Feministisch, vielseitig und fulminant. Die Engländerin Nadine Shah zieht auf ihrem Album „Kitchen Sink“ alle Register. „Ich hielt den Begriff ‚World Music‘ immer für etwas vage, und doch hat mich schon als Kind die Musik aus aller Welt angezogen.“, sagt Nadine Shah, deren Vater aus Pakistan stammt, während die Mutter norwegische Wurzeln hat. Großgeworden ist sie in Whitburn, an der Nordost-Küste Englands. „Iranische Sitar-Spieler, Musik aus der Türkei, aus Westafrika, aus dem Libanon. Ich bin mit den unterschiedlichsten Sounds aufgewachsen und habe das sehr genossen.“
Nadine, deren unorthodoxer gesanglicher und musikalischer Stil sich ganz gut mit dem von Kolleginnen wie Roisin Murphy, Anna Calvi oder Bat For Lashes vergleichen lässt, war 20, als sie begann, in Londoner Restaurants und Jazz-Bars zu singen.„Glamourös war das nicht, aber ehrlich. Ich war nie Teil der großen Labels und der Popmaschinerie.“
Doch der Jazz war ihr auf Dauer zu limitiert, auch etwas zu altbacken, und so sattelte Shah, ermutigt durch ein Studium auf der Kunsthochschule, um auf „avantgardistischere Musik.“
Die typischen Themen des Pop, sie sucht man auf Nadine Shahs viertem Album „Kitchen Sink“ denn auch weitestgehend vergeblich. Und das weniger, weil sich die Sängerin mit der ausdruckskräftigen Stimme generell nicht für Liebe, Eifersucht und allgemeinen Herzschmerz zu erwärmen wüsste, ganz aktuell arbeite sie sogar selbst an Songs, die sie als „fröhliche Fluchtmusik“ bezeichnet und vielleicht, vielleicht auch nicht irgendwann mal veröffentlicht werden. Sondern weil es der 34 Jahre alten Shah so ganz grundsätzlich aufgefallen ist, „dass wir mehr Musikerinnen und Musiker brauchen, die unsere Zeiten dokumentieren und die sich nicht wegducken vor politischen wie sozialen Statements.“
War das 2017 veröffentlichte „Holiday Destination“ gespickt mit Attacken gegen Brexit-Britannien und sein heuchlerisches Polit-Personal, so wird es auf „Kitchen Sink“ noch einmal persönlicher.
„Das komplette Album beschäftigt sich mit Themen wie Tradition, Sexismus und Frauenfeindlichkeit“, so Nadine Shah, die speziell einen Mangel von „älteren weiblichen Vorbildern in der Popmusik“ beklagt. Visuell bestechend umgesetzt hat sie ihren Ansatz im Video zu ihrer aktuellen Single „Ladies For Babies (Goats For Love)“. Der Clip spielt auf einer Dinnerparty in den Siebziger Jahren, und es fehlt eigentlich nur noch so ein richtig fieser Mettigel. Ansonsten fährt die von Shah verkörperter Hausfrau wirklich eine Menge an kulinarischen Scheußlichkeiten auf.
„Damals standen die Leute voll auf Essen, das wie anderes Essen aussieht. Also zum Beispiel einen Fisch, der aber eine Süßspeise ist, mit einer Ananas innendrin.“
Die Botschaft hinter den Bildern?
„Ich wollte in dem Video eine Frau zeigen, die alles einziges Ventil für ihre Kreativität die Zubereitung von Nahrung hat und die zugleich im Begriff ist, wahnsinnig zu werden.“
Regie führte übrigens Nadines Freund, mit dem sie zwar noch gar nicht so ewig zusammen ist, aber sich nichtsdestotrotz seit Corona eine Wohnung teilt, nachdem sie ihr Londoner Appartement vorerst aufgegeben hat. „Ich wohne mit meinem Freund gerade in Ramsgate, das liegt ungefähr eine Zugstunde östlich von London am Meer. Wir sind seit einem Jahr zusammen und waren gerade so in der Überlegungsphase, ob wir wohl schon bereit sind für eine gemeinsame Wohnung. Tja, und dann kam der Lockdown, und wir mussten zusammenziehen, wenn wir nicht vereinsamen und verzweifeln wollten. Aber es läuft super mit uns. Ich glaube, ich bleibe hier, und wir suchen uns was Größeres.“
Ironischerweise fordert Nadine ihren Partner in „Trad“, einer weiteren, musikalisch harmonisch-lässigen aber inhaltlich ziemlich ironischen wie bissigen Nummer dazu auf, doch bitte um ihre Hand anzuhalten und sie zum Altar zu führen.
„Es geht in dem Song um den Konflikt, Feministin zu sein und sich doch nach gewissen Traditionen wie der Ehe zu sehnen. Ich wäre tatsächlich gerne verheiratet, allerdings nur zu meinen eigenen Regeln. Ich würde niemals meinen Namen abgeben, und ich auch um nichts in der Welt „gehorchen“, wie es in einem dieser archaischen Trauschwüre heißt.“
Ihren jetzigen Freund allerdings, so bekennt Nadine herzhaft lachend, den kannte sie noch gar nicht, als sie „Trad“ schrieb.
Von Beginn an dagegen treu an ihrer Seite – als Produzent und Schlagzeuger - ist Ben Hillier. Der hat schon für Blur und Depeche Mode produziert und ist seit zehn Jahren ein enger Freund Nadines. „Wir stehen auf die gleiche Musik.“ Etwa Talking Heads, Dr. John oder schräge Beats aus Ägypten und der Türkei.
„Mit niemandem könnte ich außerdem im Studio so viel Spaß haben wie mit Ben. Ich überlege zwar bei jedem Album, ich sollte vielleicht auch mal jemand anderes zum Produzieren nehmen, aber dann denke ich nach zwei Minuten ‚Wieso denn? Ben ist der Beste.‘
Aktuelles Album: Kitchen Sink ((Infectious Music / BMG / Warner)
Foto: Fraser Taylor