Ex-Pulp-Sänger Jarvis Cocker meldet sich nach elfjähriger Plattenpause zurück. Im Herbst will er mit seiner neuen Band Jarv Is auf Europa-Tournee gehen – durch Höhlen.
Herr Cocker, ihr letztes Album datiert von 2009. Wo haben sie die ganze Zeit gesteckt?"Ich bin Vater geworden und habe mich um meinen Sohn gekümmert. Nebenbei habe ich jeden Sonntag bei der BBC moderiert und hätte auch gerne weiter Musik mit meiner letzten Band gemacht. Leider ist der Gitarrist gestorben – und aus Respekt vor ihm wollte ich sie nicht fortsetzen. Was nicht heißt, dass ich keine Ideen für neue Songs hatte – ich habe sie nur nicht fertiggestellt. Einfach, weil ich gemerkt habe, dass ich eine Band brauche, weil das mehr Spaß macht und bessere musikalische Ideen hervorbringt. Als ich vor zwei Jahren Jarv Is zusammengestellt habe, ging alles sehr schnell."
Angeblich sind einige der Songs auf „Beyond The Pale“ in einer Höhle entstanden – was steckt dahinter?
"Die Idee, eine Höhle zu besuchen, kam mir als mein Sohn jünger war und ich nicht wusste, was ich während der Schulferien mit ihm anstellen sollte. Da meinte meine Mutter: „Warum besucht ihr nicht Creswell Crags?“ Also eine dieser Höhlen, in denen sich prähistorische Wandmalereien finden. Zum Beispiel Pferdeköpfe, die in den Stein eingeritzt wurden. Und die zu betrachten, hat mich emotional sehr bewegt. Eben die Erkenntnis, dass schon zu dieser Zeit jemand versucht hat, mit anderen zu kommunizieren. Das war quasi der Beginn menschlicher Kreativität. Und im Souvenirladen um die Ecke habe ich noch dieses Buch gefunden: „The Mind In The Cave“, in dem es darum geht, wie sehr das Höhlenleben die Menschen der damaligen Zeit geprägt und verändert hat. Dass das zu unserer modernen Sensibilität geführt haben könnte, womit auch die Herstellung erster Handwerks- und Kunstgegenstände einhergeht. Die Tatsache, dass das keine andere Kreatur auf Erden hinbekommt, zeigt, dass Kreativität etwas sehr Menschliches ist. Einige Leute mögen zwar meinen, es handle sich bei Kunst um Luxus, aber sie ist mindestens so wichtig wie arbeiten, essen, ausgehen und solche Sachen – all diese Dinge sind essentiell. Also die Fähigkeiten, Sachen herzustellen und nicht nur zu konsumieren. Von daher hatte ich all diese Bilder von Höhlen im Kopf – und habe dann entschieden, dass ich unbedingt mal in einer spielen möchte. Was wiederum so toll war, dass ich entschied, zwei Stücke des Albums in einer Grotte in der Nähe von Derbyshire zu schreiben. Wenn alles klappt, findet meine nächste Tour auch in Höhlen statt."
Wie bitte?
"Ja, ich habe mir schon etliche im Internet angesehen. Es gibt ein paar gute in Spanien, und die in Gibraltar hat sogar eine Art Auditorium. Von daher ist es meine Absicht, durch europäische Höhlen zu touren. Und das meine ich ernst. Wenn das hier jemand liest und eine Idee hat – bitte melden!"
Und wie erklären Sie das Stück „Sometimes I Am Pharaoh“, das vom Fastfood-Konsum vor historischen Gebäuden und Denkmälern handelt?
(lacht) "Das ist es, was Leute tun, wenn sie sich ein religiöses Monument oder irgendeinen umwerfenden Ort anschauen: Sie essen Dreck. Besucht man etwa die Sagrada Familia in Barcelona, trifft man Unmengen von Menschen, die einfach nur dasitzen und Junkfood verdrücken. Sie machen ein Foto von dem Bauwerk und fragen sich dann: „Was mache ich jetzt?“ Sie schauen sich diese religiösen Orte an und wollen dabei irgendetwas Besonderes spüren. Eben als würden sie das Christentum verstehen oder als würden sie von einem Geist ergriffen, sobald sie das Gebäude betreten. Passiert das nicht, fühlen sie sich leer – sie ziehen los und kaufen jede Menge fettiges Essen. Während sie das in sich reinstopfen, beobachten sie vielleicht noch diese menschlichen Statuen, die überall wie Pilze aus dem Boden schießen."
Die ganz in Silber und Gold gekleidet sind oder schon mal Charlie Chaplin verkörpern?
"Genau. Sie faszinieren mich, weil sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, den ganzen Tag vollkommen still zu stehen. Wenn sie sich dann plötzlich bewegen, fangen die Leute an zu schreien und geben ihnen Geld. Und ich habe einige dieser Darsteller persönlich kennengelernt, weil ich sie für meine Bühnenshow engagieren wollte. Ich habe sie eines Nachmittags an der Londoner Southbank angesprochen. Nach dem Motto: „Hi, ich weiß, dass ihr nicht mit mir reden könnt, weil ihr Statuen seid, aber ich werfe jetzt ein bisschen Geld in eure Hüte - zusammen mit meiner E-Mail-Adresse. Es wäre toll, wenn ihr euch melden könntet.´ Anfangs hat mir allerdings niemand geantwortet, was ich ziemlich enttäuschend fand. Dann habe ich es noch einmal probiert - und ein Typ, der ganz mit diagonalen schwarz/weißen Streifen bedeckt war, hat sich tatsächlich zurückgemeldet. Er heißt Cat und tritt jetzt regelmäßig mit meiner Band auf."
Also eine Höhlen-Tour mit menschlichen Statuen? Das klingt ziemlich skurril…
"In der Tat. Und wer könnte einem solchen Konzert widerstehen? Das klingt doch wie die beste Nacht aller Zeiten, oder?"
Aktuelles Album: Beyond The Pale (Beggars / Rough Trade) Vö: 17.07.
Foto: Daniel Cohen