
„The Sea Drift“, das letzte Studio-Album der Portlander Band The Delines spielte an der Golfküste der USA. „Spielte“ muss es deswegen heißen, weil Willy Vlautin, der Songwriter der Band auch als Buch-Autor tätig ist und sich – wohl aus diesem Grund – angewöhnt hat, seine Songs in Form von vertonten Kurzgeschichten fast schon als Filmscripte anzulegen, in denen sich seine sehr detailreich und authentisch ausformulierten, fiktiven Charaktere tummeln. (Kein Wunder also, dass seine Romane regelmäßig verfilmt werden). Das Cover-Foto zeigte demzufolge Szenarien von ebendieser Golfküste.
Nachdem weiland „The Sea Drift“ erschienen war, veröffentlichte Willy Vlautin seinen aktuellen Roman namens „The Horse“, der die Geschichte des alternden Songwriters Al erzählt, der sein professionelles Leben als Musiker in Casino-Bands verbracht hat. (Einer US-spezifischen Variante der „Gala“-Bands – die eben statt auf Hochzeiten und Familienfeiern in Casinos spielen). Erstmals brachte Vlautin hier seine Faibles für die Musik und die Literatur zusammen und dichtete dem Musiker aus dem Buch ein Hobby als Songwriter an, der in seiner Freizeit emsig eigene Songs schreibt. Dazu erfand Willy über 200 fiktive Songtitel und teilweise sogar Songtexte, um die Geschichte glaubwürdig ausformulieren zu können. Und damit sind wir langsam bei der neuen Delines-Scheibe angelegt, denn deren Titel „Mr. Luck & Ms. Doom“ ist einer der vorgenannten Songtitel, für die Willy sich eine Geschichte zusammengereimt hat, die Amy Boone – die Stimme der Delines – nun auf gewohnt souveräne Weise im Stil einer Film-Noir-Ballade interpretiert.Langer Rede kurzer Sinn: Das neue Album zeigt auf dem Cover auf der Vorderseite einen Coyoten, der in einer Art Dünenlandschaft steht während die Rückseite dieselbe Landschaft ohne den Coyoten zeigt. Was denn wohl dieses Mal das Thema – bzw. die Location – der neuen Delines-Scheibe?
„Oh – ich war dieses Mal besessen von Arizona, New Mexico, California und Teilen Mexicos“, führt Willy Vlautin aus, „es ging um den den Südwesten. Der Coyote stammt aus Arizona. Für mich ist der Coyote der König der Grifter. Das ganze Album ist voller Grifter und Leuten auf der Flucht – da war der Coyote genau das Richtige.“ Ein „Grifter“ ist dabei so etwas wie ein „Drifter“ - nur dass dieser nicht ziellos herumirrt, sondern als Trickbetrüger durch die Lande zieht, um andere Leute übers Ohr zu hauen.“
Um welche Charaktere geht es denn dieses Mal?
„Als ich an dieser Scheibe schrieb, arbeitete ich ja auch an meinem neuen Buch 'The Horse'“, berichtet Willy, „darin geht es ja um die Geschichte eines reisenden Musikers. Als ich das Buch schrieb erfand ich über 200 Songtitel. Und einige davon - wie zum Beispiel 'Nancy And The Pensacola Pimp', „Sitting On The Curb“, „There's Nothing Down The Highway“ oder der Titeltrack fanden denn auch den Weg auf die neue Scheibe. Dabei handelt es sich dann jeweils um neue Charaktere, mit denen ich die Songs bevölkerte. Die Sache nahm ihren Anfang, als Amy mich eines Abends nach einer Show beiseite nahm und zu mir sagte: 'Du musst mir endlich mal ein Liebeslied schreiben, in dem niemand stirbt und nichts Schlimmes passiert. Ich bin ein normales Mädchen. Du kannst mich nicht immer diese düsteren Songs singen lassen, ohne mir auch mal ein Liebeslied zu schreiben'. Nach dieser Tour schreib ich dann erst mal 'Mr. Luck & Ms. Doom'. Danach fiel die Sache wieder auseinander und ich schrieb 'Her Ponyboy' und 'JP & Me' – was zwar Songs über Paare sind, aber kein besonders romantischen.“
Besonders romantisch ist auch die Geschichte von Lorraine nicht gerade – die in zwei Songs vorkommt.
