
„Opgezwolle kommen aus einem sozialen Brennpunkt und singen auch vornehmlich über dieses Thema, über die Gegend, in der sie wohnen, mit welchen Problemen sie dort zu kämpfen haben. Ich denke unsere Themen sind vielfältiger, wir versuchen ein breiteres Spektrum zu beleuchten.“
Wie bereits erwähnt, heißt ihre neue Scheibe „Cheap Propaganda“ und die Ästhetik des Covers erinnert stark an Ostblockpropaganda.
Ich wäre enttäuscht, wenn dahinter nicht eine scharfsinnige Erklärung stecken würde.
„Wir finden, daß die Art und Weise, wie die ehemaligen Ostblockstaaten und China auch heutzutage noch, ihre Agitatoren, wie zum Beispiel Stalin oder Mao darstellen, absolut lächerlich. Wir parodieren das Ganze. China wird die nächste Weltmacht sein, darum wird es Zeit sich mal mit denen auseinanderzusetzen. Keiner betrachtet das Geschehen dort eingehend und wir haben keine Ahnung was passieren wird, wenn China auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Macht angekommen ist. Wir haben unserem Album diesen Namen gegeben, weil wir denken, daß wir billige Proganda nicht nötig haben. Wir wollen nicht mit diesem ganzen Image von Luxusschlitten, Koks, Unmengen halbnackter Frauen und diesem ganzen Zeug von uns reden machen. Wir brauchen keine teuren Musikvideos, wir wollen durch unsere Auftritte und unsere Musik das Interesse der Leute gewinnen und dass die dann über uns sprechen. Cheap Propaganda eben!“
Die Hiphopszene in den Niederlanden hat sich laut Pax in den letzten Jahren schwer verändert und íst erwachsener gewordener. Rumgeprolle war gestern, heute sieht man sich mehr als kritisches Sprachrohr seiner Gesellschaft. Das Einwandererproblematik ist allgegenwärtig und bedarf einer sensiblen Handlungsweise.
„Wir habe die Leute irgendwann alle mal in unser Land geholt, weil sie hier arbeiten sollten. Sie waren erwünscht. Sie gründen größere Familien als wir und darum steigt ihr Anteil an der Bevölkerung auch stetig an. Die Niederländer fühlen sich davon bedroht und reagieren oft mit Ausländerfeindlichkeit. Das bringt uns nicht weiter. Stigmatisierung in Ghettos, auch wenn sie selbst gewählt ist, wird irgendwann zu einer totalen Eskalation führen.“
Pax spricht gern für sich und darum überlasse ich ihm auch die letzte Message an unsere geneigten Leser:
„Bewegt Eure Hintern und macht was. Setzt Euch mit der Situation auseinander, in der Ihr steckt. Man sollte nicht erstarren und drauf warten, daß eine Regierung oder wer auch immer alles für einen regelt. Don‘t create it - make it !! Ach ja, und checkt regelmäßigwww.illicit.nl und myspace.com/cheappropaganda. Wir halten Euch auf dem Laufenden.“
In diesem Sinne werde ich mich jetzt arsch-wackelnd entfernen.
Aktuelles Album: Cheap Propaganda (Pott-People / Hazelwood/Indigo)
Foto: Martin Schulte