Das muss man sich ja auch erst mal auf der Zunge zergehen lassen: „Spectral Lines“ ist das 11. Studio-Album des ursprünglich aus Idaho stammenden Songwriters Josh Ritter. Damit ist der Mann nun seit mehr als der Hälfte seines Lebens als Musiker (und Schriftsteller) im Geschäft – was er sich zu Beginn seiner Laufbahn vermutlich nicht ein mal selbst hatte vorstellen können. In dieser Zeit hat sich Josh den Ruf eines versierten Storytellers und musikalischer Tausendsassas erworben, der immer in der Lage war – sei es alleine oder durch die Kollaboration mit geschätzten Kollegen – über seinen musikalischen Tellerrand hinauszuschauen. Während er auf seinem letztes Album „Fever Breaks“ noch überraschend mit seinem Kollegen Jason Isbell und dessen Band The 400 Unit in eine dezidiert rockige Richtung marschierte, lenkt er seinen Blick auf dem nun vorliegenden Album „Spectral Lines“ in die Ferne und schickt seine Songs auf der Suche nach Fragen (und weniger nach Antworten) in metaphorischer Hinsicht als Sonden in die Weiten des Universums.
Ging es also darum, mit „Spectral Lines“ neue Territorien auszuloten?„Danke – und ja, darum geht es“, meint Josh, „das war aber keine bestimmte bewusste Entscheidung. Es ist nur so, dass die Entscheidungen, die ich traf, dann im Rückblick auf die letzten drei Jahre – die ja für einige von uns ja eher eine Zeit des Winterschlafes gewesen sind – die einzigen gewesen waren, die für mich in dem Moment Sinn gemacht haben. Wenn ich eine neue Scheibe angehe, dann kann ich das nicht halbherzig tun und ohne dass sich etwas ändert. Das einzige, das sich in dieser Hinsicht richtig anfühlte, war das, was letztlich entstand. Und das war irgendwie surreal und verstreut und weniger linear als gewohnt."
Viele von Josh's Kollegen bestätigen ja, dass sie während der Pandemie deutlicher mit sich selbst konfrontiert wurden, weil ja die Impulse der Außenwelt in den Lockdown Situationen fehlten. Ist das vielleicht auch mit der Grund, warum sich Josh auf diesem Album in Richtung ferner Welten denkt?
„Ja, genau“, bestätigt er, „zum einen war meine neue Musik definitiv von der Malerei beeinflusst – aber nicht indem ich meine Songs als Gemälde betrachtet und mir überlegt hätte, was ich malen wollte. Ich dachte mehr an eine Art Palette. Eine Palette von Farben und Emotionen, die ich in dieser Zeit verwenden konnte. Ich habe den Song 'Sawgrass' in dieser Hinsicht vom Gesichtspunkt der Produktion und der zugrundeliegenden Philosophie als Kern des Projektes betrachtet. Deswegen hat die Sache auch so lange gedauert. Ich habe nämlich sehr viel geschrieben – auch lange, narrative Songs, die ich zwar gerne geschrieben habe und auch mochte, die dann aber nicht aufrichtig den Moment vermitteln konnten. Diejenigen, die dieser Aufgabe gerecht wurden, waren dann die, in denen ich mir unbekümmert zugestand über meine Gefühle zu sprechen. Ich habe mir dann aber auch gedacht, dass ich nicht einfach ein weiterer Songwriter sein wollte, der über seine Gefühle schreibt – das konnte ich einfach nicht machen. Also musste ich mir einen Weg überlegen, mich so zu positionieren, dass die Gedanken nach außen – und nicht nach innen gerichtet sein würden. Ich habe mir dann überlegt, welches die universellen Gefühle sind, die ich verspüre, die für andere Leute von Nutzen sein könnten."
Kann man „Spectral Lines“ vielleicht als eine Art Space-Opera interpretieren?
„Ich denke schon“, zögert Josh, „ich habe meinem Produzenten Sam Kassirer gebeten, alles, was in der Wissenschaft zur Zeit passiert, klanglich mit einzubeziehen. Meine Mutter war zum Beispiel ja eine Neurologin und sie hat mich sehr beeinflusst. Meine größte Muse für dieses Projekt war die Sachen durch die Augen von Wissenschaftlern zu sehen. Wissenschaftler sind solch interessante Menschen mit einer Vielzahl von Welten in ihren Köpfen. Meine Mutter war zum Beispiel einerseits sehr religiös und vertraute auf die Bibel – war aber auf der anderen Seite in der Lage, das zur Seite zu schieben und sich mit evolutionären Entwicklung des Gehirns zu beschäftigen. Ich fand es immer faszinierend, dass sie beides konnte."
Was kommt denn als nächstes für Josh Ritter?
„Also es gibt einige Projekte, die ich gerne machen möchte“, berichtet Josh, „ich arbeite zum Beispiel gerade an einem neuen Buch. Ich arbeite auch gerade an einem richtigen Musical. Und ich liebe Kollaborationen – das habe ich in der Pandemie besonders vermisst. Was ich am meisten zu schätzen weiß, ist dass ich heute an Projekten arbeiten kann, die ich wirklich liebe – und nicht, weil ich sie machen muss. Und es besteht immer die Möglichkeit, dass auch jemand Interessantes zum Telefon greift, wenn ich ein Projekt vorschlage. Das ist sehr aufregend. Ich bin zur Zeit für alles offen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich nach dieser Scheibe in jede Richtung gehen kann, in die ich gehen möchte. Das ist großartig. Als ich anfing, Musik zu machen, fühlte sich die Idee, einen Longplayer zu machen, an, als wäre die ganze Welt in diesem einzigen Projekt – und heute kann ich gleichzeitig an einer Vielzahl von Projekten arbeiten, die alle gleichermaßen aufregend sind."
Aktuelles Album: Spectral Lines (Pytheas Recordings / Thirty Tigers / Membran)
Weitere Infos: https://joshritter.com/ Foto: Sam Kassirer