„Ja genau“, pflichtet Willy bei, „in den USA gibt es ziemlich harte Drogengesetze. Viele Leute gerade meines Alters sitzen für Drogen-Delikte im Gefängnis, die sie vor 20 Jahren begangen haben. In Portland ist zum Beispiel Marihuana heutzutage legal. Es gibt dort heute mehr Marihuana-Shops als Bars. Ich war an der Geschichte von jemand interessiert, der aus dem Gefängnis entlassen wird, nachdem er seine Strafe für ein lange zurück liegendes Drogen-Delikt begangen hat. Lorraine kann keinen ordentlichen Job finden, weil das für verurteilte Straftäter in den USA sehr schwierig ist. Es geht in dem Song darum, wie sie versucht, wieder auf die Beine zu kommen und realisiert, dass sie das vielleicht nicht schaffen wird. Der letzte Song 'Don't Go Into That House, Lorraine' ist dann schließlich ein Appell an Lorraine, nicht aufzugeben und nicht in das Haus zu gehen, wo es die Drogen gibt und somit in ihr altes Leben zurückzukehren.“
Auf der neuen Scheibe sticht ein Song durch sein ungewöhnliches Sound-Design besonders heraus – und das ist „Nancy & The Pensacola Pimp“, der auf einem einzigen Gitarrenlick basiert, der dem Song einen unerbittlichen, zwingenden Drive verleiht. Warum ist dieser Track so anders als die anderen – meist als jazzige Noir-Balladen angelegten - Songs.
„Das stimmt wohl“, meint Willy, „da gibt’s einen gewissen Sweet-Spot. Ich dachte an Bobbie Gentry oder Sam Smith als ich den Song schrieb. Ich dachte an Southern Gothic, an Carson McCullers und Flannery O'Connor. Woran ich aber wirklich beachten wollte, war 'Wahnsinn'. Der Pimp in der Geschichte ist nämlich verrückt geworden und ich dachte daran, wie es ist mit jemandem umgehen zu müssen, der geistig krank ist. Man weiß nie was als Nächstes passiert. Dadurch kommt diese Dringlichkeit zustande. Glücklicherweise kommt Nancy aus dieser Situation dann heraus. Das ist der verrückteste Song und ich war überrascht davon, dass Amy den singen wollte. Denn wenn Amy einen Song nicht singen will, dann fliegt er raus. Das Leben ist zu kurz um Songs zu singen, die man nicht singen will.“
Auch der folgende Song „Maureen's Gone Missing“ ist ein wenig lebhafter als die anderen Tracks. Warum gibt es eigentlich so weniger Up-Tempo-Momente auf den Delines-Scheiben (bei den Konzerten sieht das nämlich anders aus)?
„Der Rhythmus ist unserem Drummer Sean eingefallen“ berichtet Willy, „der Song wird dann aus der Perspektive einer Frau erzählt, die an einem Pool sitzt, die beobachtet, wie Marureen von diesen zwielichtigen Charakteren belästigt hat. Was diese nicht ahnen können, ist dass diese Frau Maureen ihr Auto als Fluchtwagen überlassen hat. Das hat Spaß gemacht das zu schreiben und das ist dann auch meiner Lieblingssongs. Aber was die Up-Tempo-Sache betrifft, so ist das ein interessanter Punkt. Ich denke es liegt einfach daran, dass wir nicht so viele lebhafte Songs haben, weil sowohl Amy wie auch ich ursprünglich mal aus der Cow- und Country-Punk-Ecke kamen und ich von Anfang an keine Rocksongs für die Delines schreiben wollte, weil wir beide überein gekommen sind, dass wir das nicht mehr machen wollten. Amy hat zudem eine bestimmte, süße Art zu singen, die einfach alle mitnimmt. Ich versuche also von vorneherein, diese milde, verträumte, melancholische Art beim Schreiben der Songs zu berücksichtigen. Das ist dann mein Fehler.“
Wie ist denn der Titelsong „Mr. Luck & Mrs Doom“ zustande gekommen?
„Nun ich habe vier Jahre an meinem Buch 'The Horse' geschrieben“, erzählt Willy, „während dieser Zeit habe ich natürlich oft an den Titelcharakter Al und das Pferd gedacht, dass eines Tages vor seiner Haustür auftaucht und ihn veranlasst über sein Leben als Casino-Musiker und Songwriter zu reflektieren. Als Al dann in dem Buch den Songtitel „Mr. Luck & Ms. Doom“ aufgreift dachte ich mir: 'Au Mann – das wäre doch ein guter Song für die Delines'. Also schrieb ich dann den Song 'Mr. Luck & Ms. Doom“ während ich an dem Buch arbeitete. Die Sache ist die: Bücher brauchen immer so lange, bis sie fertig sind – da gibt es Raum für so etwas.“
Zum Glück bleibt zwischendurch dann auch immer mal wieder Zeit, auf Tour zu gehen. Auf der anstehenden „Record Release Tour“ wird es auf dem zweiten Abschnitt im Mai auch einige Termine auf Deutschen Bühnen haben, bei denen erstmals Chris Eckman (von den Walkabouts) die Delines als Support-Act begleiten wird.
Aktuelles Album: Mr. Luck & Ms. Doom (Decor Records / Indigo) VÖ: 14.02.
Weitere Infos: https://www.thedelines.com/ Foto: Paolo Brillo Cropped